Zentrale von European Homecare besetzt

Am Freitag, den 5.Dezember wurde am Morgen die Essener Zentrale des Unter­neh­mens „European Homecare” besetzt. Das Unter­nehmen verdient Geld mit der „Betreuung” von Geflüch­teten und mit „Dienst­leis­tungen” in den Sammel­un­ter­künften. Wie das aussieht, erfuhr die Welt u.a., als vor éinigen Wochen Mißhand­lungen und Folte­rungen geflüch­teter Menschen in Essen, Burbach und Trais­kir­chen bekannt wurden. „European Homecare” ist einer der übelsten Profi­teure der Festung Europa und der deutschen Flücht­lings­po­litik.

Die Besetzer*innen wollen das Gebäude erst verlassen, wenn dieses, mit dem Leid von Menschen Geschäfte machende Unter­nehmen geschlossen wird.

[13:30 Uhr:] Das Unter­nehmen hat die „Wieder­her­stel­lung des Hausfrie­dens” verlangt, was einer Auffor­de­rung zur Räumung gleich­kommt.

[14:00 Uhr:] @ruhrbarone berichten auf Twitter, dass die Beset­zung beendet ist.

Wir dokumen­tieren hier die Erklä­rung der Besetzer*innen :

ehc

Aktivisten besetzten Haupt­sitz von „European Homecare“
Firma wegen unmensch­li­cher Behand­lung von Geflüch­teten geschlossen

Am Freitag wurde der Haupt­sitz der Firma „European Homecare“ in Essen-Stadt­wald besetzt und geschlossen. European Homecare war durch eine beson­ders ernied­ri­gende Behand­lung von Geflüch­teten in die Presse gekommen. Die Firma ist dennoch nach wie vor bundes­weit und in NRW im Geschäft. Sie verdient an der Not geflüch­teter Menschen. Um die Schlie­ßung durch­zu­setzen, halten daher seit den Morgen­stunden etwa 50 antiras­sis­ti­sche Aktivis­tinnen und Aktivisten den Haupt­sitz der Firma in Essen besetzt. Sie fordern würdige Wohn- und Lebens­be­din­gungen für Geflüch­tete sowie ein Bleibe­recht für Alle.

Geld für Wohnungen statt Lager und Heime“

Das Unter­nehmen European Homecare (EHC) bietet Dienst­leis­tungen als „Flüchtlingsbetreuer/in“ an und betreibt vom Land übernom­mene Unter­künfte. „EHC ist damit direkter Profi­teur der Priva­ti­sie­rung von Flücht­lings­un­ter­künften und hat ein Inter­esse daran, diese so günstig wie möglich zu betreiben – auf Kosten der hier lebenden Menschen. Die vor Kurzem bekannt gewor­denen Misshand­lungen und Folter­fälle durch Personal von European Homecare sind skandalös und Ausdruck von Rassismus.“ kommen­tiert Antira-Aktivistin Janine Meyer.

Trotz dieser massiven Vorfälle, die mindes­tens in Essen, Burbach und Trais­kir­chen bekannt wurden, betreibt EHC weiterhin bundes­weit 40 Einrich­tungen, davon vier in NRW. European Homecare erhält 700-1000 € pro geflüch­teter Person im Monat. „Mit diesem Geld könnten die Menschen in einzelnen Wohnungen leben, fern von der Schikane und Überwa­chung, denen sie in den herun­ter­ge­kom­menen Massen­un­ter­künften täglich ausge­setzt sind.“ so Meyer weiter. Seit Jahren kämpfen Geflüch­tete in Deutsch­land an viele Orten gegen diese Zustände und für ihre Rechte. Dennoch wurde an den gesetz­li­chen Bedin­gungen kaum etwas zu ihren Gunsten verän­dert.

Rassismus statt Willkom­mens­kultur

Eine Willkom­mens­kultur sieht anders aus. Die miese Behand­lung und schlechte Unter­brin­gung von Geflüch­teten und der damit verbun­dene Abschre­ckungs­ef­fekt ist politisch gewünscht. „Anstatt Grenzen zu öffnen, wird Frontex weiter ausge­baut. In Medien und Politik wird von „Willkom­mens­kultur“ gespro­chen, während gleich­zeitig dieselben Insti­tu­tionen aus allen Geflüch­teten, die es hierher schaffen, ein Problem machen wollen. Bei der morgigen Innen­mi­nis­ter­kon­fe­renz in Köln soll sogar bespro­chen werden, die Prüfung der Asylan­träge ins Ausland vorzu­ver­la­gern. Die Menschen, die aus unter­schied­lichsten Gründen zur Flucht gezwungen sind, sollen nicht einmal mehr hier ankommen dürfen. Wir grüßen die Menschen die morgen in Köln dagegen auf die Straße gehen.“ ergänzt Meyer.

