w2wtal-Erklärung : Mit uns Lösungen suchen, nicht gegen uns !

Einige, in Wuppertal lebende geflüch­tete Menschen veröf­fent­li­chen eine Erklä­rung zu ihrer Situa­tion und zum geplanten neuen Asylrecht.

Die Bundes­re­gie­rung plant ein neues Asylrecht, dass die weitest­ge­hende Verschär­fung seit 1993 darstellt. Nach einer kurzen Phase des auch offizi­ellen „Willkommen” in Deutsch­land kehrt die Polizik jetzt zum menschen­feind­li­chen Normal­zu­stand zurück.

Die Wupper­taler Initai­tive w2wtal (welcome2wuppertal) hat einige geflüch­tete Menschen über die geplanten Änderungen des Gesetzes, das sie betrifft wie sonst niemanden, infor­miert und um ihre Meinung dazu gebeten, denn im z.T. offen rassis­tisch geführten Diskurs über den Umgang mit Flüch­tenden in Deutsch­land fehlt ausge­rechnet die Stimme der Betrof­fenen.

Unter der Überschrift „Mit uns Lösungen suchen, nicht gegen uns” erklären einige der in Wuppertal lebenden Refugees denn auch, an Lösungen entste­hender Probleme mitwirken zu wollen, betonen aber anderer­seits, dass künst­liche Unter­schei­dungen zwischen den verschie­denen Gruppen geflüch­teter Menschen und neue Schikanen nicht zu einer Lösung beitragen können.

Das solida­ri­sche State­ment, das ab heute bei verschie­denen Veran­stal­tungen von und für Refugees in Wuppertal verteilt werden wird, hat eine weite Verbrei­tung verdient. Morgen abend, am 3.Oktober, laden w2wtal und die Verfasser*innen der Erklä­rung alle Geflüch­teten und alle Unterstützer*innen im Übrigen zur „Refugees Welcome Area Ölberg” ins Café Stil-Bruch am Otto-Böhne Platz ein. Am – unter dem zynischen Motto „Grenzen überwinden” – zelebrierten „Tag der deutschen Einheit” sollen dabei „statt Politiker der Abschot­tung lieber die Richtigen” gefeiert werden, heißt es in der Einla­dung der Initia­tive und der Refugees.

Wir dokumen­tieren hier die Erklä­rung der Refugees zum neuen Asylrecht :

w2wtal_titel

Mit uns Lösungen suchen, nicht gegen uns !

Ihr macht Unter­schiede bei den Geflüch­teten - nicht wir !

Wir sind sehr dankbar dafür, nach einer anstren­genden, ungewissen und manchmal gefähr­li­chen Reise nun hier in Sicher­heit leben zu können. Wir danken allen, die uns warmherzig begrüßt haben und unter­stützen. Das hilft sehr.

Doch jetzt haben wir erfahren, dass die deutsche Regie­rung nach der Ankunft vieler Menschen die mit uns auf der Flucht waren, plant, das Asylge­setz zu ändern. Viele Punkte im Geset­zes­ent­wurf machen auf uns den Eindruck, dass nicht mit uns nach Lösungen gesucht wird sondern gegen uns.

Unsere Lage ist durchaus unter­schied­lich. Viele Menschen aus Syrien haben oft Sorgen um ihre Familien, die sich immer noch im Kriegs­ge­biet befinden, andere Refugees haben große Angst, dass sie wieder in unmensch­liche Lager und Länder zurück­gehen sollen, in denen sich die Behörden nicht um die ankom­menden geflüch­teten Menschen kümmern und wo sie nicht leben können. Doch alle Menschen, die nach ihrer Flucht in Deutsch­land angekommen sind, stehen hier vor ähnli­chen Problemen, unabhängig von der Lage in ihrer Heimat, ihrer Herkunft und der indivi­du­ellen Gründe, die sie dazu gezwungen haben, ihre Heimat, ihre Freunde und manchmal auch ihre Familien zu verlassen.

Die Situa­tion ist für uns und auch für die deutschen Menschen kompli­ziert. Wir wollen gerne gemeinsam nach Lösungen suchen. Wir glauben, dass die Umset­zung unserer Wünsche nicht nur für uns, sondern auch für die gesamte Situa­tion hilfreich sein könnte. Leider finden wir davon jedoch nichts in den Plänen zum Asylrecht, bei vielen Punkten soll sogar das Gegen­teil gemacht werden.

