30.April und 1.Mai 2015 – Statt eines Aufrufs

Zur Vorabend­demo 2015 und zum Autonomen 1.Mai in Wuppertal.

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Drei Männer, wahrschein­lich rechte Hogesa-Sympa­thi­santen oder -Aktive kamen vor zwei Wochen am späten Abend zum Autonomen Zentrum in Wuppertal. Sie provo­zierten AZ-Besucher*innen mit « Hogesa»-Sprüchen. Was dann geschah, entzieht sich bis heute unserer genauen Kenntnis. Am Ende jeden­falls lag ein antifa­schis­ti­scher Freund und Gefährte – durch vielfache Messer­stiche in den Rücken verletzt – verblu­tend vor dem AZ. Anzahl und Art der Messer­stiche lassen keine andere Möglich­keit zu, als eine Tötungs­ab­sicht zu unter­stellen.

Die sofort einge­lei­tete Erste Hilfe durch AZ-Besucher*innen und auch die (aufgrund des eher zwielich­tigen Verhal­tens der eintref­fenden Polizist*innen) erst verspätet statt­fin­denden Rettungs­maß­nahmen durch Notarzt und Sanitäter kamen gerade noch recht­zeitig, um das Leben unserers Freundes zu retten. Seither befindet er sich auf einer gesund­heit­li­chen Berg- und Talfahrt im Kranken­haus. Die meiste Zeit bis heute in ein künst­li­ches Koma versetzt.

Das eigent­liche Ereignis – ein rechts­ra­di­kaler Mordver­such an einem unserer Freunde und Gefährten – geriet vor dem Hinter­grund einer furcht­baren, teilweise bewusst falschen Presse­mel­dung der Wupper­taler Polizei und einer schlimmen Bericht­erstat­tung in der lokalen Presse darüber fast aus dem Fokus. Anstatt den offen­kun­digen Mordver­such durch « Hogesa»-Anhänger zu thema­ti­sieren, beschäf­tigte sich die Öffent­lich­keit lieber mit den « bösen Autonomen », die eintref­fende Helfer angegriffen hätten. Bis heute wird der Öffent­lich­keit vorent­halten, dass gewalt­be­reite Rechte einen Antifa­schisten ermorden wollten. Statt­dessen wird das Märchen von « Ausein­an­der­set­zungen zwischen Linken und Rechten » wieder­ge­käut, das fast immer rechte Angriffe auf migran­ti­sche und antifa­schis­ti­sche Menschen kaschieren soll.

Soweit dürfte euch das durch die Presse­mit­tei­lungen des AZ (nachzu­lesen hier und hier), bzw. durch eine folgende Stellung­nahme (nachzu­lesen hier) die inzwi­schen veröf­fent­licht wurden, bereits bekannt sein. Wir hielten es dennoch für nötig, es nochmals zusam­men­zu­fassen, um zu erklären, warum wir nach reifli­cher Überle­gung in diesem Jahr keinen der sonst üblichen Aufrufe zu unseren Aktivi­täten rund um den 1.Mai in Wuppertal veröf­fent­li­chen, sondern euch ganz einfach auffor­dern möchten, am 30.4. zur Vorabend­demo und am 1.5. zum Autonomen 1.Mai solida­risch nach Wuppertal und mit uns auf die Straße zu kommen.

Jetzt erst Recht : Auf die Straße !

Alle zuvor bespro­chenen mögli­chen Inhalte eines Aufrufes, die wir euch und anderen in diesem Jahr näher bringen wollten – etwa eine Erklä­rung unserer Einschät­zung zu einer Notwen­dig­keit der Entwick­lung neuer Autonomer Perspek­tiven, lokal herun­ter­ge­bro­chene Aspekte trans­na­tio­naler Solida­rität oder eine größere Alltags­zu­ge­wandt­heit in unseren Kiezen – verblassen angesichts des zur Stunde andau­ernden Überle­bens­kampfes unseres Freundes und der sich stellenden Aufgabe, antifa­schis­ti­sche Struk­turen gemeinsam mit unseren Nachbar*innen zu erneuern.

Das bedeutet selbst­ver­ständ­lich nicht, dass wir nicht weiter an den zuvor skizzierten Aufgaben arbeiten werden. Im Gegen­teil, für uns geht es gerade jetzt darum, alles mit allem zu einer Wider­stands­per­spek­tive zu verknüpfen. Mit euch, mit Freund*innen, mit unseren Nachbar*innen. Es gibt täglich genug Gründe, zu kämpfen – um wirksamen antifa­schis­ti­schen Selbst­schutz, gegen die mörde­ri­sche EU-Flücht­lings­po­litik, gegen das « besorgte Bürger*innen » auf den Straßen eskor­tie­rende Nazipack, oder gegen die Kaperung unserer Städte und unseres Lebens durch Konzerne und Inves­toren und die Verdrän­gung unserer Struk­turen aus den Kiezen.