Mit der Beset­zung fordern die Aktivis­tinnen und Aktivisten :

Grenzen auf !
Bleibe­recht für alle !
Wohnraum für alle !
Geld an Geflüch­tete statt Sicher­heits­dienste !

Artikel teilen

Jagd auf MigrantInnen statt Seenotrettung

Ein Beitrag von w2wtal (welcome2wuppertal)

Jagd auf Migran­tInnen

mosmaiorum

Seit letzten Montag läuft unter dem Namen „Mos Maiorum” (zu deutsch : Die Sitte der Ahnen) eine zweiwö­chige, europa­weite Schlei­er­fahn­dung nach so genannten Schleu­sern und papier­losen Migran­tInnen. Bei dieser Opera­tion tauschen die Grenz­po­li­zei­dienst­stellen der EU-Mitglied­staaten Daten und  Infor­ma­tionen aus, um neue Erkennt­nisse über „Schleu­sungs­routen”, Trans­port­mittel und Bewegungs­daten zu bekommen und dabei gleich­zeitig möglichst viele Illega­li­sierte festzu­nehmen. Beson­ders im Visier sind grenz­über­schrei­tende Fernstraßen, inter­na­tio­nale Bahnli­nien sowie Flug- und Seehäfen. Dabei wird die EU-Binnen­frei­zü­gig­keit im Rahmen des Schengen-Abkom­mens zeitlich beschränkt anlasslos außer Kraft gesetzt. Doch auch normale Polizei­dienst­stellen verstärken während der Opera­tion die Suche nach Illega­li­sierten. „Mos Maiorum” kann einem also überall begegnen – auch vor der eigenen Haustür.

Zunächst einmal ist „Mos Maiorum”, woran sich diesmal 18.000 Polizisten betei­ligen, nichts Beson­deres. Ähnliche EU-weite „Joint Police Opera­tions” finden im Halbjah­res­turnus statt. Während der letzten vergleich­baren Opera­tion wurden allein in Deutsch­land über 1.600 papier­lose Menschen verhaftet. Aller­dings läuft die Aktion diesmal für einen außer­ge­wöhn­lich langen Zeitraum : über zwei Wochen bis zum 26.Oktober. Und zum ersten Mal sind auch die EU-Außen­grenzen in den Opera­ti­ons­plan einbe­zogen. Koordi­niert wird die Hatz von Italien, einem der Haupt-Transit­länder von Asylsu­chenden und damit einem Haupt-Leidtra­genden der so genannten Dublin-Verord­nung. Italien hat aktuell die EU-Ratsprä­si­dent­schaft inne.

Kampagne gegen Racial Profiling

Dauer und Umfang der Opera­tion „Mos Maiorum” führen in diesem Jahr dazu, dass antiras­sis­ti­sche Gruppen die Schlei­er­fahn­dung zum Anlass für eine breite Kampagne gegen die Kontrollen nehmen – durch den zynischen Namen, der einmal mehr im orwell’schen FRONTEX-Sprach­labor entstanden scheint, sicher zusätz­lich motiviert. Die Kontrollen der europa­weiten Fahndung werden sich in erster Linie wieder gegen afrika­nisch oder arabisch ausse­hende Menschen richten : Auf Straßen und Bahnhöfen wird deshalb – mehr noch als sonst – klassi­sches Racial Profiling den Alltag vieler Migran­tInnen prägen. Haut- und Haarfarbe werden erneut die ersten Indizien für die BeamtInnen sein, jemanden auf dem Weg zur Arbeit oder nach Hause anzuhalten und « einmal nachzu­gu­cken ». Die ohnehin alltäg­liche – gleich­wohl ständig geleug­nete – Praxis rassis­ti­scher Perso­nen­kon­trollen erhält in den zwei Wochen von „Mos Maiorum” eine amtliche Legiti­mität.

Aktivis­tInnen in mehreren europäi­schen Ländern veröf­fent­lichten als Reaktion mehrspra­chige Reise­war­nungen für Menschen ohne Papiere, die zahlreiche Verbrei­tung in den sozialen Netzwerken und in der linken Öffent­lich­keit fanden. Auch ein Online-Portal wurde einge­richtet, in dem Beobach­tungen von rassis­ti­schen Kontrollen europa­weit gesam­melt und dokumen­tiert werden können. Es wird bei nadir​.org gehostet und die Initia­to­rInnen haben sich viel Mühe gegeben, dass es für Einträge sichere und anonyme Kontakt­wege gibt. Die Karte, die sich nach den ersten Tagen von „Mos Maiorum“ langsam immer mehr füllt, findet sich hier. Eine Anlei­tung zur Nutzung kann hier einge­sehen werden – inklu­sive der Links zu geeig­neten Apps für Smart­phones, damit Beobach­tungen auch von unter­wegs gemeldet werden können.

