Nicht nur ein humanitäres Engagement…

Am Samstag, den 24.Januar sammeln wir gemeinsam mit kurdisch­stäm­migen Freund*innen aus Wuppertal bei der Veran­stal­tung „Winter in Kurdi­stan” Spenden für Geflüch­tete in Shingal und Rojava. Das Engage­ment ist für uns nicht nur eine dringend notwen­dige Hilfe für die betrof­fenen Menschen, es ist auch eine Unter­stüt­zung für ein emani­zi­pa­to­ri­sches politi­sches Projekt in den autonomen kurdi­schen Kantonen.

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Als Ende September letzten Jahres die Situa­tion der von IS-Milizen belagerten kurdisch-syrischen Stadt Kobanê langsam in den Mittel­punkt allge­meinen Inter­esses geriet, war dies für weite Teile der Öffent­lich­keit zunächst ein militä­ri­sches. Erst nach und nach wurde auch über das politi­sche Experi­ment berichtet, das in den autonomen kurdi­schen Kantonen Syriens statt­findet. Das so_ko_wpt hat im Herbst 2014 mit mehreren Veran­stal­tungen versucht, in Wuppertal die Aufmerk­sam­keit für die politi­sche Umwäl­zung in den drei Kantonen Rojavas – Efrîn, Kobanê und Cizîrê – zu wecken und gleich­zeitig einen solida­ri­schen Neuan­fang zu machen. Daraus hat sich eine gute Zusam­men­ar­beit mit kurdi­schen Menschen im Tal entwi­ckelt.

Leider war schon Ende Oktober absehbar, dass das zwischen­zeit­liche Getöse der Medien und die Verbrei­tung aktueller Nachrichten in den sozialen Netzwerken stark abnehmen würden. Es entwi­ckelte sich die absurde Situa­tion, dass mit jedem Tag, an dem Kobanê von den Selbst­ver­tei­di­gungs­ein­heiten gegen die IS-Milizen gehalten werden konnte, die Aufmerk­sam­keit für den Abwehr­kampf der Kurd*innen nachliess. Der verzwei­felte Wider­stand in Kobanê ging jedoch weiter. Inzwi­schen befindet sich der Krieg um die Grenz­stadt zur Türkei im fünften Monat, militä­risch gibt es für die Kurd*innen inzwi­schen wieder Hoffnung, die weitge­hend zerstörte Stadt vollständig zurück­zu­er­obern.

Auch anderswo gingen die Ausein­an­der­set­zungen weiter – im Dezember konnte von YPG/YPJ-Einheiten und den nordira­ki­schen Peschmerga endlich ein Korridor zu tausenden, in die Sinjar-Berge in Shingal geflo­henen Yezid*innen freige­kämpft werden. Viele von ihnen schafften es dann in den halbwegs sicheren Kanton Cizîrê in Rojava, viele andere kamen in Flücht­lings­camps im Nordirak unter. Die aus ihren Dörfern in Shingal oder aus Kobanê geflo­henen Menschen sind dabei zwar der unmit­tel­baren Gefahr für ihr Leben entkommen, sie leiden jedoch unter unvor­stell­barem Mangel an allem, was ein Überleben des ungewöhn­lich harten Winters in Kurdi­stan möglich macht.

Die Bevöl­ke­rung und Heyva Sor a Kurdi­stanê (das kurdi­sche Pendant zum Roten Kreuz) bemühen sich zwar um eine Versor­gung mit Heizge­räten, Winter­klei­dung und Schuhen, Zelten und Schlaf­sä­cken, Grund­nah­rungs­mit­teln oder Babynah­rung und Medika­menten, angesichts eines türki­schen Embargos gegen Rojava ist das jedoch eine Aufgabe, die ohne Hilfe von außen kaum zu bewäl­tigen ist. In dieser Situa­tion wurden wir von kurdisch­stäm­migen Wuppertaler*innen gebeten, gemeinsam mit ihnen etwas zu unter­nehmen. Wir haben gerne zugesagt, eine Veran­stal­tung zu organi­sieren, mit der möglichst viele Spenden einge­sam­melt werden sollen, um einen kleinen Teil der dringend benötigten Hilfe finan­zieren zu können.

Die Veran­stal­tung « Winter in Kurdi­stan » in der Elber­felder CityKirche am Samstag, den 24.Januar, ist deshalb nicht nur ein humani­täres Engage­ment. Der Aufbau selbst­ver­wal­teter Struk­turen unter Kriegs­be­din­gungen in Rojava ist ohnehin kaum zu stemmen. Umso schwerer wiegt die zusätz­liche Aufgabe, unter einer Wirtschafts­blo­ckade tausende Geflüch­tete durch den Winter zu bringen. Die Bevöl­ke­rung Rojavas und Shingals dabei zu unter­stützen, ist deshalb nicht nur eine notwen­dige Hilfe für die betrof­fenen Menschen, es ist auch eine politi­sche Unter­stüt­zung für ein Projekt, das David Graeber nach einem Besuch im letzten Dezember als « echte Revolu­tion » bezeichnet.Wir rufen daher alle auf, am Samstag­abend in die CityKirche nach Wuppertal-Elber­feld zu kommen und zu geben, was gegeben werden kann.

