Die Unmöglichkeit, in einer globalen Apartheid zu leben ohne im Faschismus zu enden
Die Unmöglichkeit, in einer globalen Apartheid zu leben ohne im Faschismus zu enden
Dass ein solches Migrationsregime auf Dauer nicht funktionieren kann, ist eigentlich für jeden denkenden und (mit-)fühlenden Menschen sonnenklar. Natürlich, es hat in der Geschichte der Menschheit immer Migrationsbewegungen gegeben, und immer gab es auch mehr oder weniger offene Aufnahmegesellschaften mit mehr oder weniger durchlässigen Grenzen. Die globale Migrationsbewegung des 21.Jahrhunderts hat aber eine andere Dimension als die früherer Zeiten. Zum einen wegen der globalisierten Kommunikations- und Verkehrswege. Zum anderen weil es immer mehr Regionen der Welt gibt, die aufgrund von Klimakatastrophe, Verschmutzung von Wasser, Böden und Luft, von Kriegen oder schlicht von sozio-ökonomischer Zukunftslosigkeitpraktisch unbewohnbar werden. Und die Orte mit relativer Sicherheit und relativem Wohlstands werden parallel immer weniger.
Die Welt globalisiert sich und fällt zugleich auseinander. Die logische Konsequenz ist, dass nicht nur Kapital- und Warenverkehr, sondern auch die Bewegung der Migration in einer solchen Welt zunimmt. Eine solche Bewegung wird niemand stoppen, ohne jedes Menschenrecht und jeden internationalen Standard über Bord zu werfen. Das wäre offener Faschismus bzw. globale Apartheit. Eine Welt, in der sich als Normalität durchgesetzt haben wird, dass der eine Teil der Menschheit in Sattheit und Sicherheit alle Lebenschancen genießt, während der andere zugrunde zu gehen hat.
Die andere Alternative wäre, tatsächlich die Gründe für Flucht endlich anzugehen. Dafür zu sorgen, dass Menschen dort, wo sie leben, auch leben können und wollen. Und solange das nicht überall der Fall ist, eben für sichere Fluchtrouten zu sorgen. Es ist erstaunlich, dass diese Debatte so marginal geblieben ist, weitgehend nur von denen weitergeführt wurde, die sie immer schon geführt haben.
Man hätte denken sollen, dass sich ab 2015 eine solche Debatte verallgemeinert haben müsste. Dass das Erleben von massenhafter Flucht auf beiden Seiten – auf Seiten derer, die flüchten müssen, wie auf Seiten der aufnehmenden Gesellschaft – zu einem gemeinsamen Problembewusstsein hätte führen müssen, und zu einem gemeinsamen Interesse, diese Probleme zu thematisieren. Schließlich kann es auch nicht hinnehmbar sein, wenn weiterhin ein Teil dieser Welt durch Kriege, wirtschaftliche Verelendung, Naturkatastrophen und Klimawandel unbewohnbar gemacht wird, solange nur die Menschen diesen Katastrophen irgendwie entkommen können.
Leider ist diese Diskursoffensive nicht gelungen. Nicht auf zivilgesellschaftlicher Ebene, und auf der Ebene der politischen EntscheidungsträgerInnen erst recht nicht. Derzeit geschieht praktisch nichts – eher das Gegenteil. Das systematische Nicht-Thematisieren der tatsächlichen Flucht-Ursachen ist wahrscheinlich die frappierendste Erfahrung dieser letzten anderthalb Jahre. Je mehr Flüchtlinge da sind, desto größer scheint der Unwille, über die Gründe für deren Flucht zu reden. Nach Schätzungen des UNHCR, sind derzeit an die 60 Mio. Menschen weltweit auf der Suche nach einem Platz zum (Über-) Leben. Doch im Regierungssprech ist die Floskel von der „Bekämpfung der Fluchtursachen“ mittlerweile zur Chiffre für immer neue Rückübernahmeabkommen, Migrationsdeals, Aufrüstung des Grenzschutzes usw. geworden. Fluchtursachen werden nun durch Grenzkontrollen, Kollaboration mit Diktaturen, die Ausstattung afrikanischer Unrechtsregime mit Überwachungstechnologie und dem Abschneiden der Fluchtrouten bekämpft. Fluchtursachen, so die Logik, werden dann wirkungsvoll bekämpft, wenn die Flüchtlinge nicht mehr in Europa ankommen – und möglichst auch nicht mehr an europäischen Küsten angeschwemmt werden.
