Wupper Nachrichten vom 19.06.1993
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Woher kommen die Feinde ?
Die mutmaßlichen Brandstifter von Solingen waren in der rechten Szene organisiert / Sicherheitskreise und Boulevardzeitungen verharmlosen den braunen Hintergrund
Am Sonntag, den 30. Mai 1993, bereits einen Tag nach dem mörderischen Brandanschlag mit fünf Todesopfern in Solingen, wurde der 16jährige Christian R. von der Polizei als Tatverdächtigter festgenommen. Zwei Tage später präsentierten Medien und Politik die fertige Story : Regierungssprecher Vogel berichtete, die Tat sei von nicht in Parteien organisierten asozialen Gewalttätern begangen worden, spontan unter Einfluß von Alkohol. Am Donnerstag nach der Tat wurde aus der Säufer-Kombo ein „Spinner”, ein Einzeltäter, der gegenüber MitschülerInnen gedroht habe, das Haus seiner Opfer würde bald in Flammen aufgehen.
Es waren PolizistInnen, die mit ihren Ermittlungen dann die These vom unpolitischen Einzeltäter erneut widerlegten. Drei weitere Solinger wurden festgenommen. Da einer von ihnen Mitglied der rechtsextremen, ausländerInnenfeindlichen Deutschen Volksunion (DVU) ist, konnte von nun an nicht mehr geleugnet werden, daß die Tatverdächtigen durchaus in rechten Kreisen organisiert waren.
Dennoch blieb weiter der größte Teil des braunen Hintergrunds im Dunkeln. Ein Teil der Medien richtete seine Scheinwerfer schnell auf eine neue Geschich?te, scheinbar in sich schlüssig, aber unanständig. Deutsche und Türken (so d!e eine Zeitung) bzw. Jugoslawen (so die andere) hätten das mörderische Quartett bei einer Verlobungsfeier am Abend vor der Tat aus einem Lokal geworfen. Dies sei dann der simple AusIöser für die Tat gewesen. Mord, ausgeführt von betrunkenen Outsidern als Racheakt für einen Rausschmiss ? Zum zweiten Mal nach dem Anschlag konnten Deutschlands Biedermänner aufatmen.
Fünf Tote als Rache für einen Rausschmiss ?
Die braune Realität in Solingen und Umgebung sieht anders aus, als die von „Sicherheitskreisen”, Politikerlnnen und manchen Zeitungen verbreitete Story. Alle vier Tatverdächtigen trainierten in einer Kampfsportschule in Solingen-Gräfrath, wo Trainer Bernd S. jeden Freitag ein spezielles Training für die national orientierten Mitglieder anbot. „Deutscher Hochleistungs-Kampfkunst Verband” nannte sich die Gruppe, eine Organisation des Dachverbandes „Deutsche Kampfsportinitiative”, für die der Solinger Faschist Wolfgang S. in überregionalen Publikationen der rechten Szene Werbung betrieb. Nach Aussage des Mitglieds Bernd K., ein Solinger Neofaschist und Kamerad von Wofgang S.Barmen und anderen NPD-Mitgliedern aus der Region zur sogenannten BIFAS („Bürgerinitiative für Ausländerstopp”). Mittlerweile sind alle drei in der Deutschen Liga aktiv, einer rechten Splitterpartei, in der sich Neofaschisten sammeln die wegen ihrer offen faschistischen Einstellung in sogenannten demokratischen Parteien wie DVU und Republikanern nicht gern gesehen wird.
Am 31 .Mai, zwei Tage nach dem Solinger Anschlag, versendete der Wuppertaler Heinz B. nun wieder Hetzmaterial der BIFAS per Fax. Bereits im Dezem umfasst die Gruppe 400 Mitglieder. National gesinnte Mitglieder der Kampfsportschule organisierten den Saalschutz für rechtsextreme und neofaschistische Organisationen, beispielsweise für die verbotene Nationalistische Front. Die Schutztruppe arbeitete auch für die Wuppertaler Republikaner.