Alle, die kommen, erwartet ein hochin­ter­es­santes Programm : So erwarten wir neben dem Vize-Präsi­denten von Heyva Sor a Kurdi­stanê, Vahdettin Kılıç, mit Ali Atalan den Co-Vorsit­zenden der Födera­tion Yezidi­scher Vereine und eine hochran­gige Vertreter*in der Regio­nal­re­gie­rung von Kobanê*. Den musika­li­schen Part des Abends übernehmen die Frauen-Gruppe Dengê Xwezayê um die Sängerin Sosin, Mehmet Akbaş und Memo. Beginn ist um 18:00 Uhr.

Hier die Bankver­bin­dung für alle, die es nicht in die CityKirche schaffen :

Heyva Sor a Kurdi­stanê e. V.
Kreis­spar­kasse Köln
Konto. Nr : 40 10 481 – BLZ : 370 502 99
IBAN : DE 49 370 502 99 000 40 10 481
BIC/SWIFT : COKSDE33XXX

Bitte gebt Folgendes als Verwen­dungs­zweck an :
Stich­wort : Winter in Kurdi­stan Wuppertal

Mehmet Akba ? und Rohat Ciwan :

* Der ursprüng­lich angekün­digte Co-Vorsit­zende der PYD, Salih Muslim, ist leider kurzfristig doch verhin­dert. Für ihn kommt eine Stell­ver­tre­tung.

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Verworrene Lage

Info-Veran­stal­tung  zur aktuellen Situa­tion in Kurdi­stan im Multi­Kulti
Samstag, 15.11.2014, Beginn 20:00 Uhr, Hochstraße 53c, Eintritt frei

15.11.2

Nächsten Samstag, am 15.November, wollen Nazis und Hools ihren SA-Auftritt von Köln gerne in Hannover wieder­holen. Eine breite Mobili­sie­rung dagegen ist für diesen Tag so richtig wie wichtig. Andere Themen sollten jedoch nicht in Verges­sen­heit geraten – hängt doch, wie wir wissen – sowieso und immer alles mit allem zusammen.

Die Zusam­men­rot­tung der « Hooli­gans gegen Salafisten » nutzt zum Beispiel die Aufmerk­sam­keit der Öffent­lich­keit für so genannten « islamis­ti­schen Terror », um xenophobe und islamo­phobe Phanta­sien vom klein­bür­ger­li­chen Stamm­tisch in die Kampf­zonen der Straßen zu tragen. Aufhänger ist dabei der Krieg der « IS-Milizen » gegen die kurdi­sche und arabi­sche Bevöl­ke­rung Iraks und Syriens. Ein Thema, das auch uns in der letzten Zeit viel beschäf­tigte – zeigte es doch auf, dass es hier wie dort nicht um einen « Clash of Cultures » sondern um einen reaktio­nären Angriff auf emanzi­pa­to­ri­sche Konzepte geht. Dabei machte uns die Beschäf­ti­gung damit auch klar, dass es zwischen uns und migran­ti­schen Genoss*innen im Stadt­teil einige Verstän­di­gungs­lü­cken aufzu­ar­beiten gibt, die eine gemein­same Organi­sa­tion in unseren Kiezen oft verhin­dern. Das mit der « HoGeSa » gewaltsam auftre­tende eklige « Volks­emp­finden » zeigt jetzt, wie notwendig eine gemein­same Verstän­di­gungs­basis aber tatsäch­lich ist.

Deshalb sind wir trotz der Termin­kol­li­sion froh, dass das Multi­Kulti eine weitere Veran­stal­tung zum Thema Kurdi­stan geplant hatte – lange, bevor die Provo­ka­tion der Nazihools bekannt wurde. Bei der Veran­stal­tung, zu der erneut u.a. Ayten Kaplan von CENÎ einge­laden wurde, werden – wie bei der ersten Veran­stal­tung am 19.10. im Hayat – zwei im so_ko_wpt Aktive eine Modera­tion versu­chen und sich mit ihren Gesprächspartner*innen der immer verwor­re­neren Lage in Rojava und Shingal stellen.

In dem Maß, in dem das allge­meine öffent­liche Inter­esse für die Vertei­di­gung der Selbst­ver­wal­tung im kurdi­schen Kanton Kobanê in Syrien in den letzten Wochen nachließ, stieg gleich­zeitig der Grad an verwir­renden Nachrichten aus der Region. Menschen, die die Entwick­lungen nicht laufend verfolgen, können die sich häufig wieder­spre­chenden Meldungen kaum noch einordnen. Es gilt, was in jedem Krieg – und erst Recht im syrischen « Bürger­krieg » – gilt : Jede Seite steht kurz vor dem Sieg, die jeweils andere Seite muss hingegen jeder­zeit die drohende Nieder­lage fürchten, weswegen sie baraba­ri­sche Verbre­chen begeht. Verifi­zie­rungen fallen immer schwerer und verläss­liche Quellen sind rar.

