Vom Zuschauerraum auf die Anklagebank
Vom Zuschauerraum auf die Anklagebank
Latife erzählte bei der folgenden Gesprächsrunde noch einmal ausführlich von ihrem eigenen persönlichen und politischen Hintergrund. Für sie war die Knast- und Anti-Repressionsarbeit sehr prägend und bedeutsam, mit der sie als Angehörige eines linken Gefangenen noch in der Türkei lebend begonnen hatte und die sie später auch in Deutschland bis zu ihrer eigenen Verhaftung im Juni 2013 fortgesetzt hatte. An vielen Prozesstagen hatte sie in demselben OLG-Saal im Zuschauerraum gesessen, in dem nun das Verfahren gegen sie selbst stattfindet – viele der Richter*innen, Staatsanwält*innen und Justizangestellte kennen sie seit Jahren. Sie hat zahllose Kundgebungen vor Knästen organisiert, Briefe an Gefangene geschrieben und Öffentlichkeitsarbeit gemacht. Und sie berichtete gerührt davon, wie viel ihr selbst es in den Wochen ihrer Haftzeit – z.T. in Isolationshaft sitzend – bedeutet hat, einen ersten Brief von einem Freund in den Händen zu halten, oder zu erfahren, dass ihre Freund*innen eine Kundgebung organisierten.
Für sie als Antifaschistin, Antirassistin und Revolutionärin sei es auch immer wichtig gewesen, sich dort, wo sie lebt – also in Deutschland und in Wuppertal – gegen die schlechten und rassistischen Zustände zu wehren. Für sie war es z.B. selbstverständlich, zusammen mit deutschen und migrantischen Antifaschist*innen gegen Nazis zu protestieren. So organisierte sie z.B. am 29.5. 2013 – vier Wochen vor ihrer Verhaftung – die Solinger Demonstration zum Gedenken an den Anschlag auf das Haus der Familie Genç mit, und beteiligte sich an Wuppertaler Protesten gegen Nazi-Aufmärsche. Außerdem organisierte sie u.a. zusammen mit der Alevitischen Gemeinde im Sommer 2013 mehrere Gezi-Solidaritätsdemos in Wuppertal und der Umgebung. All diese – ganz normalen und öffentlichen – politischen Aktivitäten finden sich nun in der Anklage der Staatsanwaltschaft wieder.
Latife hat aber auch eine ganze Menge gemacht, was öffentlich weniger bekannt war. Zum Beispiel hat sie sich, nachdem sie 2009 zur Vorsitzenden des Vereins Anatolische Föderation gewählt wurde, mit anderen migrantischen Frauen gegen die rassistische Diskriminierung durch die deutsche Mehrheitsgesellschaft und gegen die Unterdrückung als Frauen durch ihre Männer organisiert. Sie unterstützte migrantische Familien, Frauen und Jugendliche, organisierte Bildungsarbeit und investierte viel Zeit und Energie in kulturelle Aktivitäten. Diese Aufzählung an Aktivitäten müsste eigentlich bereits ausreichen, um die Unterstellung der Generalstaatsanwaltschaft, die Anatolische Föderation sei nichts anderes als eine getarnte Umfeldorganisation der DHKP-C, zu dementieren.
Der NSU-Komplex als Katalysator der Anklage ?
Latife hob allerdings noch eine weitere, nicht ganz unwichtige Aktivität der Föderation hervor : Frühzeitig hatte diese nämlich lautstark öffentlich gemacht, was inzwischen als offenes Geheimnis gilt : die Verwicklung staatlicher Behörden, und insbesondere des Verfassungsschutzes, in die Mordserie des NSU. Und das tat der Verein bereits vor der Selbstenttarnung des NSU im November 2011, nachdem die Anatolische Föderation Kontakt zur Familie eines der Mordopfer erhalten hatte. Im Januar 2012 startete die Anatolische Föderation eine Kampagne zu der Mordserie. Sie beteiligte sich an der Bündnisdemo « Verfassungsschutz auflösen » im Dezember des gleichen Jahres in Köln und war zum Prozessauftakt gegen Zschäpe, Wohlleben und Co. mit einer Delegation in München. Es ist sicher nicht an den Haaren herbeigezogen, dass sich manche Person in mancher Sicherheitsbehörde dadurch auf die Füße getreten fühlte. Nun steht also die Vorsitzende eines migrantischen Vereins, der schon sehr früh – lange bevor die meisten Medien aufmerksam wurden – die Komplizenschaft des deutschen Staates mit den Nazi-Terroristen benannte, selber wegen Terrorismusvorwürfen vor Gericht.
