Bericht aus dem NoBorder-Camp in Thessaloniki

Auf welcher Basis werden die dort inhaftiert ?

Auf welcher Basis werden die dort inhaf­tiert ?

Das entspricht eigent­lich nicht den EU-Aufnah­me­richt­li­nien, aber das passiert einfach. Deswegen sind diese Erste-Hand-Infos aus diesen Ländern z.B. für hier tätige Rechts­an­wälte auch so wertvoll, weil die sich in den Verfahren norma­ler­weise nur auf oft geschönte offizi­elle Angaben stützen können. Deswegen gab es zuletzt eine Delega­tion von Rechts­an­wäl­tinnen nach Tsche­chien. Das kann natür­lich nicht konti­nu­ier­lich geschehen. Wenn es nun Kontakte zu vor Ort existie­renden Struk­turen gibt, ist das hilfreich.

Konntest du mit Menschen aus Polen oder Ungarn reden ? Wie lebt es sich für Aktivis­tinnen in den Visegrad-Staaten ? Haben die was erzählt ?

Die Genos­sinnen aus Bulga­rien sind z.B. in einer echt beschis­senen Lage, das sind insge­samt nur sehr wenige – deutlich weniger als z.B. in einer deutschen Großstadt. Und die Freunde aus Sofia sagen, dass es ungeheuer wichtig wäre, mehr Kontakte zu den Grenzen zu haben, wo Geflüch­tete regel­mäßig von Milizen gejagt und zusam­men­ge­schlagen werden. Und zumin­dest in Sofia würde z.B. ein Soziales Zentrum als Anlauf­punkt dringend benötigt. Im Augen­blick sind sie aber zu wenige, um soetwas durch­zu­setzen. Am liebsten hätten sie deshalb auch Support aus anderen Ländern, von Menschen, die sich vorstellen können, mal nach Sofia zu gehen und dort gemeinsam etwas aufzu­bauen.

Anfang des Jahres habe ich ja die Diskus­sionen inner­halb der radikalen Linken verfolgt, als es darum ging, ein solches Camp aufzu­ziehen. Damals haben viele ein solches inter­na­tio­nales Treffen ja noch als wichtigen Punkt in der gesamten Ausein­an­der­set­zung um eine « Festung Europa » angesehen. Seitdem haben sich die Dinge ja ungeheuer beschleu­nigt und verän­dert – ist für dich von dem Camp irgend­eine Form von « Aufbruch » gegen die Etablie­rung des Grenz­re­gimes ausge­gangen ? War es der Anfang einer « Gegen­of­fen­sive » gegen den Rollback ?

Ich wünschte, ich könnte das sagen. Aber in Griechen­land wurde z.B. durch das Ende der realen Bewegung – also der Migra­tion – auch die Dynamik gestoppt. Da ist zur Zeit auch nicht wirklich dran zu rütteln. Es kommen zwar immer mal wieder Leute durch – aber nur mit viel Geld z.B. Vielleicht wäre Italien dafür der geeig­ne­tere Ort gewesen… Über Leute vom Alarm­phone habe ich mitbe­kommen, dass an einem Tag alleine 1.800 Leute in Italien angekommen sind. Dort wird derzeit auch eher die Dynamik der Migra­ti­ons­be­we­gung sein. In Griechen­land ist das alles etwas zum Erliegen gekommen und konzen­triert sich derzeit auf den recht­li­chen Weg der Famili­en­zu­sam­men­füh­rung z.B.

Hast du also im Camp eine ähnliche Frustra­tion wieder­ge­funden, wie sie derzeit viele Menschen aus politisch arbei­tenden Initia­tiven hier haben ?

Die totale Stagna­tion drückt natür­lich auf die Stimmung. Es gibt nicht wirklich das Gefühl, auf der politi­schen Ebene etwas bewegen zu können. Viele konzen­trieren sich momentan eher auf die recht­li­chen Ebenen : Etwa Dublin-Verfahren, Famili­en­zu­sam­men­füh­rung usw. Viele, etwa in Griechen­land, befinden sich ja auch selber in teilweise existen­zi­ellen Krisen. Denen gehen inzwi­schen die Resourcen aus – die Spenden­auf­rufe für Spiel­zeug für Kinder in den Camps sind absolut ernst­ge­meint.