Für uns als geflüch­tete Menschen sind die wichtigsten Punkte :

  • Alle, die jetzt in Deutsch­land sind, sollten bleiben können. Wir finden es schreck­lich, wenn gesagt wird, dass, wenn einige von uns bleiben dürfen, andere als Kompen­sa­tion Deutsch­land wieder verlassen müssen. Wir als Geflüch­tete sehen keinen Unter­schied darin, ob jemand sein Land verlassen muss, weil das Leben dort aufgrund fehlender Möglich­keiten und Rechte bedroht war, oder ob ein Mensch fliehen muss, weil sein Leben von anderen bedroht wird. Unter­schiede zwischen verschie­denen Gruppen Geflüch­teter werden von Behörden gemacht, nicht von uns !
  • Der Prozess der Entschei­dung, ob wir hier bleiben dürfen, muss trans­pa­renter werden. Die Verfahren, in denen über Anträge entschieden wird, sind langwierig und sehr kompli­ziert. Fast alle Lebens­ent­schei­dungen hängen für uns von diesen Verfahren ab, deshalb ist es so schwer zu verstehen, warum einige Verfahren ganz schnell gehen, andere jedoch sehr lange dauern. Wenn jemand warten muss, ist es gut zu wissen, wie lange gewartet werden muss. Doch niemand klärt uns auf, warum etwas wie lange dauert. Für die, die jeden Tag hoffen, Angehö­rige aus dem Krieg holen zu können, dauern die Verfahren auch zu lange.
  • Jeder Mensch, der Europa erreicht hat, sollte dort auswählen können, wo er leben möchte. Manchmal dürfen nicht einmal Söhne und Töchter in den Ort ziehen, in dem ihre Eltern leben. Dabei würden sich Verwandte und Freunde sehr gut gegen­seitig helfen können, hier ein neues Leben zu beginnen. Die Menschen in Europa sollten auch akzep­tieren, dass sich Menschen, die alles riskieren um eine neue Perspek­tive zu finden, nicht einfach in solche Länder umsie­deln lassen, in denen es für sie auch wieder keine Perspek­tive gibt. Das « Dublin»-System ist unmensch­lich und ungerecht. Es sollte umgehend abgeschafft werden.
  • Es sollte allen auch erlaubt werden, eine Arbeit in Deutsch­land zu suchen. Jeder Mensch will arbeiten und für sich selbst sorgen. Arbeiten zu können ist Teil unserer Würde. Ein Mensch mit Arbeit braucht auch keine Unter­stüt­zung und kann sogar noch andere unter­stützen. Viele von uns haben einen Beruf gelernt. Wir verstehen nicht, warum es so schwer ist, hier wieder in diesem Beruf zu arbeiten. Statt­dessen soll das Verbot eine Arbeit zu suchen, für viele von uns noch ausge­weitet werden. Für Menschen mit unsicherem Status soll das sogar für die ganze Zeit bis zur Beendi­gung ihres Asylver­fah­rens gelten. Das ist nicht verständ­lich.
  • Jeder Mensch sollte ohne Unter­schied Zugang zu Sprach­kursen und zu Bildungs­mög­lich­keiten haben. Wieso bekommen einige Hilfe beim Deutsch­lernen und andere dürfen nicht in Kurse ? Viele Geflüch­tete sind jung, manche waren vor ihrer Flucht noch in der Schule oder haben studiert. Wir haben gehört, dass es in Zukunft in einigen Lagern nicht einmal mehr Schul­un­ter­richt für unsere Kinder geben soll. Wir finden das falsch. Alle Kinder sollten die Möglich­keit haben zu lernen, egal woher sie kommen oder wer ihre Eltern sind.

Das sind unsere wichtigsten Punkte. Wie sie sich umgesetzen lassen und welche Schwie­rig­keiten dabei entstehen können, möchten wir am liebsten zusammen mit den Menschen bespre­chen, mit denen wir jetzt gemeinsam hier leben. Wir möchten an Lösungen mitar­beiten.

Diese Erklä­rung einiger jetzt in Wuppertal lebender geflüch­teter Menschen wurde gemeinsam mit w2wtal (welcome2wuppertal) verfasst und wird von „kein mensch ist illegal” Wuppertal unter­stützt.

Erklä­rung in Deutsch als pdf-Datei zum Download
Erklä­rung in Englisch als pdf-Datei zum Download
Erklä­rung in Arabisch als pdf-Datei zum Download

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Kampagne „AufRecht bestehen“: Unteilbare Würde

In der gesell­schaft­li­chen Debatte um einen richtigen Umgang mit flüch­tenden Menschen werden von verschie­denen Seiten die dunkelsten Ressen­ti­ments bedient. Das Prinzip rechter Politik ist so simpel wie leider oft effektiv : Entrech­tete und Einfluss­lose werden gegen­ein­ander in Stellung gebracht, Ängste um die gerechte Vertei­lung gnädig gewährter Krumen und Sorgen vor noch weiter­ge­hender Ausgren­zung werden geschürt. Neben klassi­schen echten Konflikten um künst­lich verknappte Ressourcen entstehen dadurch zu oft unsoli­da­ri­sche Haltungen und ein wenig wider­stands­fä­higes Umfeld. Zehn Jahre „Hartz IV” sprechen zum Erfolg dieser Herrschafts­stra­tegie eine deutliche Sprache – zu besich­tigen täglich auf den Fluren der Jobcenter.

