Prima Kumpel und grinsende Botschafter

 

Wupper Nachrichten vom 19.06.1993
Seite 4

Prima Kumpel und grinsende Botschafter
Hattingen am Tag des Anschlags

"Sieh diesen Männern ins Gesicht, die sind verzweifelt", Naim, ein Türke aus einner Mischehe, erklärt mir die Vorgänge vor der Brandruine in Hattingen. Fast auf die Stunde genau sieben Tage nach Solingen brannte hier ein von TürkInnen bewohntes Arbeiterhaus.

Der Vater war auf Nachtschicht in Duisburg, viele ehemalige Beschäftigte der Thyssen-Henrichshütte in Hattingen fahren zur Arbeit nach Duisburg. Direkt hinter dem Haus ragen die schwarzen Ruinen des Stahlwerkes in den Ruhrhimmel. Die Türken waren bei den zahlreichen Aktionen gegen die Stillegung immer dabei, die deutschen Anwohner sprechen heute nicht nur von angepassten Nachbarn, sie sprechen von prima Kumpeln, mit denen man ein Bier trank. Sie kennen alle Kinder beim Namen.

Wieder stattet Innenminister Schnoor seinen Besuch ab, wieder auch der türkische Botschafter. Die türkischen Anwohner sind gar nicht begeistert: "Da kommt der Botschafter in seinem Panzerwagen und grinst. Gibt es hier etwas zu grinsen?" Ein paar junge Türken dringen durch die Polizeiabsperrung, rufen "Nazis raus" und "Allah u akbar". Ein Polizist hilft ihnen, die türkische Fahne am Haus zu befestigen.? Türkische Fahnen auf ausgebrannten Häusern - ein merkwürdiges Nationalsymbol? Naim: "Jetzt ist die Fahne dort oben befestigt. Auch die Männer fühlen sich jetzt erhoben. Die Alten werden nach Hause gehen. Deutsche und Türken haben große Schwierigkeiten die unterschiedliche Bedeutung ähnlicher Symbole zu verstehen."

Die Alten gehen nach Hause. Die Frauen stehen in den Türen und gucken zu wie die Jungen mit einer weiteren Fahne in ein Vereinsheim ziehen. Hinzukommende Autos werden von der Polizei durchsucht. "Wo ward ihr heut nacht" fragen die aufgebrachten Männer, "in unseren Autos werdet ihr nichts finden, noch haben wir keine Warfen." In der Hattinger Altstadt merkt man von den ergreifenden Szenen vor dem ausgebrannten Haus nichts. Jedenfalls nicht auf den ersten Blick. In einem der zahlreichen Cafés sprechen zwei deutsche Frauen von ihren Ängsten: "Auf das Altstadtfest werde ich dieses Jahr wohl nicht gehen. Da könnte ja eine Bombe explodieren." "Bei mir im Haus wohnen Polen, man weiß ja überhaupt nicht mehr, wo man sicher ist." Ein holländischer Fernsehreporter läuft in der Stadt herum und macht Kurzinterviews. Ein Radio-Reporter ruft ihm zu: "Du bis falsch hier. In Blankenstein ist der Teufel los, da rücken hunderte von Chaoten an". Ich fahre sofort nach Blankenstein, aber sieht man von einer Polizeisperre ab, ist dort alles ruhig.

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