Am Samstag zeigte die Wuppertaler Polizei ihre Lernunwilligkeit.
Die Kundgebung der Miniaturpartei « Pro Deutschland » am Samstag, den 27.2.2016 in Wuppertal-Barmen auf dem Johannes Rau-Platz wäre normalerweise keiner weiteren Erwähnung wert. Es war das für Wuppertal übliche : Den 15 Nazi-Hooligans und weiteren 25 Politclowns standen mehr als 500 Wuppertaler*innen gegenüber, die ihre Abneigung gegen rassistische Hetze auf verschiedenste Art lautstark zum Ausdruck brachten. Bislang sind hier noch alle Versuche von Nazis und Rassisten zur Mobilisierung gescheitert. Was es für uns dennoch notwendig macht, zwei Tage danach noch etwas dazu zu veröffentlichen, waren die miteinander verbundenen Begleitumstände des Geschehens auf dem Johannes Rau-Platz. Dabei fanden ein überzogenes Gehabe der Polizei gegenüber Teilnehmer*innen der Gegenkundgebung und Naziprovokationen zueinander. Es illustrierte die entstandene Diskussion um die Wuppertaler Polizei auf bemerkenswerte Weise. Es veranlasst uns zu einer für unsere Verhältnisse fast schon staatstragenden Betrachtung des Samstags.
Die lokale Presse konzentrierte sich am Samstag offenbar auf den Platz der beiden Kundgebungen und stellte der Polizei hinterher ein gutes Zeugnis aus, weil « alles weitgehend friedlich » blieb. Hätten einige auch mal auf den Werth geschaut, über den viele der Teilnehmer*innen zur Gegenkundgebung kamen, wären ihnen überzogene Personalienfeststellungen und willkürliche Ingewahrsamnahmen von Gegendemonstrant*innen aufgefallen. Doch auch auf dem Kundgebungsplatz hätten die Berichterstatter etwas genauer hinsehen können. Es wäre dann vielleicht nicht unerwähnt geblieben, dass sich auf der Seite der « Pro Deutschland»-Kundgebung ein für die lebensgefährliche Messerattcke am Wuppertaler AZ verurteilter Nazi-Hool produzieren und die Gegendemonstrant*innen provozieren konnte, ohne dass die Anmelder der Kundgebung oder die Polizei einschritten. Immerhin führte später ein gezeigter Hitlergruß eines anderen Teilnehmers der rassistischen Kundgebung noch zu einer Anzeige.
Die sich gleichzeitig auf dem Werth abspielenden Szenen stehen dazu in einem krassen Missverhältnis, das wieder einmal die Frage aufwirft, ob die Polizei in Wuppertal nicht auf ein linkes Feindbild fixiert bleibt, während sie die – nicht erst seit dem Beinahe-Tötungsdelikt am AZ – nachgewiesenermaßen gefährlichen Aktivitäten von Nazis und Rassisten verharmlost oder gar nicht erst wahrnehmen will. Wie der Einsatzleiter auf spätere Nachfrage durch einen Landtagsabgeordneten aussagte, war es Polizeitaktik, Teilnehmer*innen der Gegenkundgebung bereits vor Erreichen der Kundgebung zu beobachten und auch festzusetzen falls dies « erforderlich » sein sollte. Was die Wuppertaler Polizei dabei für « erforderlich » hält, lässt sich an den Ereignissen auf dem Werth exemplarisch aufzeigen.
Einige junge Menschen waren auf dem Werth zu Fuß unterwegs zur angemeldeten Gegenkundgebung ; eine Person musste sich auf dem Weg ihren Schuh zubinden, wofür sie sich hinkniete. Weil das laut Polizeiaussage einen der Einsatzwagen der Cops behinderte, wurden alle Personen eingekesselt um ihre Personalien festzustellen. Als andere Menschen das bemerkten und den Einsatz beobachten wollten, wurden sie von einem äußerst aggressiv auftretenden einzelnen Polizisten angeherrscht, die « Polizeimaßnahme » nicht zu « behindern ». Sie sollten sich unmittelbar entfernen. Der Versuch, durch Ansprache wenigstens die Namen der Festgesetzten zu erfahren, wurde durch Wegschubsen der Beobachtenden und zuletzt durch die Festnahme zweier Peronen aus der Gruppe der Hinzugekommenen unterbunden.
Bis zur Provokation durch einen einzelnen Polizisten war die Situation auf dem Werth vollkommen ruhig gewesen. Der sich an der Festnahme der beiden Personen entzündende Streit führte in der Folge zu Solidarisierungen von vorbeikommenden Passant*innen mit den Festgenommenen einerseits und zu einem Schulterschluss der anderen Polizist*innen des Einsatzzuges 2922 mit dem aggressiven Kollegen andererseits. Versuche der Umstehenden die Lage zu beruhigen und eine Freilassung der beiden Festgesetzten zu erreichen, scheiterten. Im Verlauf kam es zu bemerkenswerten Aussagen. Der für den Werth zuständige Einsatzleiter gab z.B. an, zu wissen, wer gemeint sei, als er auf den die Situation auslösenden aggressiven Polizisten angesprochen wurde. Auf die Frage, weshalb ein bekannter Provokateur in den Reihen der Polizei dann nicht mal « in die Pause geschickt » werden könne, gab es keine Antwort.
