You make the difference with refugees - we do not !
You make the difference with refugees - we do not !
Manches am neuen Asylrecht liest sich wie eine systematische Anleitung, die als « nicht verwertbar » angesehenen Menschen von jeder gesellschaftlichen Teilhabe abzuhalten und ihre Stigmatisierung gesetzlich festzuschreiben : Während die Dauer des Lageraufenthalts eigentlich « nur » von drei auf sechs Monate verlängert werden soll, sollen sie künftig für die ganze Dauer des Asylverfahrens bis zu ihrer Deportation interniert werden. Auch kollektive Ausschlüsse vom Zugang zu Bildung und Arbeitsverbote werden für die große Gruppe der « Geduldeten » gesetzlich verfestigt ; für Menschen aus « sicheren Herkunftsländern » gelten Arbeits- und Lernverbote sogar unbegrenzt – in den für sie geplanten Speziallagern soll konsequenterweise sogar die Schulpflicht für Kinder abgeschafft werden.
Diese Unterscheidung zwischen « guten » und « bösen » Geflüchteten ist schlicht nicht akzeptabel ; Menschenwürde ist ebenso wie die (Mit-) Verantwortung Deutschlands für die Fluchtursachen unteilbar. Endgültig unerträglich wird der Versuch der Selektion dann, wenn die diskriminierenden und ausgrenzenden Gesetze auch noch « humanitär » begründet werden – beispielsweise, wenn laufend suggeriert wird, « falsche » Geflüchtete nähmen den « wirklich hilfsbedürftigen » die zu knappen Ressourcen weg. Eine Beteiligung geflüchteter Menschen an den Diskursen zu Flucht, Fluchtgründen und zum Umgang mit der gesamten Situation würde schnell zeigen, dass die Versuche des gegeneinander Ausspielens bei den meisten auf kein Verständnis stoßen. Die oft erprobte Herrschaftsmethode der Entsolidarisierung – die leider auch bei schon länger in Deutschland lebenden Migrant*innen immer häufiger verfängt – erweist sich bei den Geflüchteten oft (noch) als wirkungslos – viele fühlen sich durch die gemeinsame Flucht und durch gemeinsame Erfahrungen nach der Ankunft viel zu sehr verbunden.
In einer gemeinsam mit in Wuppertal lebenden Geflüchteten erarbeiteten Erklärung* zu den Änderungen des Asylrechts betonen die Refugees, dass die Unterscheidung zwischen « echten » und « falschen » Fluchtgründen eine der Behörden und nicht die ihre ist. Allen unterschiedlichen Bedürfnissen zum Trotz, so hat die Frage nach einer schnellen Familienzusammenführung für syrische Geflüchtete naturgemäß eine höhere Priorität als für andere Refugee-Gruppen, stehen alle nach Deutschland Gekommenen vor ähnlichen Problemen. Die Fragen, die sie beschäftigen sind die gleichen : Wo kann ich zukünftig leben ? Kann ich irgendwo in der Nähe meiner Verwandeten oder Freund*innen unterkommen ? Komme ich überhaupt unter ? Wann kann ich damit beginnen, mir meine neue Umgebung zu erschließen ? Wann darf ich arbeiten, wo kann ich Deutsch lernen ? Wann wird über mein Verfahren entschieden, und wieso dauert der Prozess so lange ? Eine unterschiedliche Behandlung aufgrund der Herkunft wird von ihnen abgelehnt.
Apokalyptische Metaphern und verräterische Eile
Dabei sehen die Angekommenen durchaus die organisatorischen Probleme. Doch mögliche Engpässe bei der Unterbringung oder der personellen Ausstattung von Behörden und Ämtern sind hausgemacht. Es wäre Zeit gewesen, Infrastruktur und Ausstattung an sich verändernde Anforderungen anzupassen. Die Menschen, die zuletzt eingereist sind, sind schließlich nicht plötzlich an den Ufern des Plattensees aufgetaucht. Vor einem Jahr hatte sich über den Balkan ein Weg aufgetan, auf dem die lebensgefährliche Route über das Mittelmeer vermeidbar wurde. Weil sie auch « billiger » als der Weg über das Meer war, waren seither viele Menschen dort unterwegs. Das war natürlich bekannt, ebenso, dass deshalb mehr Familien mit Kindern aus ihrer Misere aufbrachen. Dass sich die Situation im September zur anschließend heraufbeschworenen « Krise » entwickeln konnte, ist zudem mutwillig herbeigeführt worden. Nachdem Ungarn kurz zuvor von Deutschland gezwungen wurde, seine bis dahin stillschweigende Praxis der Duldung eines Transits zu beenden, entstand erst der « Rückstau » von Flüchtenden am Budapester Bahnhof.
Erst als sich die mutwillige Unterbrechung der Reiseroute nicht mehr halten ließ, nachdem die Refugees zu Fuß die Öffnung der Grenzen erzwungen hatten, wurde ihre Ankunft zur täglich medial in die Wohnzimmer übertragenen « Flüchtlingskrise », weil sich der « Rückstau » schlagartig aufzulösen begann. Das langjährige Versagen führte so tatsächlich dazu, bei der hastigen Ausstattung von Turnhallen oder Zeltlagern und bei der Erstversorgung der Ankommenden auf das Engagement Freiwilliger angewiesen zu sein, für deren Mobilisierung dann häufig genug Metaphern verwendet wurden, die sich kaum von apokalyptischer Hetze durch Pegida und Co. unterschieden. Manches bleibt rätselhaft. Etwa die durch den SPD-Parteivorsitzenden Gabriel genannte « eine Million » neuer Geflüchteter für dieses Jahr in Deutschland : In den ersten acht Monaten sind genau 231.302 Asyl-Erstanträge gestellt worden.
