Antifaschistische Nachrichten vom 21.05.1993
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Politisch Verfolgte genossen Asyl...
von Ulla Jelpke"Tag X" steht fest: Am 26. Mai wird der Bundestag über den sogenannten, "Asylkompromiss" entscheiden. Ulla Jelpke von der Bundestagsfraktion der PDS/LL hat zusammengestellt, welche Maßnahmen beschlossen werden sollen und welche Konsequenzen sie für Flüchtlinge haben werden.
Politisch Verfolgte genießen Asylrecht - falls sie es schaffen, in unser Land zu kommen.
Abs. 1 des neuen Art.16a verkündet großspurig und selbstgerecht "Politisch Verfolgte genieß.en Asylrecht"; die Absätze 2-5 streichen diesen Anspruch soweit zusammen, daß buchstäblich und praktisch nichts mehr davon übrigbleibt. Erstellt werden Listen ,sicherer Drittstaaten" und Listen "verfolgungssicherer Herkunftsländer". Das Asylrecht wird umfassend in den Dienst diplomatischer, politischer und wirtschaftlicher Interessen der BRD außen- und innenpolitischer Art gestellt. Gegen Flüchtlinge ist es konzipiert als Fernhaltekonzept im Rahmen europäischer Vereinbarungen mit ausufernden Abschiebe- und Einreiseverweigerungsbefugnissen. Abliefern müssen AsylbewerberInnen, manche bevor sie das werden können, dagegen alles, was hierzulande in gewisser Weise noch zur Privatsphäre gehört: Fingerabdrücke, Informationen über Reise- und Fluchtwege. Ihre Habe steht zur freien Durchsuchung nach Anhaltspunkten über diese Wege den Behörden zur Verfügung
Der "Kompromiss": Statt Asylrecht - Reisewegekontrolle
"Politisch Verfolgte genießen Asylrecht" lautet der Abs.1 des neuen Art.16a Grundgesetz. Dieser vorgetäuschten Rechtsgewährung folgt der tatsächliche Rechtsentzug. In den Art. 2 - 5 wird das Asylrecht erwürgt. Engstens verknüpft sind in den Absätzen 2 bis 5 verfahrensrechtliche Regelungen, die ja unter dem Stichwort "Rechtswegegarantie" heiß umstritten waren, weil hier ein weiterer Grundgesetzartikel (Art.19) betroffen war, mit politischen Entscheidungen und Entscheidungsmöglichkeiten. Tatsächlich also ist die Rechtswegegarantie für politisch Verfolgte - "falls sie es schaffen, in unser Land zu kommen .. "' - ebenfalls eingeschränkt und politischen und diplomatischen Erwägungen der Bundesregierung, bzw. der Parlamentsmehrheit unterworfen worden.
Drittstaatenregelung = sichere Drittstaaten
Absatz 2 bestimmt, wer sich nicht auf Abs.1 berufen kann. Das sind alle die, die aus einem Land der Europäischen Gemeinschaft einreisen oder aus einem "anderen Drittstaat", in dem die Genfer Konvention und die Europäische Menschenrechtskonvention Gültigkeit haben. Diese "anderen Drittstaaten" werden durch Gesetz bestimmt. Sichergestellt wird in diesem Absatz aber auch, daß in den genannten Fällen, "aufenthaltsbeendende Maßnahmen" vollzogen werden können, auch wenn Widerspruch gegen die Entscheidung eingelegt worden ist. "Damit ist klargestellt", so heißt es in der offiziellen Begründung, "daß jeder Ausländer, der aus einem sicheren Drittstaat einreist, keinen grundrechtlichen Anspruch hat, daß die von ihm vorgebrachten Asylgründe in der Bundesrepublik geprüft werden."
Hat der Gesetzgeber nun einmal ein Land zu einem derartigen Drittstaat erklärt, so wird in der Begründung unmißverständlich wiederholt, kann auch keine "Vorwirkung" "i.S. eines vorläufigen Bleiberechts entstehen." Das heißt, es gibt keinen Anspruch darauf, hier im Lande bleiben zu können. Ein einfacher Blick auf die Landkarte genügt, um zu sehen, daß die BRD von EG-Mitgliedsstaaten und zu sicheren Drittstaaten erklärten Ländern umgeben ist. Logische Folge: auf dem Landwege gibt es keine legale Möglichkeit mehr, einen Asylantrag in der Bundesrepublik zu stellen. Es kann also unbegrenzt abgeschoben oder an den Grenzen zurückgewiesen werden. Den so abgeschobenen oder zurückgewiesenen Asylbewerbern bleibt es dann unbenommen, von "außerhalb des Bundesgebietes ihren Rechtsbehelf vor deutschen Behörden, bzw. Gerichten zu verfolgen" (Begründung).