Die zehn Tage waren außer­halb des Camps ja auch ereig­nis­reiche Tage. Da war Nizza, oder der versuchte Putsch in der Türkei. Habt ihr im Camp davon etwas mitbe­kommen ? Hatte das einen Impact für die Thematik des Camps ?

Die Anschläge eher nicht, aber der Putsch­ver­such in der Türkei ganz massiv. Die Beendi­gung des EU-Türkei-Deals war ja ohnehin ein zentrales Anliegen des Camps. Aber auch die Forde­rung nach sicheren Korri­doren wurde mit den Ereig­nissen in der Türkei noch dring­li­cher. Es gab eine größere Gruppe von Genos­sinnen aus der Türkei im Camp, und von denen haben sich noch in der Zeit des Camps viele überlegt, ob sie überhaupt noch in die Türkei zurück­kehren sollen. Die haben dann auch einen Protstmarsch zur türki­schen Botschaft in Thessa­lo­niki organi­siert.

Haben die etwas geäußert, was wir hier in der aktuellen Lage tun könnten ?

Manche haben vielleicht noch die Illusion, wir hätten viel Einfluss auf unsere Politi­ke­rinnen. Die wünschen sich, dass wir Druck auf die europäi­schen Regie­rungen machen, Erdogan zu kriti­sieren und den EU-Türkei-Deal zu kippen. Es geht darum, deutlich zu machen, dass die Türkei weder ein sicheres Dritt- noch ein sicheres Herkunfts­land ist. Es werden jetzt mit Sicher­heit wieder viele türki­sche Flüch­tende kommen. Einige befinden sich ja bereits in Europa.

Unterm Strich bist du mit deiner Entschei­dung, nach Thessa­lo­niki zu fahren, aber insge­samt zufrieden ?

Ja, vor allem wegen der Kontakte und weil mich das trans­na­tio­nale Netzwerk von Aktivis­tinnen schon auch sehr beein­druckt hat.

Würdest du dir wünschen, dass eine Gruppe wie welcome2wuppertal in Zukunft wieder etwas über den Talkessel hinaus­schaut und sich trans­na­tional noch besser vernetzt ?

Da würde ich mich total drüber freuen, insbe­son­dere, wenn sich Menschen betei­ligen würden, die die erfor­der­li­chen Sprach­kennt­nisse haben. Es gibt so tolle Projekte überall – z.B. das Alarm­phone, wo jeden Tag Menschen­leben gerettet werden. Da braucht es dringend Überset­zungen von Berichten oder sogar am Telefon der Seenot­ret­tung selber. Auf dem Balkan soll jetzt eine ähnliche Struktur ausge­baut werden, weil auch entlang der Route immer wieder Menschen­rechts­ver­let­zungen vorkommen. Da soll es in Zukunft auch eine Vernet­zung geben, für die noch dringend Support gesucht wird. Dafür braucht es noch Leute die spezi­elle Kennt­nisse haben und die Sprachen können. Wenn sich da Leute einbringen wollen, können die sich über die Kontakte, die z.B. bei Welcome to Europe (w2eu​.info) gelistet sind, einfach melden.

Danke.

* Am Tag nach dem Inter­view (27.7.) wurde bekannt, dass die griechi­sche Polizei drei teilweise bereits seit mehreren Monaten bestehende Squats geräumt hat. Die dort lebenden Refugees wurden in ohnehin bereits überfüllten Isolie­rungs­lager gebracht. Betroffen ist auch das im Inter­view erwähnte, während des Camps besetzte Hauspro­jekt. Dass die nominell linke Syriza-Regie­rung unmit­telbar im Nachgang des in der griechi­schen Presse heftig skanda­li­sierten No Border Camps zu Repres­sionen und Räumungen greift, verdeut­licht die verzwei­felte Lage der geflüch­teten Menschen in Griechen­land.

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