Diese Kämpfe werden wir annehmen und inten­si­vieren – es bleibt uns gar nichts anderes übrig. Mörde­ri­sche Nazis und ein ebenso mörde­ri­scher Staat lassen uns keine Wahl. Wir wollen zum 1.Mai in Wuppertal zweimal laut und zornig auf den Straßen zeigen, dass wir da sind und dass wir da sein werden – für unseren Freund, für euch, für uns. Jenseits üblicher « Weiter so!»-Routinen bedeuten die beiden tradi­tio­nellen Demo-Termine rund um den 1.Mai für uns einen Akt der Selbst­be­haup­tung und -ermäch­ti­gung, gegen Trauer und Verun­si­che­rung und für antifa­schis­ti­sche Solida­rität und Entschlos­sen­heit.

Helft uns dabei ! Kommt 30.4. und am 1.5. nach Wuppertal !

Protest ist, wenn ich sage, das und das passt mir nicht. Wider­stand ist, wenn ich dafür sorge, dass das, was mir nicht paßt, nicht länger geschieht.

Donnerstag, 30.4., 20:00 Uhr, Deweerth’scher Garten :
Vorabend-Nacht­tanz­demo

Freitag, 1.5., 14:00 Uhr, AZ Wuppertal, Gathe :
Autonome 1.Mai-Demonstration

Leben wie ein Baum, einzeln und frei doch brüder­lich wie ein Wald,
das ist unsere Sehnsucht.

(Nazim Hikmet)

30.4

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70 Jahre Befreiung - kein Vergeben, kein Vergessen

Heute vor 70 Jahren – am 16.April 1945 – wurde die Stadt Wuppertal ohne größere Kampf­hand­lungen durch einen symbo­li­schen Akt im Barmer Rathaus an die 8. und die 78. Infan­te­rie­di­vi­sion der US-Army übergeben. Für die verblie­benen antifa­schis­ti­schen Wuppertaler*innen, für jene in der Stadt versklavten Zwangsarbeiter*innen, die ihre Verschlep­pung durch die Deutschen überlebt hatten und für die nur wenigen Überle­benden der anderen verfolgten Bevöl­ke­rungs­gruppen müssen die Tage ab dem 15.4. – den Tagen, an denen die US-Truppen auf Wuppertal vorrückten und schließ­lich die Einnahme der Stadt absicherten – ein unver­gleich­li­cher Akt der Befreiung gewesen sein.

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Jahre grausamer Verfol­gung und Monate nochmals gestei­gerter Bruta­lität während der so genannten „Endpha­se­ver­bre­chen” waren vorbei. Jahre, in denen auch ein Großteil der Wupper­taler Bevöl­ke­rung den Mördern zugeju­belt und zugear­beitet hatte und während derer der Wider­stand der Antifaschist*innen und der Überle­bens­kampf für alle jüdische Menschen, für Sinti und Roma, für Zwangsarbeiter*innen und andere Verfolgte sehr oft ein schreck­lich einsamer gewesen sein muss.

Für viele kamen die Befreier an jenem 16.April auch zu spät – u.a. für die im Burgholz noch im Februar durch die Wupper­taler Kripo ermor­deten dreissig Zwangsarbeiter*innen oder für die mehr als siebzig beim Massaker in der Wenzeln­berg­schlucht bei Langen­feld durch ein Kommando aus Solinger und Wupper­taler Gesta­po­le­uten und Kripo­be­amten ermor­deten Gefan­genen aus dem Lüttring­hau­sener Knast. Für über 30.000, meist unter unmensch­li­chen, oft unter tödli­chen Bedin­gungen in Camps und Lagern unter­ge­brachte Zwangsarbeiter*innen erreichte die US-Army die Stadt jedoch noch recht­zeitig. Unter anderem ihr Schicksal führte zunächst zu entschie­denen Maßnahmen der Befreier gegen die Wupper­taler Bevöl­ke­rung, umgehend begannen sie mit einer Entna­zi­fi­zie­rung.

Damit blieben sie nicht alleine : Nach der Befreiung berei­teten außer den US-Ameri­ka­nern auch zwei antifa­schis­ti­sche Aktions­aus­schüsse in der Stadt die Reorga­ni­sa­tion des städti­schen Lebens vor. Das Aufspüren von verant­wort­li­chen Nazis in der Stadt wurde von den Aktivist*innen dabei als eine Haupt­auf­gabe angesehen. Die kurze Zeit einer durch Antifaschist*innen und durch befreite Zwangsarbeiter*innen selbst­or­ga­ni­sierten Entna­zi­fi­zie­rung Wupper­tals endete jedoch schon bald, einer der beiden Ausschüsse musste beispiels­weise nach einer Inter­ven­tion der inzwi­schen für die Stadt zustän­digen Briten schon im August 1945 seine Arbeit wieder einstellen.