Die vorläufig letzte Liste "sicherer Drittstaaten" lautet: Finnland, Norwegen, Österreich, Polen, Schweden, Schweiz, Tschechische und alle EG-Staaten.
Sichere Herkunftsländer
In einem weiteren Schritt wird der Vorrang der diplomatischen, außen- und innenpolitischen Interessen der BRD quasi grundgesetzlich verankert. Absatz 3 "eröffnet dem Gesetzgeber die Möglichkeit, verfolgungsfreie Herkunftsländer zu bestimmen." Es entspricht durchaus den realen Verhältnissen, daß die Türkei als ein derart sicheres Land den Wünschen von CDU/CSU entsprechend, in die Liste aufgenommen werden sollte. In letzter Sekunde vor der ersten Lesung wurde darauf verzichtet. Eine Liste von amnesty international macht aber deutlich, daß für alle anderen Länder, Bulgarien, Ghana, Indien, Liberia, Nigeria, Pakistan, Rumänien, Togo, Zaire, die in der Diskussion sind, dieselben oder ähnliche Bedenken, wie im Falle der Türkei, geltend gemacht werden müßten.
Bis heute, wenige Tage vor der endgültigen Entscheidung ist z.B. die Aufnahme Indiens noch umstritten; der Auswärtige Ausschuss empfiehlt die Aufnahme...
Kriterien zur Bestimmung der Sicherheit eines derartigen Herkunftslandes werden nur vage formuliert. Es muß "gewährleistet erscheinen" daß "auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse... dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet:"
Hinzukommen soll als Kriterium noch die Spruchpraxis im Verwaltungsverfahren in "einem überschaubaren Zeitraum". Das bedeutet, die immer restriktiveren bundesdeutschen Anerkennungsquoten begründen selbst wieder einen "objektiven" Hinweis auf die Verfolgungssicherheit.
Die Hürde für Asylbewerberlnnen, dagegen im Asylverfahren zu bestehen, ist extrem hoch. Sie können "geltend machen, entgegen der aus der gesetzlichen Bestimmung folgenden Regelvermutung ausnahmsweise politisch verfolgt zu sein." Sie müssen "erhebliche Tatsachen substantiiert" vortragen, um eine Prüfung überhaupt erreichen zu können. Das heißt also, nicht nur den Kopf unterm Arm tragen, sondern auch noch schriftlich zu beweisen, daß dies eine Folge politischer Verfolgung in einem ansonsten und den Gesetzen der BRD nach rechtsstaatlich vorgehenden politischen Partnerstaat der BRD ist.
Die nicht endgültige Liste der "sicheren Herkunftsländer: Bulgarien, Gambia, Ghana, Polen, Rumänien, Senegal, Slowakische Republik, Tschechische Republik, Ungarn, Indien (CDU-Vorschlag und Empfehlung des Rechtsausschusses).
Verfahrensregeln
Im Absatz 4 werden wiederum verfahrensrechtliche Einschränkungen für Asylbewerberlnnen geregelt. Nur bei ganz ernsthaften Zweifeln werden Abschiebemaßnahmen ausgesetzt. In diesen Absatz 4 haben CDU/CSU auch eingeschmuggelt, daß im allgemeinen abgeschoben werden darf bei dem Vorwurf schwere Straftaten begangen zu haben oder beim Verstoß gegen "wesentliche Mitwirkungspflichten im Asylverfahren." Die Einschränkung der Rechtswegegarantie - eigentlich Gegenstand des Art.19 Grundgesetz -kann nach der Grundgesetzänderung "der einfache Gesetzgeber konkretisieren". Absatz 5 schließlich stellt alle Regelungen in den Zusammenhang von Schengen und Dublin und ermächtigt die Bundesregierung, entsprechende Verträge mit anderen Staaten zu schließen. eine Fortsetzung der Politik der Verträge Schengen-Polen und BRD-Rumänien wird sozusagen grundgesetzlich genehmigt und zur zukünftigen Aufgabe gemacht.
