In der Besetzung eines Skandal-Leerstands in der Marienstraße 41 sieht die bürgerliche Lokalpresse den Auftakt von Krawallen um das Autonome Zentrum an der Gathe. In Wahrheit handelte es sich um einen Akt zivilen Widerstands gegen die Herunterwirtschaftung gewachsener Stadtviertel. Die geplanten Nutzungen in der Marienstraße 41 auf dem Ölberg hätten den Menschen der Stadt gut getan. Ein unverantwortlicher Polizeieinsatz beendete aber zunächst den Versuch, aus Nutzlosem Sinnvolles zu machen. Der Polizeieinsatz vom Samstag muss aber nicht nur deshalb noch ein Nachspiel haben.
Wie gut es war, dass das Schusterplatzfest mit Filmvorführung am Samstag ein « solidarisches Nachbarschaftfest » war, zeigte sich nicht nur während des Tages, als das Fest wegen schlechten Wetters kurzerhand auf den Otto-Böhne Platz umzog, und trotzdem recht gut besucht war. Vor allem im Anschluss trug es seinem Namen Rechnung, als viele Nachbar*innen auf die Straßen des Ölbergs gingen, um ihre Solidarität mit den Besetzer*innen des Hauses Marienstraße 41 gegen einen völlig übertriebenen Polizeieinsatz zu zeigen. Dass das besetzte Haus auf dem Ölberg nicht länger gehalten werden konnte, lag unter anderem daran, dass es dann doch nicht mehr als die zwischenzeitlich 150 Menschen waren, die am verregneten Samstagabend den Weg in die Nordstadt fanden.
Stattdessen kamen massenhaft eilig angeforderte Riotcops, die die ganze Nacht über das eigenmächtige Handeln der zuerst auf dem Ölberg eingetroffenen Streifenbeamt*innen absicherten. Dabei gab es meist verbale Scharmützel der Ölberg-Bewohner*innen mit den Besatzern. Dass auch einige Einsatzfahrzeuge Schaden nahmen und drei Müllcontainer abbrannten, erscheint angesichts von insgesamt neun Verhaftungen und einem angedrohten Schusswaffeneinsatz gegen die Besetzer*innen als Petitesse.
Dennoch ließ es sich die « Westdeutsche Zeitung », der Zeitungsmonopolist im Tal, nicht nehmen, aus der « friedlichen Spontankundgebung » (Polizeibericht) « Krawalle am Ölberg » zu machen. Ihr Redakteur Andreas Boller, verstieg sich sogar zu der Aussage, « die Autonomen » hätten am Samstag den « gerade erst aufgestellten Verhandlungstisch » über einen Verbleib des AZ an der Gathe « zu Kleinholz » gemacht – wahrscheinlich sieht er schon dutzende Vermummte aus jenem Kleinholz Barrikaden für den 18.Oktober schnitzen. Dann soll bei einer überregionalen « Tanz- und Kampfdemo » für den Erhalt des Autonomen Zentrums auf die Straße gegangen werden. Mit ihrer Fixierung auf « Randale » und « Autonome » stellt sich die WZ in ihre eigene, vierzigjährige Tradition, linken Protest in Wuppertal zu kriminalisieren und zu entlegitimieren. Schon zur allerersten Hausbesetzung der « Initiative für ein selbstverwaltetes Jugendzentrum » («ISJ») – in der Hubertusallee in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts – veröffentlichte die Zeitung nichts wesentlich anderes als heute.
Schlimmer als die fast fetischhafte Konzentration auf einige abgeknickte Scheibenwischer und platte Reifen ist aber die gähnende Leerstelle in der WZ-Berichterstattung zur Motivation der Besetzer*innen und zu den Zielen der Besetzung. Die einzige Tageszeitung der Stadt geht mit keinem Wort darauf ein. Anstatt – wie von den Kolleg*innen des WDR vorgemacht – kritische Fragen zum Leerstand in den Wuppertaler Quartieren zu stellen, oder aber über die Notwendigkeit sozialer, unkommerzieller Räume in den Kiezen zu diskutieren, fokussiert die WZ auf eine vorgebliche Konfrontation von AZ und muslimischer DITIB-Gemeinde bezüglich des geplanten Moscheeneubaus an der Gathe. Es darf gefragt werden, wessen Geschäft die Zeitung da eigentlich betreibt. Haben doch anlässlich der Hausbesetzung, (obwohl sie nichts mit der Standortfrage fürs AZ zu tun hatte), sowohl das AZ als auch DITIB zum wiederholten Mal klargestellt, sich nicht gegeneinander in Stellung bringen zu lassen und damit deutlich gemacht, dass auch die WZ nicht schaffen wird, was den Rassisten von « Pro NRW » schon nicht gelungen ist.
Geschwiegen wird jedoch nicht nur zu den Hintergründen der Besetzung. Auch der eigentliche Skandal des letzten Wochenendes bleibt unthematisiert : Der unangemessene Polizeieinsatz. Immerhin deutet vieles darauf hin, dass das Vorpreschen der an dem zerbrochenen, schon vorher kaputten Schaufenster zuerst eintreffenden Beamt*innen ohne jeden Einsatzbefehl und vor allem ohne Räumungsauftrag stattfand. Mehr noch : Es scheint, dass der Wuppertaler Polizei bis heute keine Anzeige der insoventen Immobiliengesellschaft vorliegt, der das besetzte Haus gehört. Das brachiale Eindringen auf der Suche (nach was eigentlich?) und die gezückten Schusswaffen, mit denen die teils noch jugendlichen Besetzer*innen im Haus gestellt wurden, hat ohne Grundlage stattgefunden. Die Beamt*innen, die am Samstag unabgesprochen ins Haus gingen, müssen sich bei den Besetzer*innen und deren besonnener Reaktion bedanken, dass sich in der Marienstraße kein Drama wie in Burghausen oder Cottbus abgespielt hat, wo in den letzten Wochen zweimal nach voreiligem Gebrauch von Schusswaffen durch Polizisten Menschen zu Schaden, bzw. sogar ums Leben kamen.