Hinzu kommt, dass auch jene, die mit der aufop­fe­rungs­vollen Vertei­di­gung der kleinen Grenz­stadt Kobanê ihr Herz für die kurdi­sche Autonomie (wieder-) entdeckten, inzwi­schen gelernt haben, dass ein und derselbe Vorgang auch von kurdi­scher Seite vielfältig darge­stellt und inter­pre­tiert wird : Steht Kobanê vor der Befreiung oder vor einer « Konter­re­vo­lu­tion » ? Stellen die 150 von der Barzani-Regie­rung aus dem Nord-Irak entsen­denten und durch türki­sches Terri­to­rium gelei­teten Peschmerga eine brüder­liche Unter­stüt­zung der YPG/YPJ-Selbst­ver­tei­di­gung in Kobanê dar, oder sind sie doch ein « Trojan Horse », mit dem die Selbst­ver­wal­tung in Rojava geschliffen werden soll ?

Fast täglich überschlagen sich zudem die Ereig­nisse in der Region Kurdi­stan. Längst geht es nicht mehr nur um die Stadt Kobanê. Während dort die Selbst­ver­tei­di­gung inzwi­schen zur Gegen­of­fen­sive überge­gangen ist, nehmen brutale Angriffe auf kurdi­sches Terri­to­rium anderen­orts neue drama­ti­sche Dimen­sionen an. So ist seit zwei Wochen auch die Region Shingal im Nordirak wieder ins Blick­feld gerückt. Von der nahmen viele an, das Gröbste sei vorüber, nachdem zu Hilfe geeilten YPG- und PKK-Kämpfer*innen im August die Öffnung eines Flucht­kor­ri­dors für die ins Gebirge geflo­henen Yezid*innen gelungen war. Mittler­weile findet in den Sinjar-Bergen jedoch ein neuer verzwei­felter Kampf nur schlecht ausge­rüs­teter Einheiten der Selbst­ver­tei­di­gung um das Überleben von etwa 7.000 geflüch­teten Menschen statt – weitge­hend von den nordira­ki­schen Peschmerga allein­ge­lassen und von der noch im Sommer alarmierten Weltöf­fent­lich­keit kaum wahrge­nommen.

Zuletzt kursierten Meldungen, dass jetzt auch Afrin massiv bedroht ist. Afrin ist der westlich von Kobanê gelegene Kanton Rojavas. Die « Al Nusra-Brigaden » haben vor wenigen Tagen eine Umzin­ge­lung begonnen, nachdem einige Einheiten der « Freien Syrischen Armee » (FSA) zu ihnen überge­laufen sein sollen und ihre Waffen gleich mitge­nommen haben. Spätes­tens mit einem Kampf um Afrin würde sich der kurdi­sche Wider­stand in Rojava jedoch mitten im inner­sy­ri­schen Krieg wieder­finden : Die Entfer­nung von Afrin zu den Ruinen Aleppos beträgt weniger als 50 Kilometer. Wie sich eine solche Entwick­lung auf das sich ständig im Wandel befind­liche Geflecht tempo­rärer Allianzen in der Region auswirken würde, ist schwer vorher­zu­sehen. Denn dass in diesem Fall nicht auch die syrische Armee wieder auf den Plan träte, ist kaum vorstellbar : geht es im Westen des Landes doch letzt­lich auch um den Zugang zum Mittel­meer.

Die Vielzahl der Akteure, die den inner­sy­ri­schen Krieg von Anfang an derart unüber­sicht­lich werden ließ, dass viele sich lieber in Schweigen übten, droht damit auch den Kampf um Rojava wieder zu erfassen. Dabei hatten wir doch gerade erst geglaubt, endlich « Gute » gefunden zu haben, an deren Seite es sich als autonome Linke gut positio­nieren ließ. Bedin­gung dafür war und ist das politi­sche Projekt der Selbst­ver­wal­tung in Rojava. Doch wie werden sich die Entwick­lungen auf die ohnehin kriegs­p­re­käre basis­de­mo­kra­ti­sche und plurale Gesell­schafts­struktur auswirken ? Hat die von manchen Revolu­tion genannte Umwäl­zung im kurdi­schen Teil Syriens eine reelle Chance im Geflecht unter­schied­lichster Inter­essen zu bestehen ?

Am Samstag­abend wollen wir über diese und andere Fragen reden. Dass das auch dem weiteren Aufbau einer neuen gemein­samen Verstän­di­gungs­basis für hier bevor­ste­hende Ausein­an­der­set­zungen dienen soll, versteht sich von selber. Wer also nicht nach Hannover kann oder will, ist herzlich dazu einge­laden, sich an der Diskus­sion zu betei­ligen.

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