Dennoch offen­baren die Aktivi­täten auch Hilflo­sig­keit. Denn durch das Teilen der Reise­war­nungen mit Menschen, die Ausweis­kon­trollen norma­ler­weise nicht zu fürchten haben, ist keinem Illega­li­sierten geholfen. Es ist auch nicht anzunehmen, dass die Betrof­fenen ohne die Infor­ma­tion nichts von der EU-Opera­tion wüssten. Vielmehr zeigt die große Betei­li­gung an einer an sich gut gemeinten, aber eher wirkungs­losen Kampagne deutlich auf, wo die Defizite in der Unter­stüt­zung der Geflüch­te­ten­kämpfe zu suchen sind. Viel zu wenige haben wirkli­chen Kontakt zu den illegal mit uns Lebenden, und viel zu viele Unter­stüt­zungs­wil­lige finden kaum Anknüp­fungs­punkte für wirksames solida­ri­sches Handeln.

Worum es eigent­lich gehen müsste

Was es in solchen Situa­tionen bräuchte, wären Struk­turen, die Illega­li­sierten beispiels­weise sichere Mobilität zur Verfü­gung stellen. Wenn Bahnen und Busse während der Fahndungs­ak­tionen für sie zuneh­mend zu « No Go»-Zonen werden, müssten wir dafür sorgen können, dass sie sicher – also unkon­trol­liert – von A nach B gelangen. Auch die Beobach­tung von rassis­ti­schen Kontrollen alleine hilft – über die bessere Kenntnis der Fahndungs­ab­läufe hinaus – nicht weiter. Während der Dauer von „Mos Maiorum” – aber auch im stink­nor­malen rassis­ti­schen Alltag – müssten statt­dessen mehr Menschen bereit sein, schnell zu gemel­deten Kontroll­punkten zu gehen um diese zu stören – riskieren sie doch erheb­lich weniger als die von Abschie­bung und Haft Bedrohten. Eine empörte Meldung über Twitter oder bei Facebook hilft bei der Alarmie­rung von Störungs­be­reiten übrigens oft weniger als die gute alte SMS oder ein schneller Anruf. Auch direkte Aktionen und spontane Demons­tra­tionen sind ein Mittel, Sand ins Getriebe der Menschen­hatz zu streuen. Jede/r beschäf­tigte PolizistIn steht den Kontrollen schließ­lich aktuell nicht zur Verfü­gung.

Das ist gar nicht böse gemeint. Es zeigt aber auf, wie wenig wir derzeit der rassis­ti­schen Praxis der EU-Behörden und -Insti­tu­tionen real entge­gen­zu­setzen haben, und woran wir für die Zukunft arbeiten müssen. Ohne Netzwerke von Menschen, die bereit sind, (überschau­bare) Risiken einzu­gehen und konkret handlungs­fähig zu werden, werden Proteste und Aktionen nicht über den appel­la­tiven und wirkungs­losen Versuch hinaus­gehen, rassis­ti­sche Praxis und gleich­gül­tige Mehrheits­ein­stel­lungen « irgendwie » zu verän­dern. Unsere Aufgabe muss deshalb zukünftig darin bestehen, infor­melle Struk­turen zu stärken und diese mit bestehenden infor­mellen Struk­turen der Geflüch­teten wirksam und alltäg­lich zu vernetzen. Das ist (zugegeben) keine leichte Aufgabe. Angesichts des immer repres­si­veren Ausbaus der « Festung Europa » kommt ihr aber eine entschei­dende Bedeu­tung zu : Wollen wir weiter mit ins Leere laufenden Aktionen an unserem eigenen Karma arbeiten, oder wollen wir konkret in die Maschi­nerie des Sterbens und Abschie­bens eingreifen ?

