Interview zur G7-Liberation-Tour 2015
Zum « G7-Gipfel » am 7.6. belagern nicht nur tausende Journalist*innen und Polizist*innen sowie tausende Gegendemonstrant*innen die Alpenwelt bei Garmisch-Partenkirchen, es befinden sich auch einige Aktivist*innen und Zeitzeugen und Opfer des deutschen Faschismus auf einer « Liberation-Tour » in der Gegend. Die Neuauflage der Proteste gegen die Traditionstreffen der deutschen « Gebirgsjäger » im Zweiten Weltkrieg greift damit eine vor einigen Jahren eigentlich beendete Protesttradition wieder auf, die zwischen 2002 und 2009 die Region aufmischte. Im Vorfeld der « Liberation-Tour 2015 », zu der auch aus Wuppertal mobilisiert wurde, sprachen wir mit einer Teilnehmer*in früherer Aktionen des « Arbeitskreise Angreifbare Traditionspflege » darüber, wie es ist, im tiefsten Bayern antifaschistische Proteste durchzuführen.
• Hallo, Judith*. Du warts bei einigen der Aktionen der so genannten « Alten Folge » der « Angreifbaren Traditionspflege » in Mittenwald dabei. Wann war das ?
Das muss 2002 gewesen sein, das war die erste Aktion in Mittenwald, die damals auch noch total ungekündigt ablief. Später war ich dann so drei- oder viermal dabei. Im ersten Jahr, 2002, wussten weder die Gebirgsjäger noch die Polizei, dass wir kommen würden. Gewusst hat das nur ein Grüppchen von geschichtspolitisch interessierten Menschen aus dem Ruhrgebiet und dem Bergischen Land. Auch aus Bremen, Hamburg und Berlin waren ein paar Leute dabei. Und Münchner*innen glaube ich auch.
• Was war der konkrete Anlass für euch, aus dem wenig hochgebirglerischen NRW in die Alpen zu fahren ?
Wir hatten uns verabredet, da mal aufzulaufen und das seit Jahrzehnten stattfindende Traditionstreffen der Gebirgsjäger zu « besuchen ». Der Anlass war, dass diese geschichtspolitisch interessierten Leute, die das teilweise dann auch zu ihrem Beruf gemacht haben, zu den Verbrechen der deutschen Gebirgsjäger geforscht hatten. Die Gebirgsjäger aus Mittenwald waren vor allem in Griechenland, z.B. in Kommeno, an fürchterlichen Massakern beteiligt. Ungeachtet dieser Geschichte fanden jedoch jedes Jahr am « Hohen Brendten » Traditionstreffen dieser Truppe statt – auch unter Beteiligung der Bundeswehr. Das war halt ein Meeting alter Nazis und Wehrmachtstruppen mit dem aktuellen Militär. Und auch die damals noch sehr präsente Wehrmachtsausstellung des « Hamburger Instituts für Sozialforschung » war für einige sicher ein Auslöser, sich der Gebirgsjäger anzunehmen, glaube ich. Auch deren Massaker kamen ja in der Ausstellung vor.
• Die Gebirgsjäger existieren ja auch heute noch als Teil der Bundeswehr.
Ja, das stimmt. Als Wehrmachtsteil sind die nach dem Krieg nicht einfach verschwunden wie SS-Kampfverbände, die sind trotz ihrer Beteiligung an den Massakern immer noch da. Und das Gedenken lief ja auch gemeinsam mit den heutigen Gebirgsjägern der Bundeswehr ab. Das war völlig ungebrochen, bis 2002 jedenfalls.
• Wie war denn das damals, als da plötzlich Leute mit einem Bus auftauchten, die dieses ungebrochene Gedenken nicht einfach hinnehmen wollten ?