Im Anschluss an Latifes Schilderung erläuterte Rechtsanwalt Roland Meister seine Einschätzung des Prozesses. Er kann auf reichliche Erfahrung mit § 129-Verfahren zurückgreifen ; Meister hat zahlreiche Verfahren gegen türkische und kurdische Linke als Anwalt begleitet. Er hob nochmals hervor, dass der Paragraph systematisch eingesetzt wird nicht um strafbare Handlungen zu verfolgen, sondern dazu, Gesinnungen und politische Haltungen zu bestrafen. Er merkte an, dass die Staatsanwaltschaft im Prozess gegen Latife aber noch über das übliche Anklagemuster hinausgeht. Denn die Anklage nimmt hier tatsächlich keinerlei Bezug auf irgendeine Verbindung Latifes zur Türkei ; sie klagt ausschließlich vollkommen « normale » politische Aktivitäten in Deutschland an, wie die Teilnahme an Veranstaltungen oder die Anmeldung von Demonstrationen.
Abschließend machte Roland Meister noch einmal deutlich, wie deutsche Innenpolitiker und Sicherheitsbehörden in mancher Hinsicht auch über das hinausgehen, was die oft als faschistisch gescholtenen türkischen Behörden bei ihrer Repressionsarbeit tun : So wurde bspw. kürzlich in der Türkei ein Konzert der linksradikalen Musikgruppe Grup Yorum zwar zwischenzeitlich verboten, ein türkisches Gericht kassierte jedoch letzten Endes dieses Verbot. Das Konzert konnte wie geplant vor tausenden Zuhörer*innen stattfinden. In Deutschland wird der Verkauf von Eintrittskarten zu einem Grup Yorum-Konzert hingegen als Beweismittel für die Unterstützung einer terroristischen Verienigung in die laufenden 129b-Verfahren eingebracht. Und die in nach wie vor frei in der Türkei erscheinende Wochenzeitung « Yürüyü ? », die ebenfalls als DHKP/C-nah gilt, weil sie erst kürzlich die staatlichen Aussagen zur tödlich verlaufenden Geiselnahme eines Staatsanwaltes anzweifelte, wurde im Mai durch das Bundesinnenministerium verboten.
Weitere Unterstützung erwünscht !
Der Auftritt Latifes bei der Veranstaltung hinterließ bei vielen der Teilnehmenden einen tiefen Eindruck : Entschlossen und gleichzeitig authentisch schilderte sie, wie die Ermittlungen und der Prozess Einfluss auf ihr Leben nehmen und wie sie versucht, sich davon nicht brechen zu lassen. Ihr weiterer Weg durch das Verfahren verdient jede Unterstützung, die wir geben können. Leider fand sich trotz zahlreicher Unterstützungsbekundungen – (die Spendenkasse war am Ende gut gefüllt ; vielen Dank dafür!) – bislang noch niemand bereit, sich konkret an der weiteren Prozessbeobachtung in Düsseldorf zu beteiligen. Wer Interesse hat, darf sich gerne an uns – Freundinnen und Freunde von Latife – wenden. Allen, die erstmals zu einem solchen Verfahren wollen, bieten wir an, beim ersten Mal gemeinsam nach Düsseldorf zu fahren. (Kontakt)
Die nächsten Prozesstermine sind am Montag, den 20.7., Donnerstag, den 23.7. und am Donnerstag, den 30.7.2015 am OLG in Düsseldorf (Kapellweg 36).
- Inhaltsverzeichnis
- Seite 1 : Großes Interesse am Prozess gegen Latife
- Seite 2 : Vom Zuschauerraum auf die Anklagebank