Und selbst wenn es – wie vom Wuppertaler Sozialdezernenten behauptet - zum Ende des Jahres 5.000 neu angekommenen Wuppertaler*innen geben sollte, kann dies in einer Stadt mit 350.000 Einwohner*innen kaum zu jenen Verwerfungen führen, die jetzt auch als Begründung für die verräterische Eile herhalten müssen mit der das Gesetz durch die instanzen geprügelt wird. Schon im Oktober sollen Bundestag und Bundesrat die Pläne durchwinken, bereits Anfang November soll das neue Asylrecht in Kraft treten. Die Eile verrät dabei vor allem : Die Initiator*innen ahnen, dass die drastischen Verschärfungen in der aktuellen Situation eigentlich kaum durchsetzbar wären.
Die Argumente die bemüht werden, um Eile und Härte des neuen Gesetzes zu begründen, entbehren nicht einer gewissen Komik : Selbst der bayrische Ministerpräsident wird kaum glauben, dass Gutscheine abschreckender sein können als Überfahrten in abgetakelten Seelenverkäufern. Auch das Gerede über eine „europäische Solidarität” wird sich für alle, die wirklich mal mit Flüchtenden sprechen, schnell als purer Unsinn herausstellen. Es gibt bei denen die unterwegs sind, keinerlei Bereitschaft, beispielsweise in Rumänien ein neues Leben zu beginnen. Wieso sollten sie auch ? Die Diskussionen und Scheinargumente dienen nur zu einem : Es soll verschleiert werden, dass es um eine Grundsatzentscheidung angesichts einer weltweiten Migrationsbewegung geht, die keinesfalls durch eine Form von Repression aufzuhalten sein wird, die den Menschen gleichzeitig ihren Glauben an eine eigene Moral belässt. In Ungarn wurde schon über einen Schießbefehl spekuliert. Die Verbissenheit mit der der völkische Teil der Politik und der Bevölkerung agieren, zeigt, zu was die Akteure fähig sein werden, wenn alle ausgedachten Schikanen ins Leere laufen. Für die anderen bedeutet es, dass dem kurzen „Sommer des Willkommens” nun eine robust widerständige « Willkommenskultur » folgen muss.
Dem Rollback widersetzen ! Die Richtigen feiern !
Vor Inkrafttreten der Asylrechtsverschärfung möchte sich Deutschland unter dem maximal zynischen Motto « Grenzen überwinden » zum « Tag der deutschen Einheit » am 3. Oktober aber nochmals selbst abfeiern. So zynisch das Motto auch ist – es bietet auch die Chance, die Richtigen zu feiern und aus der Hilfsbereitschaft der letzten Wochen ein gemeinsames politisches Handeln zu machen. Die Chance, die sich ergeben hat, sollte genutzt werden. Das gilt für die Geflüchteten, die zum politischen Akteur in ihrer neuen Heimat werden müssen, das gilt vor allem auch für die vielen, die sich zuletzt überwunden haben, ihre Ohnmacht in selbstorganisiertes Handeln verwandelten und diesen Weg nun weitergehen müssen. Das gilt aber auch für die « klassischen » Akteure der antirassistischen Bewegung, die manchmal (zu) viel Wert auf Distanz zu von ihnen als « unpolitisch » empfundenen „Helfer*innen” legen.
Gemeinsam können die geplanten Gesetzesänderungen unterlaufen werden, gemeinsam können die Forderungen der Refugees als Basis eines besseren Lebens aller zukünftig durchgesetzt werden. Einige derzeit in Wuppertal lebende Geflüchtete und flüchtlingspolitische Initiativen wollen am 3. Oktober damit anfangen und den ganzen Tag dazu nutzen, möglichst viele Menschen über die geplanten Verschärfungen zu informieren. Mit einem Tag voller verschiedener Veranstaltungen von, mit und für Refugees sollen jene gefeiert werden, die Grenzen tatsächlich überwunden haben – real auf der Flucht oder mental auf dem Weg in die Bahnhöfe, vor die Unterkünfte und auf die Straße.
Zusammen soll ein weiterer Schritt gemacht werden : auf Grenzen zu, die viele bislang noch am gemeinsamen Handeln hindern. Am Samstag, den 3.Oktober wird deshalb zu mehreren Veranstaltungen eingeladen :
- 14 Uhr : « Wuppertal ist für alle da ! » – Wuppertaler*innen veranstalten einen Familiennachmittag mit Musik, Essen und Kinderspielen am und im Café ADA (Wiesenstraße 6, Wuppertal-Elberfeld)
- 19 Uhr : « Refugees Welcome Area Ölberg » – Monatlicher Abend von welcome2wuppertal im Stil-Bruch (Marienstraße 58, Wuppertal-Elberfeld): mit Refugees kochen, essen, reden, Musik hören und machen.
- 23 Uhr : « Kingston Klub – Refugees welcome special” im Klub an der Gathe. Alle DJs und Mitarbeiter*innen verzichten an diesem Abend auf Honorar, der Eintritt ist frei. (Gathe 50, Wuppertal-Elberfeld).
* Die Veröffentlichung der gemeinsamen Erklärung geflüchteter Menschen und Unterstützer*innen zum Asylrecht ist für den Aktionstag am 3.Oktober geplant.
- Inhaltsverzeichnis
- Seite 1 : Ihr Asylrecht : Selektion, Internierung, Deportation
- Seite 2 : You make the difference with refugees - we do not !