Die Gruppe kann als Sammelbecken und Ausbildungslager der gewaltbereiten Rechten in Solingen und Umgebung bezeichnet werden. Hier verkehrten neben den Funktionären der Neuen Rechten aus Düsseldorf oder Skinhead-Musikern aus dem Rheinland auch Wiking Jugend-Mitglieder aus Wuppertal. Nazis mit mehrjährigen Erfahrungen im Bereich Organisation und Aufbau rechter Gruppen waren hier präsent, Leute, die schon vor Jahren Teile der Bevölkerung bedrohten und terrorisierten. Aktivisten der rassistischen Deutschen Liga gehörten zum Umfeld der Festgenommen. Bernd S., der Leiter der Kampfsportschule, die in Solingen unter dem Namen „Hak-Pao” bekannt ist, bezeichnet sich selbst als unpolitisch. Ausgenommen freitags, wo auf militärisches Äußeres Wert gelegt wird, trainierten bei Bernd S. auch Immigrantlnnen. Die Schule kann allerdings als Tarnorganisation der Rechtsextremen im Bergischen Land angesehen werden. Die beiden Neofaschisten Wolfgang S. und Bernd K. hatten in den 80er Jahren aus ihrer Einstellung keinen Hehl gemacht, waren öffentlich aufgetreten und damit auf die Nase gefallen. K. wurde wegen Drohbriefen verurteilt. Ein Treffen ihrer Bergischen Front, einer Unterorganisation der FAP, wurden von Antifaschistlnnen angegriffen.
Beide gehörten Anfang der 80er Jahre zusammen mit Heinz B. aus Wuppertal-Barmen und anderen NPD-Mitgliedern aus der Region zur sogenannten BIFAS („Bürgerinitiative für Ausländerstopp”). Mittlerweile sind alle drei in der Deutschen Liga aktiv, einer rechten Splitterpartei, in der sich Neofaschisten sammeln die wegen ihrer offen faschistischen Einstellung in sogenannten demokratischen Parteien wie DVU und Republikanern nicht gern gesehen wird.
Am 31 .Mai, zwei Tage nach dem Solinger Anschlag, versendete der Wuppertaler Heinz B. nun wieder Hetzmaterial der BIFAS per Fax. Bereits im Dezember letzten Jahres kündigte er in einer der Deutschen Liga nahestehenden Zeitung die Neugründung der BIFAS an. Zu dieser Zeit kam es in Wuppertal immer wieder zu Übergriffen von Rechtsextremen, von der Schändung des jüdischen Friedhofs an der Hugostraße bis zum Mord an dem als „Juden” bezeichneten Arbeitslosen Karl-Heinz Rohn.
Nun hat es in der jüngeren Vergangenheit der Bundesrepublik durchaus auch rassistisch motivierte Anschläge gegeben, die in etwa nach dem Muster der verharmlosenden Geschichte der Boulevardzeitungen abliefen. Außenseiter meinten sich in Cliquen durch Gewalttaten profilieren zu müssen. Cliquen, in denen permanent bei zu vielen Bieren davon gefaselt wird, gegen die AusländerInnen müsse endlich etwas geschehen, „da müßte mal eine Bombe drauffliegen”. Jugendliche Republikaner und DVU-Anhänger meinten mehr tun zu müssen, als nur Reden zu halten und Flugblätter zu verteilen. Begünstigt werden die „irregeleiteten Chaoten und Extremisten” (Außenminister Kinkel nach Solingen) nicht nur von strammen Rechten wie in der Klingenstadt, sondern auch von der bürgerlichen Politik.
Die Politikerinnen teilen die Immigrantlnnen in ein schwer durchschaubares, gesetzlich verankertes Raster, in dem die einzelnen je nach Herkunft und Vorgeschichte mehr oder weniger erwünscht sind. Die komplizierten Unterscheidungen zwischen EG-Staatsangehörigen, Spätaussiedlerlnnen, Immigrantlnnen mit Herkunftsländern außerhalb der Europäischen Gemeinschaft, Vertragsarbeitnehmerlnnen, geduldeten und anerkannten Flüchtlingen, AsylbewerberInnen und Bürgerkriegsflüchtlingen können von kaum jemand nachvollzogen werden. Insbesondere rassistische Jugendliche unterscheiden nur noch zwischen „Asylanten”, „Türken” und „Polen”. Sie werfen alle in einen Topf und ihre Brandsätze scheinbar blind und wahllos auf Opfer aus diesem Kreis.