Erst das chaotische Vorgehen der Wuppertaler Polizei führte schließlich auf « dem Berg » auch zu einer zunehmend unfreundlichen Stimmung. Doch statt eines Rückzugs zur Sondierung der Lage (wie es in solchen Fällen eigentlich normal sein sollte, solange keine unmittelbare Gefahr besteht), forderten die Polizist*innen Verstärkung von Riot-Cops an, die sie im Laufe der Nacht auch durch Kölner und Dortmunder Einsatzhundertschaften erhielten. Die kamen nach ihrem Eintreffen zunächst auf die irre Idee, den ganzen Ölberg abriegeln zu wollen – doch Versuche Platzverweise zu erteilen, scheiterten, weil die meisten der Anwesenden Nachbar*innen waren. Ersatzweise wurden Zugänge zum Spätkaufkiosk verhindert, ein Verbot des Biereinkaufs ausgesprochen, Personalien kontrolliert und direkte Wege von Anwohner*innen zur eigenen Wohnung untersagt. Die weitgehende Selbstermächtigung der Polizei erinnerte an die aus dem berühmt gewordenen Hamburger Gefahrengebiet bekannten Umstände. Sie bildete auch die Grundlage der späteren Festnahme zweier, an der Besetzung völlig unbeteiligter Anwohner*innen, die auf ihrem Weg zu einer Kneipe des Viertels kontrolliert, körperlich angegangen und schließlich mitgenommen wurden.
Auch das passierte noch immer alles ohne tatsächliche Grundlage. Tatsächlich wurden am letzten Samstag sieben junge Leute inhaftiert, denen nichts weiter vorzuwerfen war, als dass sie in einem leeren Haus angetroffen wurden – weswegen eine Anzeige durch die Hausbesitzer hätte gestellt werden müssen, die nicht vorlag. Die Festnahme erfolgte dabei mit vorgehaltener Waffe unter « dem Schutz » von über einhundert eingesetzten, ortsfremden Polizist*innen, die die zusammengekommenden Anwohner*innen drangsalierten, obwohl diese nichts weiter taten, als die « polizeilichen Maßnahmen lautstark zu begleiten » (Polizeibericht). Die Vorgänge auf dem Ölberg in der Nacht zum 31.08. werfen also einige Fragen an die Wuppertaler Polizei auf, die eigentlich der Lokalpresse einfallen müssten :
- Auf welcher Grundlage erfolgte der Zugriff auf die im Haus Anwesenden mit gezogener Schusswaffe ?
- Wer ist für das unmittelbare Eindringen in das Haus Marienstraße 41 und den Zugriff im Haus konkret verantwortlich ?
- Auf welcher Grundlage, bzw. aus welcher Einschätzung erfolgte der spätere Großeinsatz im ganzen Viertel ?
- Wer ist für die Anforderung von Einsatzhunderschaften und das versuchte Abriegeln des Viertels konkret verantwortlich ?
- Auf welcher Grundlage erfolgte die spätere, nächtliche Festnahme zweier unbeteiligter Anwohner*innen ?
- Gibt es in Wuppertal analog zu Hamburg (oder, in NRW : Köln), sog. « Gefahrengebiete » oder ähnliche Sonderrechtszonen ?
- Wenn ja, Ist die Elberfelder Nordstadt/der Ölberg ein solches « Gefahrengebiet » ? Wo verlaufen die Grenzen genau ?
- Wenn ja, welche anderen Gebiete oder Quartiere Wuppertals sind Zonen mit besonderen Rechten der Polizei ?
- Wenn ja, wer entscheidet wann und auf welcher Grundlage über die Inkraftsetzung besonderer polizeilicher Rechte ?
- Wie hoch waren eigentlich die Kosten des Einsatzes am 30.08.2014 ?
* Update : Im ganzen Verlauf der Woche kam es wiederholt zu Polizeieinsätzen, die zum Teil völlig absurden Zwecken dienten. Unter anderem wurden wiederholt Zettel von der Sperrholzwand entfernt, mit der das kaputte Schaufenster am Haus Mareinstraße 41 „gesichert” wurde. Auf diesen Zetteln waren Vorstellungen der Ölberg-Nachbar*innen für Aufgaben eines sozialen Zentrums formuliert. In der Nacht zum 05.09. hielt die Wuppertaler Polizei es für nötig, die Entfernung der Zettel mit fünf (!) Streifenwagen und einem Mannschaftswagen zu begleiten. Immer wieder kam es zu Personenkontrollen, auch Menschen, die lediglich ein Buch lesend gegenüber in einem Hauseingang saßen, mussten z.T. ihre Personalien abgeben.
Vorläufiger Höhepunkt der Schikanen war dann die Entfernung des auf dem Otto-Böhne Platz befindlichen Mobiliars am Mittag des 06.09. durch das Wuppertaler Ordnungsamt. Dabei wurde auch eine Biergartengarnitur mitgenommen, die von den seit langer Zeit regelmäßig auf dem Platz Verweilenden seit mehreren Monaten schon als Sitgelegenheit bei Regen diente.
Die Frage nach der Existenz von „Gefahrengebieten” in Wuppertal stellt sich vor diesem Hintergrund noch nachdrücklicher.