Schnell fanden viele Nazis Wege, ihre Verant­wor­tung zu verschleiern und sich den Konse­quenzen ihres Tuns zu entziehen, und schnell legte sich auch in Wuppertal das Verdrängen und Vergessen wie Mehltau über den Moment der Befreiung. Die aller­meisten der entsetz­li­chen Verbre­chen während der NS-Zeit blieben ungesühnt. Und nur wenige Jahre nach 1945 beherrschten bereits eigene Opfer­erzäh­lungen von Bomben­nächten und knappen Lebens­mit­teln die an die nachge­bo­renen Kinder vermit­telten Erinne­rungen an das Kriegs­ende. Eine echte Erinne­rungs­ar­beit begann erst sehr viel später, in vielen Fällen zu spät, um Täter*innen noch zur Konse­quenz zu ziehen oder ihre Opfer zu entschä­digen.

Und so muss der Rückblick auf die siebzig Jahre nach dem 16.4.1945 ambiva­lent ausfallen. Es fällt schwer, sich den gestanzten mahnenden Worten und den gestelzten Versöh­nungs­sätzen des offzi­ellen Wuppertal und den meisten der veröf­fent­lichten Erinne­rungen anzuschließen. Denn in die Dankbar­keit für jene, die niemals aufhörten, Wider­stand zu leisten und für jene, die im April 1945 die Stadt befreiten, mischt sich eine große Bitter­keit darüber, dass mit der Übergabe der Stadt zwar der direkten Herrschaft der Nazis, ihnen und ihren Komplizen selber aber vielfach kein Ende gesetzt wurde.

Viele Täter lebten bis zu ihrem Lebens­ende unbehel­ligt und oft unerkannt weiter in der Stadt, selbst der letzte Lager­kom­man­dant von Treblinka, Kurt Franz, der 1998 in einem Wupper­taler Alters­heim starb, nachdem er „aus Alters­gründen” fünf Jahre zuvor aus der Haft entlassen worden war. Die Mörder aus der Wenzeln­berg-Schlucht wurden – im Gegen­satz zu Kurt Franz – sogar nie verur­teilt. Auch einige der Wupper­taler Unter­nehmen, die Arbeits­sklaven beschäf­tigten, zahlten niemals in den ohnehin nur äußerst kümmer­li­chen Zwangsarbeiter*innen-Entschädigungsfonds ein. Der Verant­wor­tung für die bei ihnen einge­setzten Arbeits­sklaven entzogen sich Wupper­taler Betriebe wie Quante, Stocko, Luhns oder Lusebrink und Schwe­bing­haus. Es ist nicht bekannt, dass ihnen in der Stadt deshalb ein Stigma anhaf­tete – die Erinne­rung wurde einfach gelöscht.

Auch die Erinne­rung an die Orte der Qual und des Todes in der Stadt wurden in den siebzig Jahren seit der Befreiung vielfach schlicht „überschrieben”. Erst durch die Arbeit z.B. des „Vereins zur Erfor­schung der sozialen Bewegungen im Wuppertal” und mit Erscheinen der Broschüre „Verges­sene Orte” wurden einzelne Schre­cken­sorte nach und nach dem Vergessen entrissen. Erst jetzt rückten so der Tatort des „Burgholz-Massa­kers”, das Zwangsarbeiter*innen-Durchgangslager „Am Giebel”, das Sterben im „Säuglings­heim” der Firma Kolb & Co oder der „Schee-Tunnel » an der Trasse ins Bewusst­sein, in dem Arbeits­sklaven für die Sonnborner Firma Homann arbei­teten und litten.

Nicht zuletzt machen auch aktuelle Gescheh­nisse und Entwick­lungen, wie der versuchte Mord an einem Antifa­schisten durch vermeint­liche Nazi-Hools in der Nacht vom 10. auf den 11.April 2015 am Autonomen Zentrum und die zuneh­mende, wider­liche Hetze neuer Nazis gegen Geflüch­tete deutlich, dass die Freude am „Tag der Befreiung” in Wuppertal nur ein vorüber­ge­hender Moment gewesen ist.

Es ist an uns, die Arbeit, die nach dem 16.4.1945 nur unzurei­chend beendet wurde, fortzu­führen. Die Aufgabe der Organi­sa­tion antifa­schis­ti­scher Struk­turen und des Aufbaus effek­tiven Schutzes für uns selbst und andere bleibt eine alltäg­liche.

Und die da reden von Vergessen
Und die da reden von Verzeihn –
All denen schlage man die Fressen
Mit schweren Eisen­häm­mern ein.
(B. Brecht)

Programm der Gedenk­feier mit Befrei­ungs­fest am 17.4.2015

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