Neuer­li­cher Paradig­men­wechsel

Mos Maiorum” offen­bart nämlich nicht nur die übliche Menschen­ver­ach­tung europäi­scher Politik. Es ist ein State­ment der Abschot­tung. Es markiert einen aberma­ligen Paradig­men­wechsel des europäi­schen Grenz­re­gimes, nachdem eine andere, eigent­lich auch der Migra­ti­ons­kon­trolle dienende Opera­tion namens „Mare Nostrum” auf dem Mittel­meer zur Seenot­ret­tungs-Opera­tion wurde. „Mare Nostrum” war schon vor dem Flücht­lings­drama vor Lampe­dusa im Oktober 2013 als Opera­tion zur Migra­ti­ons­ab­wehr geplant, wurde dann aber auch wegen des medialen Aufschreis und der tatsäch­li­chen Erschüt­te­rung in Italien zur « Brücke nach Europa » : Durch « Mare Nostrum » wurden mittler­weile über 100.000 Menschen vor dem Ertrinken gerettet. „Mos Maiorum” versucht nun, nachdem die von der italie­ni­schen Marine getra­gene Seenot­ret­tung am 1.November auslaufen wird, einen Teil dieser Geret­teten wieder « einzu­sam­meln » und möglichst geräuschlos ins Herkunfts­land (oder einen so genannten « sicheren Dritt­staat») zurück­zu­be­för­dern.

Die Verant­wort­li­chen für diesen neuer­li­chen Paradig­men­wechsel sitzen vor allem in Berlin. Italien hätte „Mare Nostrum” – und damit die Rettung der Menschen – durchaus fortge­setzt, forderte dafür aber eine finan­zi­elle Betei­li­gung der anderen EU-Staaten : Die Rettung der Hundert­tau­send kostete das von der Auste­ri­täts­po­litik erschüt­terte Italien etwa 9 bis 10 Millionen Euro jeden Monat. Eine Betei­li­gung an den Kosten schei­terte jedoch in erster Linie an der Bundes­re­gie­rung. Innen­mi­nister De Maiziére stellte früh klar, dass die deutsche Politik “Mare Nostrum” lieber durch eine Mission ersetzen will, die der Rückfüh­rung von Flücht­lingen dient. Deutsch­land setzt in einer Situa­tion, in der die europäi­sche Bereit­schaft zu einer anderen Migra­ti­ons­po­litik hoch war wie selten, also weiterhin auf Migra­ti­ons­kon­trolle durch FRONTEX und Grenz­po­lizei statt auf Lebens­ret­tung. « Mos Maiorum » ist der deutlichste Ausdruck dieser Grund­satz­ent­schei­dung.

Terror, Vertrei­bung, Depor­ta­tion

Die Länder an den EU-Grenzen, vor allem Italien, werden von Berlin außerdem zur Zeit massiv unter Druck gesetzt, Finger­ab­drücke aller neu ankom­menden Flücht­linge zu nehmen und sie in die EURODAC-Datei einzu­speisen. Dies soll eine „Rücküber­stel­lung” auf Grund­lage der Dublin-Verord­nung sicher­stellen. Zynisch betrachtet macht das die Seenot­ret­tung für Länder wie Italien im Ergebnis äusserst unattraktiv – werden dann doch weiter­rei­sende Geflüch­tete, wie es zum Beispiel bei den « Lampedusa»-Geflüchteten in Hamburg oder Berlin geschehen ist, von Deutsch­land nach Italien zurück­ge­wiesen. Anstelle einer finan­zi­ellen Betei­li­gung an der Menschen­ret­tung bietet der deutsche Innen­mi­nister folge­richtig den Ankunfts­län­dern andere Lösungen an : Eine Entsen­dung von BeamtInnen zur Regis­trie­rung der Flücht­linge oder zur Verfü­gung gestellte Finger­ab­druck­ge­räte (Quelle : afp am 9.Oktober 2014).

Angesichts der Entschlos­sen­heit, Flücht­lings­ab­wehr und Migra­ti­ons­kon­trolle polizei­lich (wie bei „Mos Maiorum”) oder militä­risch (wie bei « FRONTEX plus » bzw. « Triton » das « Mare Nostrum » ablösen soll) um jeden Preis durch­zu­setzen, bleibt nur die Möglich­keit, uns möglichst breit neu über unsere Mittel zu verstän­digen, und uns der oben genannten Aufgabe zu stellen – zu aller­erst in Deutsch­land. Ist es doch die Regie­rung in Berlin, die die Un-Sitte der (deutschen) Ahnen – Terror, Vertrei­bung, Depor­ta­tion - zum europäi­schen Prinzip erhebt.

w2wtal_31.10

w2wtal (Welcome to Wuppertal) lädt für Ende Oktober gleich zu zwei Info- und Verstän­di­gungs­abenden ein, an denen eine Diskus­sion über unsere Mittel der Solida­rität und Gegen­wehr geführt werden soll : Am 28.10. im Rahmen der « politi­schen Kneipe » im Autonomen Zentrum Wuppertal ab 19:30 Uhr und drei Tage später bei einer Infor­ma­ti­ons­ver­an­stal­tung im ADA in der Wiesen­straße, Beginn am 31.10. ist ebenfalls um 19:30 Uhr.

Artikel teilen