Es gibt glücklicherweise einige Flüchtlingsselbstorganisationen und auch einige antirassistische, internationalistische Gruppen in Deutschland, die darauf beharren, die Ursachen für Flucht beim Namen zu nennen. Organisationen wie TheVoice gehören dazu, oder das umtriebige Netzwerk Afrique-Europe-Interact, das seit vielen Jahren versucht, Migration und Flucht zusammen mit globalen Problemen wie Landgrabbing und Klimawandel zu thematisieren, und „freedom of movement” und soziale Rechte als Globale Soziale Gerechtigkeit zusammenzudenken. Und die das „Recht zu Gehen und das Recht zu Bleiben“ in den Fokus stellen ; Positionen eines linken Internationalismus, die eigentlich für eine europäische Linke selbstverständlich sein müssten.
Wo wir stehen und was wir schaffen müssten
Im Augenblick fokussiert sich die Debatte in der antirassistischen Linken allerdings sehr auf Fluchthilfe, Bewegungsfreiheit und die Forderung nach safe-passages. Wie sollte das anders sein, angesichts eines Grenzregimes, das jährlich tausende Tote im Mittelmeer produziert und mit möglichst hohen Abschiebezahlen Politik macht. Doch diese Fokussierung hat die große Schwäche, dass „wir“ auf die großen und drängenden globalen Fragen damit noch keine befriedigende Antwort geben.
Was sich festhalten lässt und was ich auch in meiner Beratungspraxis wie in meiner politischen Arbeit erlebe, ist, dass zunehmend auch die zunächst ganz unpolitisch daherkommenden „Ehrenamtlichen“ sich über ihren Kontakt mit Flüchtlingen – und damit auch mit Flüchtlingspolitik – politisiert haben und ihre Zweifel wachsen : Zweifel an einer Migrations-, Asyl- und Flüchtlingspolitik, die grundlegende Menschenrechte der Geflüchteten negiert. Zweifel an nationaler Borniertheit und an einer Welt, die so eingerichtet ist, dass Lebenschancen vom Zufall des Ortes der Geburt abhängt. Zweifel nicht zuletzt an politischen Entscheidungen, die Menschen auseinanderreißen, die inzwischen Freundschaften aufgebaut haben.
In der Beratungsarbeit ist die Frustration, Angst und Verzweiflung bei vielen Geflüchteten, namentlich bei denen aus Afghanistan, mittlerweile mit den Händen greifbar. Erst kürzlich waren einige Jugendliche gekommen, um sich über die Möglichkeit zu informieren, durch einen Berufsausbildungsvertrag zumindest an eine Duldung zu kommen (die sog. Ausbildungsduldung). Es stellte sich dann schnell heraus, dass sie alle noch im Erstverfahren waren und alle noch nicht einmal ihre Anhörung hinter sich gebracht hatten – sie waren subjektiv davon überzeugt, trotz guter Fluchtgründe praktisch keine Chance auf ein Bleiberecht zu haben und bereit, ihre ganze Lebensplanung praktisch auf eine Notlösung hin auszurichten. Es war nicht leicht, ihnen das auszureden. Schließlich liegt, allen ungeheuerlichen Entscheidungen zum Trotz, die bereinigte Schutzquote für AfghanInnen immer noch ca. bei 50%.