Umso begrü­ßens­werter ist es daher, dass verschie­dene, unter dem Dach der Kampagne „AufRecht bestehen” tätige Erwerbs­lo­sen­in­itia­tiven (in Wuppertal z.B. Tacheles e.V.) sich mit einer Presse­mit­tei­lung deutlich und vernehmbar gegen die am 17.9. bekannt gewor­denen Pläne des Innen­mi­nis­te­riums wenden, das Asylrecht weiter zu verschärfen und in Teilen de facto abzuschaffen. In der noch zu schlep­pend verlau­fenden Debatte über diese Pläne ist diese Positio­nie­rung der Erwerbs­lo­sen­in­itia­tiven ein wertvoller Beitrag. Wir dokumen­tieren deshalb hier die Presse­mit­tei­lung im Wortlaut.

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Presse­mit­tei­lung der Kampagne „AufRecht bestehen“
Berlin/Wuppertal, 22.09.2015

Die Würde des Menschen ist unteilbar

Erwerbs­lo­sen­gruppen und -organi­sa­tionen der Kampagne „AufRecht bestehen“ verur­teilen  die Pläne der Bundes­re­gie­rung, das Aufent­halts- und Asylrecht auszu­höhlen und Tausenden gerade erst einge­reisten Schutz­su­chenden das Grund­recht auf Asyl und auf Existenz­si­che­rung  zu verwehren.

Noch immer werden geflo­hene Menschen an deutschen Bahnhöfen von der Bevöl­ke­rung mit Lebens­mit­teln, Geschenken und Herzlich­keit empfangen. Die Bundes­kanz­lerin überrascht mit  der humani­tären Geste, dass Deutsch­land Menschen in Not nicht im Stich lasse, und pflegt so im Ausland das neue Image eines offenen und hilfs­be­reiten Landes. Zeitgleich formu­liert die Bundes­re­gie­rung einen 150seitigen Gesetz­ent­wurf zur Verschär­fung des Aufent­halts- und Asylrechts sowie des Asylbe­wer­ber­leis­tungs­ge­setzes (AsylbLG), der alle sozial- und recht­staat­li­chen Errun­gen­schaften, die Asylsu­chende und ihre Unter­stützer in den vergangen 20 Jahren mühsam auch vor Gerichten erkämpft haben, wieder zunich­temacht.

Die Erwerbslosenvertreter/innen weisen darauf hin, dass erst im Frühjahr dieses Jahres das Asylrecht verfas­sungs­kon­form ausge­staltet wurde, um den Vorgaben des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts vom Sommer 2012 gerecht zu werden. Unter anderem wurde durch die enge zeitliche Begren­zung von Sachleis­tungen und die Anpas­sung des Leistungs­ni­veaus an den Hartz-IV-Regel­satz sicher­ge­stellt, dass alle in Deutsch­land lebenden Menschen das Recht auf die Gewäh­rung eines menschen­wür­digen Existenz­mi­ni­mums erhalten.

Jetzt, wo das AsylbLG und das Grund­recht auf Asyl dringender gebraucht werden denn je, kommt die Verschär­fung unter anderem mit Leistungs­ein­schrän­kungen, erwei­terter Sachleis­tungs­ge­wäh­rung, dauer­hafter Unter­brin­gung in Erstauf­nah­me­la­gern sowie Einschrän­kungen bei Bildungs­maß­nahmen und der Arbeits­auf­nahme einher. Allen über EU-Dritt­statten einge­reisten, sogenannten „Dublin-III-Flücht­lingen“ droht die Versa­gung von Leistungen – einschließ­lich Unter­kunft und medizi­ni­scher Versor­gung – und sie sollen mit einem Ticket zurück in den Herkunfts­staat und einem Verpfle­gungs­pa­cket abschoben werden. Auch tausende Schutz­su­chende, die gerade noch über Griechen­land, Ungarn oder Slowe­nien nach Deutsch­land einge­reist sind und einreisen, können so mittels Leistungs­ver­sa­gung zur Rückkehr in diese Länder gezwungen werden, egal ob sie dort menschen­würdig aufge­nommen und versorgt werden können oder nicht.

Die „Festung“ Europa hat gerade demons­triert bekommen, dass das „Dublin-System“ und die europäi­sche Flücht­lings­po­litik geschei­tert ist, und die Bundes­re­gie­rung versucht auf diesen geschei­terten Instru­menten aufbauend ein Asylrecht zu imple­men­tieren, dass das Land gegen Flücht­linge abschotten und diese durch Andro­hung von Hunger und Obdach­lo­sig­keit vor der Einreise nach Deutsch­land abschre­cken soll. Die Unterstützer/innen der Kampagne „AufRecht bestehen“ sehen hier die fakti­sche Abschaf­fung des Grund­rechts auf Asyl und die Abkehr des im Grund­ge­setz veran­kerten Ziels, die menschen­wür­dige Existenz aller sicher­zu­stellen. Die Erwerbs­lo­sen­gruppen fordern die vollstän­dige Rücknahme der Geset­zes­ver­schär­fung, ein modernes Einwan­de­rungs­ge­setz und die Stärkung des Asylrechts für Schutz­su­chende in diesem Land, auch wenn sie über Dritt­staaten einge­reist sind.

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