Die sogenannten Begleitgesetze oder: was Sie schon immer befürchtet haben, hier wird es Gesetz
Das erste Paket, der "Entwurf für ein Gesetz zur Änderung asylverfarhrens-, ausländer- und staatsangehörigkeitsrechtlicher Vorschriften", passt die im Titel genannten Gesetze den neuen Erfordernissen an. Das heißt: geregelt werden die Einreiseverhinderungs- und Abschiebevorschriften, die weitere Entrechtlichung der Flüchtlinge und Asylbewerberinnen. (Enthalten sind hier auch vorläufige Listen mit den "sicheren Drittstaaten" und den (verfolgungs-),sicheren Herkunftsländern":) Hier toben sich die Asylbürokraten aus, die selbst mit besseren Gesetzesvorgaben die Rechte der Flüchtlinge praktisch erwürgen würden. Ein Beispiel: Die sogenannte Flughafenregelung: Zwischen der ersten und der zweiten/dritten Lesung spielte die sogenannte Flughafenregelung in der öffentlichen Auseinandersetzung zwischen CDU und SPD eine gewisse Rolle. Ausgangspunkt war die Frage, inwieweit die absehbare Umlenkung eines (kleinen) Teils der Flüchtlinge von den Landgrenzen auf die Flughäfen verhindert werden könnte. Diskutiert wurde die Einrichtung von exterritorialen, "internationalen Zonen" nach französischem Vorbild. Vor Betreten deutschen Bodens sollte die Berechtigung zur Einreise, sprich der Reiseweg (sicheres Herkunftsland, sicherer Drittstaat, Bodenberührung mit einem solchen) überprüft werden. Vor der Einreise soll so die Möglichkeit zur Zurückweisung geklärt werden. Genau dieser Punkt ist aber bereits Konsens zwischen SPD und Regierungskoalition; die Inszenierung des Streits drehte sich bloß um die Frage, ob Zweifelsfälle (unter den oben genannten erschwerten Bedingungen) vor der Einreise ein Schnellverfahren erhalten sollten.
Als Konsens steht im nunmehr veränderten Ausländergesetz ein neuer Art.74 a: ,Pflichten der Flughafenunternehmer". "Der Unternehmer eines Verkehrsflughafens ist verpflichtet, auf dem Flughafengelände geeignete Unterkünfte zur Unterbringung von Ausländern die nicht im Besitz eines erforderlichen Passes oder eines erforderlichen Visums sind, bis zum Vollzug der grenzpolizeilichen Entscheidung über die Einreise bereitzustellen." Gewährleistet werden soll damit, daß "der .Ausländer" nicht einreisen kann, um einen Asylantrag zu stellen. Zuvor nämlich soll geprüft werden, ob er aus einem sicheren Drittland oder einem verfolgungssicheren Herkunftsland kommt. Tut er das: ab mit ihm! Fühlt er sich - entgegen der gesetzlichen Lage der Bundesrepublik- dennoch verfolgt, kann er ja von seinem Herkunfts- oder Durchreiseland aus, sein Verfahren betreiben.
Neben den spezifisch bundesdeutschen Zielen - Ausschluß vom Asylverfahren, Verkürzung des Asylverfahrens, Verhinderung von Mißbräuchen, Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen auch durch die Aufnahmeeinrichtung und in den Fällen der Einreiseverweigerung und der Zurückschiebung (Punkte 1-3 der allgemeinen Begründung) - bedeuten die Änderungen die "innerstaatliche Umsetzung des Schengener Übereinkommens" und die Einpassung in das Dubliner Abkommen, sowie die in der Zwischenzeit ausgehandelten bilateralen Abkommen (z.B. mit Rumänien). So heißt es locker in der allgemeinen Begründung. Und dahinter steckt das Eingeständnis, daß die Bundesregierung seit Jahren an europäischen Abkommen bastelt in vollem Bewußtsein darüber, daß deren wesentliche Bestandteile gegen die geltende Verfassung verstoßen. Jetzt präsentiert sie Grundgesetzänderung samt Ausführungsgesetzen mit dem Argument, nur so sei den europäischen Erfordernissen gerecht zu werden.
Der "Erfolg" der SPD besteht darin, daß im "Vorgriff" (Begründung) auf eine umfassende Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes jetzt schon mal die Gebühren für die Einbürgerung gesenkt werden und auf die Forderung nach einheitlicher Staatsangehörigkeit in der Familie verzichtet wird. Punkt!