Als demonstrationserfahrene Beteiligte wissen wir, dass diese Episode keine Besonderheit darstellt und für antifaschistische und antirassistische Demonstrant*innen Alltag bedeutet. Beide Festgenommenen waren einige Stunden später wieder frei, und obwohl eine der Ingewahrsamnahmen äußert gewaltvoll ablief, gab es, soweit bekannt, auch keine ernsten Verletzungen. Beinahe täglich erleben Menschen, die sich sich Hasskundgebungen entgegenstellen wollen, Schlimmeres. Doch gerade weil es diesmal « nur » um ein überzogenes Verhalten der Polizei bei einer eigentlich « zivilgesellschaftlich » geprägten Kundgebung ging, empfinden wir das als Gelegenheit, zwei am Samstag zutage getretene Aspekte zu benennen, die strukturell vielen Fällen von Polizeiwillkür und -gewalt zugrunde liegen und damit für Wuppertal, aber auch darüberhinaus von Bedeutung sind.
1. Unerträglicher Corpsgeist der Polizei
Den aggressiv provozierend auftretenden Polizisten zu kennen, ihn aber nicht frühzeitig vom sensiblen Demonstrationsgeschehen zu entfernen, ist seitens der Einsatzleitung unverständlich. Ebenso unerträglich ist die automatische Solidarisierung der mit ihm eingesetzten Kolleg*innen, obwohl mehreren von ihnen anzumerken war, dass sie ihr Vorgehen selber für überzogen hielten. Ständig durch die Polizei und ihre Gewerkschaften vorgetragene Forderungen, von Seiten Demonstrierender nicht zu pauschalisieren und die Dinge und Verantwortlichkeiten differenziert zu betrachten, laufen ins Leere, wenn der »kameradschaftliche » Corpsgeist auf Seiten der Polizei selber zur Differenzierungsunfähigkeit führt. Gruppendynamische Prozesse als Auslöser von Konflikten sollten auch der Polizei bekannt sein. Warum versuchen die Cops dann nicht, diese in ihren eigenen Reihen zu kontrollieren ? Was hindert Polizist*innen daran, überzogen reagierende Kollegen zurück zu halten ? So ein Verhalten nur bei Demonstrierenden einzufordern, selbst aber nicht einzulösen, bleibt scheindemokratisches Gepose.
2. Falsche Vorgaben der Einsatzleitung(en)
Vom Kopf stinkt der Fisch. Noch vor dem Agieren der Polizist*innen in den konkreten Situationen gibt es die grundsätzliche Einsatztaktik und das grundsätzliche Einsatzziel. Wenn die Vorgabe ist, anreisende Teilnehmer*innen einer Gegenkundgebung möglichst schon auf dem Zuweg zu scannen und notfalls vor Erreichen des Kundgebungsortes festzusetzen, stellt sich die Frage, wieso das eigentlich notwendig ist. Welche Gefahrenlage wird von Polizeipräsidentin Radermacher und der Einsatzleitung angenommen, wenn sich Menschen zu einer Kundgebung bewegen wollen, an der auch der Oberbürgermeister, Landtagsabgeordnete und Stadtratsverordnete teilnehmen ? Wenn, wie am Samstag, auf der anderen Seite ein wegen der Beteiligung an einem Kapitalverbrechen verurteilter Nazi ungestört Freund*innen seines lebensgefährlich verletzten Opfers provozieren darf, stellt sich die Frage noch dringender, wer für die Polizeiführung(en) eigentlich die zu Schützenden sind.
Das Verhalten der Polizei am Samstag und die unbehelligte Teilnahme eines der Angreifer am AZ bei der rassistischen Kundgebung zeigt, dass die Wuppertaler Polizeileitung aus den Erkenntnissen des Prozesses gegen die Nazi-Hooligans und aus den Klarstellungen bezüglich des Einsatzes der Rettungskräfte in der Tatnacht keinerlei Konsequenzen ziehen will. Abseits öffentlicher Beobachtung lebt sie ihre Fixierung auf ein linkes Feindbild immer weiter aus – wie in der Tatnacht am AZ oder – wenn auch weit harmloser – am Samstagmittag auf dem Werth.
In einer sich zuspitzenden gesellschaftlichen Situation mit fast permanenten Hassdemonstrationen und rechtem Terror müsste die Rolle des Staates, der sein « Gewaltmonopol » und seine Polizei als sankrosankt betrachtet, sehr ernsthaft überprüft werden. Am Beispiel Wuppertals (und vieler anderer Orte) lässt sich aufzeigen, dass dafür zuallererst die das « Gewaltmonopol » Leitenden – in Wuppertal also die Polizeipräsidentin Birgitta Radermacher – bezüglich ihrer Einsatzvorgaben hinterfragt und ggf. eben auch ausgewechselt werden müssen. Anhaltende Pauschalisierungen und zunehmende Konfrontationen sind in der Zukunft sonst unvermeidlich.
*** Veranstaltungshinweis : Donnerstag, 10. März, 19:00 Uhr in der Citykirche Elberfeld : Polizeiversagen in Wuppertal, eine Infoveranstaltung zu den Vorkommnissen rund um den AZ-Überfall