Die Wut und die Frustration, die wir in der Beratung und in unseren politischen Zusammenhängen erleben, hat sich noch immer nicht in einer breite politische Artikulation transformiert. Aber sie ist dabei, das zu tun. Die EhrenamtlerInnen, die letztes Jahr noch auf der Willkommenswelle geschwommen sind, schauen inzwischen mit einem ziemlich klaren Blick auf die Entscheidungspraxis des BAMF und die dahinterstehenden Weichenstellungen des Bundesinnenministers. Die Wut wächst, und immer mehr Menschen sind dazu bereit, ihre Wut auch in Leserbriefen, Demonstrationen und öffentlichen Veranstaltungen zum Ausdruck zu bringen. Dasselbe gilt in gleicher Weise zumindest für die afghanischen Flüchtlinge, die sich Ende 2016, Anfang 2017 organisierten und zu Massendemonstrationen gegen die Abschiebungen aufrufen. Bislang sind sie damit ziemlich erfolgreich, zumindest ist das Thema weiterhin extrem umstritten und die Anzahl der Abschiebungen in das Land sind weiterhin sehr gering.
Es entsteht auch eine zunehmende Debatte um so genannte „sanctuary cities“ oder „Welcome-Cities“, die Bereitschaft zur Aufnahme von MigrantInnen (resettlement) durch die Bereitschaft zum Schutz von „Ausreisepflichtigen“ ergänzt. Was derzeit auf nationaler und noch mehr auf europäischer Ebene noch undenkbar scheint, soll auf kommunaler Ebene Praxis werden – auf der Basis von inzwischen gefestigten lokalen Strukturen der Flüchtlings-Solidarität.
Momentan arbeiten AktivistInnen noch an einer weiteren Mobilisierung : Zwei Jahre nach dem „Sommer der Migration“ wollen neu entstandene Strukturen aus Willkommensinitiativen, Flüchtlingsselbstorganisationen und Projektnetzwerken kurz vor der Bundestagswahl nach Berlin reisen, um, so die Idee, dort sichtbar werden und zu zeigen, dass – außer den 20 Prozent potentiellen AfD-WählerInnen – auch noch eine große, starke, inzwischen konsolidierte Bewegung existiert. Eine Bewegung, die tatsächlich enorm viele Menschen anzieht : Legt man aktuelle Umfrageergebnisse der Bertelsmann-Stiftung zugrunde, hat fast jeder zehnte Mensch in Deutschland sich 2016 in irgendeiner Form für Geflüchtete engagiert, sie unterstützt oder mit ihnen zusammengearbeitet. Ein jüngst erschienenes Buch über diese zivilgesellschaftlichen Strukturen spricht von rund 15.000 Projekten, die zwischen 2015 und 2016 entstanden seien. Und das, angesichts von Anfeindungen, Drohungen und körperlichen Angriffen von Nazis, denen FlüchtlingsunterstützerInnen wie auch Geflüchtete oft gleichermaßen ausgesetzt sind unter teils sehr unkomfortablen, gefährlichen Rahmenbedingungen.
Mir erscheint es unwahrscheinlich, dass sich in diesem Wahljahr 2017 eine wirkliche Gegenmacht gegen den rassistisch-wohlstandschauvinistischen Abschottungsdiskurs aufbauen lässt. Völlig klar ist, ist, dass eine desolate und marginalisierte radikale Linke dazu derzeit nicht in der Lage ist. Doch sie kann und muss sich beteiligen und in die Auseinandersetzungen einmischen, die so oder so stattfinden. Es lohnt sich weiterhin auf die in den letzten Monaten verfestigtenn Strukturen der „Ehrenamtlichen in der Flüchtlingsarbeit“ zu schauen, deren Potenzial wertzuschätzen, sie zu stärken und eine weitere Politisierung voranzutreiben – auch mit radikalen Positionen .
- Inhaltsverzeichnis
- Seite 1 : Von der Willkommenskultur zum Abschiebungswettbewerb
- Seite 2 : Der Rollback beginnt und kaum jemand merkt etwas
- Seite 3 : Aus den Augen, aus dem Sinn
- Seite 4 : Die Unmöglichkeit, in einer globalen Apartheid zu leben ohne im Faschismus zu enden