Ein zweiter Gesetzentwurf der großen Koalition regelt die "Leistungen an Asylbewerber" neu. "Die Beträge sind gegenüber den derzeit geltenden Sätzen gekürzt", heißt es kurz und knapp. Das ~"Asylbewerberleistungsgesetz" ist ganz von der Sozialhilfe abgekoppelt und ist "den speziellen Bedürfnissen dieser Personengruppe angepasst". Diese "Personengruppe" hat demnach das spezielle Bedürfnis nach "Leistungen grundsätzlich als Sachleistung. In begründeten Ausnahmefällen können sie in Form von Wertgutscheinen, oder anderen vergleichbaren unbaren Abrechnungen ... erfolgen." Zusätzlich erhalten "Leistungsberechtigte bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres 40.-DM" und danach 80.- DM.
Ein §4 regelt die Arbeitsgelegenheiten. Denn die "Leistungsberechtigten" sollen (!) zur "Selbstversorgung und zur Aufrechterhaltung und Betreibung der Einrichtung" arbeiten. Dafür gibt es 2.- DM/Stunde. Wer sich weigert, bekommt seine Zuschüsse gekürzt. Diese "motivierende" Aufwandsentschädigung von 2.- DM (allgemeine Begründung, S. 5) gibt es auch für den verpflichtenden Arbeitsdienst bei kommunalen und gemeinnützigen Trägern, der geschaffen werden soll. Dies - und die möglichst vollständige Unterbringung in Sammellagern- sollen ein Leben nach dem "Grundsatz der Menschenwürde" sichern.
Fazit:
1. Diese Änderung des Grundgesetzes mit den dazugehörenden Ausführungsgesetzen schafft das bisherige Asylrecht nicht nur ab - am Ende einer immer restriktiveren Auslegungspraxis. Die Änderungen verkehren das Asylrecht in ein bwehrrecht des Staates und einen Fernhaltemechanismus gegen Flüchtlinge, MigrantInnen und AsylbewerberInnen.
2. Die Bundesregierung unterläuft mit diesen Änderungen, der Konstruktion von Drittstaaten, sicheren Herkunftsländern und den diversen Rückübernahmeabkommen (BRD-Rumänien, Schengen-Polen, BRD-Polen etc.) internationale Abkommen wie die Genfer Flüchtlingskonvention. Mit den genannten Regelungen sind nicht nur Kettenabschiebungen, d.h. das Weiterschieben von Flüchtlingen ohne ein reguläres Verfahren - geprüft werden ja nur Reisewege und Zuständigkeiten gemäß diverser Abkommen; möglich ist aber auch die "legale" Abschiebung in Verfolgerländer (Beispiel: ein iranischer Flüchtling, der über Polen einreist, wird dorthin zurückgeschoben. Der Iran ist für Polen kein Verfolgerland, also kann er weitergeschoben werden...).
3. Auch bei intensivster Aufrüstung an den Grenzen wird es illegale Zuwanderung geben; die soziale und politische Situation der Illegalen - MigrantInnen, Flüchtlingen und politisch Verfolgten im traditionellen Sinne - wird sich erheblich verschlechtern.
4. Im Inland werden Abschiebeknäste, Abschiebe- und Zurückschiebetransporte das Bild bestimmen. Paramilitärische BGS-Truppen an den Flughäfen und bald auch an Eisenbahnknotenpunkten, Razzien gegen Illegale und (Schnell-) Entscheidezentren bilden die "Asylinfrastruktur".
5. Schon jetzt sind die nach außen wirkenden Folgen der deutschen Asylgesetzgebung zu sehen und zu spüren, Die östlichen Nachbarstaaten (genauso übrigens für Westeuropa insgesamt die Maghrebstaaten, die im Prinzip dasselbe System übernehmen werden müssen) sind bei Strafe der Destabilisierung und finanziellen Überforderung zur Kollaboration gezwungen. D.h. sie müssen ihre gerade erst einigermaßen geöffneten Grenzen wieder schließen und dabei Konflikte der Grenzbevölkerungen untereinander und mit MigrantInnen und Flüchtlingen zwangsläufig forcieren. Dort wo latente oder akute ethnische Konflikte existieren, werden sie ausbrechen oder sie verschärfen. Der lange umkämpfte Vertrag zwischen Polen und der BRD über die Rücknahme von Flüchtlingen sieht vor, daß ein großer Teil der 120 Mio.DM, die die BRD sich das Kosten lässt, in Grenzanlagen an Polens Ostgrenze gesteckt werden müssen (technische Anlagen wie Infrarot u.ä. werden in der BRD eingekauft).
Die BRD exportiert also nicht nur Flüchtlinge in die Nachbarländer; sie exportiert gleichermaßen den hier entwickelten Umgang mit ihnen: Ausländerhass und -diskriminierung.