Längst gibt es polizeiliche Ermittlungen sowie Beobachtungen von Antifaschistlnnen, die Absprachen vor Gewaltoffensiven der Neofaschisten offendeckten. So soll nach Angaben eines Mitarbeiters des ehemaligen „Gemeinsamen Landeskriminalamtes” für die neuen Bundesländer Mitte des Jahres 1991 ein Treffen mit dem Kühnen-Nachfolger Christian Worch von der Nationalen Liste aus Hamburg stattgefunden haben. Die Teilnehmer waren sich einig, daß verstärkt Aktionen gegen Immigrantlnnen durchzuführen seien. Kurze Zeit später tobte der von organisierten Rechten durchsetzte Mob von Hoyerswerda. Ende August des letzten Jahres traten sich dann Neonazis aus ganz Europa im belgischen Diksmuide. Be ! dem alljährlich stattfindenden nationalistischen Gedenktag der Flamen erscheinen jeweils mehrere tausend Rechte. Letztes Jahr wurde dort in einem Arbeitskreis über einen Gegenschlag gegen die Linke beraten. Unmittelbar danach entstanden in der gesamten BRD sogenannte Anti-Antifa-Gruppen, die dann auch tatsächlich Psychoterror und Gewalt gegen Teile der bundesdeutschen Linken ausübten. Terrorisiert wurde ein breites Spektrum, vom Gewerkschafter aus Bochum bis zur aktiven Antifaschistin aus Bonn. Zum Feindbild gehören auch KommunalpolitikerInnen und Lehrer. Eine zentrale Figur ist auch hier wieder Worch aus Hamburg.
Auch bei dem Solinger Anschlag kann es sich um eine abgesprochene Sache handeln. Mit der Abschaffung des Asylrechts haben die Rechtsaußen ein Etappenziel ihrer rassistischen Politik erreicht. In Sachen Asylrecht haben die Bürgerlichen längst vor den Rechtsradikalen kapituliert, die Grundideen des drei Tage vor dem Anschlag in Solingen neugeregelten Asylrechts finden sich im Programm der Republikaner von 1990.
Begannen die militanten Rechten unmittelbar nach der gesetzlichen Verankerung des de-facto Einreisestopps für Flüchtlinge gegen ihr nächstes Feindbild vorzugehen, die Arbeitsimmigrantlnnen ? Daß die Rechten den Kreis ihrer Angriffsziele momentan erweitern, zeigen die „Anti-Antifa-Aktivitäten” gegen Linke. Für ein koordiniertes Vorgehen spricht auch, daß es in der Nacht von ? Solingen bundesweit gleich, fünf rassistisch motivierte Anschläge gab, zwei in München, je einer in Recklinghausen, Berlin und Solingen. Auch die Ausführung der Anschläge hat sich plötzlich bundesweit geändert. Die Knochenköpfe werfen jetzt nicht mehr mit Brandsätzen, sondern dringen in die Häuser ihrer Opfer ein und legen gezielt an zentralen Stellen verheerende Brände.
Wo wären die Wirtschaft und das soziale System ohne die Arbeit der Immigrantlnnen ? Wie tief rutscht das internationale Ansehen der BRD durch die anhaltende rechte Gewalt, wiederum zum Schaden der Wirtschaft ? PolitikerInnen müssen bestrebt sein, schleunigst Schadensbegrenzung auf internationaler Ebene zu betreiben. Hierzu scheint vor allem zu gehören, den braunen Sumpf von Solingen und Umgebung völlig im Dunkeln zu lassen. Wer aber wegschaut und schweigt, läßt die rechten Terroristen gewähren und weitermachen. Die vier in Solingen festgenommenen Bauernopfer sind kein Verlust für eine Szene, die ansonsten wenig Repression unterliegt und bundesweit tausende von Gefolgsleuten hat.
Nach Verbot - Neu gründen
Seit dem Verbot der „Aktionsfront nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten” (ANS/NA) des verstorbenen Nazi-Führers Michael Kühnen Mitte der 80er Jahre wissen die Rechten wie sie Verbote unbeschadet überstehen können. Kaum ist die eine Gruppe verboten oder in der Öffentlichkeit diskreditiert, werden zwei neue gegründet. Und je mehr Gruppen existieren, desto wirkungsloser ist das Verbot von drei oder vier einzelnen Organisationen. So blieben bei den Verboten der Nationalistischen Front, der Deutschen Alternative und der Nationalen Offensive durch Innenminister Seiters im Dezember letzten Jahres zentrale Organisationen der neofaschistischen Rechten unbeschadet. Etwa die Freiheitliche Arbeiterpartei, eine der Nachfolgeorganisationen der verbotenen ANS/NA, die von Kühnens Anhängern nach dem ANS/NA-Verbot unterwandert wurde. FAP-Skins sorgen beispielsweise für anhaltenden Terror in Essen. In Bonn terrorisiert die FAP Immigrantlnnen und Linke. Unbeschadet blieb auch die Nationale Liste des oben erwähnten Christian Worch mit ihren Ablegern in den neuen Bundesländern.
Worch war übrigens auch bei den Angriffen in Rostock vor Ort. Die wenigen Verbote durch Innenminister Seiters sind eher als Schauveranstaltung zur Beruhigung der internationalen Öffentlichkeit anzusehen. Effektiv waren sie nicht.
Albert Konsch