Das erste Mal wars ja, wie gesagt, unangekündigt. Dazu wurde nicht offen mobilisert, sondern eher intern. Da gab es diesen Reisebus, der fuhr zu einer Gaststätte in Mittenwald, wo die alten Männer und ihre jungen Nachfolger sich trafen, zusammen gegessen haben und ihrer Tradition gedachten. Da waren vor allem die Alten, aber auch junge Bundeswehrsoldaten dabei. Die saßen da teils in miltärischer Tracht und Uniform, manche waren auch in zivil. Die haben wir da heimgesucht. Wir sind dann da rein. Man konnte da einfach so reingehen. Drinnen haben wir Portraits der Täter hochgehalten und versucht, sie mit ihren Verbrechen zu konfrontieren – wir hatten ja auch ein Megaphon dabei. Wir hatten auch Apfelkompott mitgebracht, weil die Geschichte rumgeht, dass die Gebirgsjäger nach einem ihrer Massaker zur Belohnung Apfelkompott aus der Feldküche bekommen haben. Als wir damit ankamen sind sie ziemlich ausgeflippt. Ich hab noch Fotos von wütenden alten Männern, die versuchen, uns die Bildtafeln aus der Hand zu reißen und sogar die Leute schlagen wollen, die die Schilder hochhielten.
• Ich gehe jetzt nicht davon aus, dass euch die örtliche Polizei vor den aggressiven alten Männern beschützt hat, oder ?
Als wir da ins Gasthaus sind, war die Polizei gar nicht vor Ort. Die wurden von den Kameraden drinnen erst gerufen. Wir sind darufhin wieder in unseren Bus gestiegen. Da ist ja Grenzgebiet, deshalb konnten wir dank unseres schlauen Busfahrers die Polizei sogar zunächst abhängen, indem wir mit einen Schlenker durch Österreich zu unserer Unterkunft gefahren sind. Durch Österreich durfte die Polizei uns ja nicht hinterher. Für die Busfahrer waren die Fahrten nach Mittenwald überhaupt immer eine schwierige Sache. Die Lenk- und Fahrzeiten wurden immer genauestens kontrolliert, außerdem verlängerten sich jedesmal ihre Arbeitszeiten durch komplette Durchsuchungen der Busse auf der Hin- und Rückfahrt. Beim Mittenwald-Besuch hat uns der Busfahrer jedenfalls erstmal vor der Polizei in Sicherheit gebracht. Später haben sie den Bus dann aber an der Jugendherberge entdeckt. Am nächsten Tag haben sie das ganze Haus dann umstellt, um unter dem Vorwand des « Hausfriedensbruchs » unsere Personalien zu bekommen. Ein Strafbefehl kam dann aber nie.
• Ist das bezeichnend für den Umgang der bayrischen Polizei mit euch gewesen ?
Die bayrische Polizei ist einfach fürchterlich (lacht). Die haben das Spektakel in all den Jahren immer intensiv « begleitet ». Ohne Finten zu schlagen hätten wir unseren Zielort nie erreicht. Da mussten wir schonmal geschlossen aus dem Bus raus und schnell in so eine « Bummelbahn » rein, die von Garmisch nach Mittenwald fährt, damit wir überhaupt zum « Hohen Brendten » kommen. Dort trafen wir dann auf das « USK », das das Gedenken schützte.
• Ließen sich eure Proteste denn nicht anmelden und « unter den Schutz des Versammlungsrechts » stellen ?
Öffentlich war immer nur die Veranstaltung in Mittenwald selber, auf dem Marktplatz. Da konnten auch Kundgebungen am Bahnhof stattfinden und Veranstaltungen mit Zeitzeugen. Mit Überlebenden des Todesmarsches nach Mittenwald und auch mit Überlebenden der Massaker. In Mittenwald konnte die Stadt solche Kundgebungen nicht verhindern. Auch Konzerte am Abend haben da stattgefunden, einmal waren z.B. « Microphone Mafia » dabei. Die Proteste wurden dann ja auch größer. Auf dem Höhepunkt kamen da schon ein paar hundert Menschen zusammen. Aus dem Ort selber hat es aber so gut wie keine Beteiligung gegeben. Ich habe nur zwei Mittenwälderinnen kennengelernt, die mitdemosntriert haben. Die hatten bestimmt keinen leichten Stand im Ort.
- Inhaltsverzeichnis
- Seite 1 : Interview zur G7-Liberation-Tour 2015
- Seite 2 : Mittenwald musste zur Kenntnisnahme der eigenen Geschichte gezwungen werden.