Heute vor 70 Jahren – am 16.April 1945 – wurde die Stadt Wuppertal ohne größere Kampfhandlungen durch einen symbolischen Akt im Barmer Rathaus an die 8. und die 78. Infanteriedivision der US-Army übergeben. Für die verbliebenen antifaschistischen Wuppertaler*innen, für jene in der Stadt versklavten Zwangsarbeiter*innen, die ihre Verschleppung durch die Deutschen überlebt hatten und für die nur wenigen Überlebenden der anderen verfolgten Bevölkerungsgruppen müssen die Tage ab dem 15.4. – den Tagen, an denen die US-Truppen auf Wuppertal vorrückten und schließlich die Einnahme der Stadt absicherten – ein unvergleichlicher Akt der Befreiung gewesen sein.
Jahre grausamer Verfolgung und Monate nochmals gesteigerter Brutalität während der so genannten „Endphaseverbrechen” waren vorbei. Jahre, in denen auch ein Großteil der Wuppertaler Bevölkerung den Mördern zugejubelt und zugearbeitet hatte und während derer der Widerstand der Antifaschist*innen und der Überlebenskampf für alle jüdische Menschen, für Sinti und Roma, für Zwangsarbeiter*innen und andere Verfolgte sehr oft ein schrecklich einsamer gewesen sein muss.
Für viele kamen die Befreier an jenem 16.April auch zu spät – u.a. für die im Burgholz noch im Februar durch die Wuppertaler Kripo ermordeten dreissig Zwangsarbeiter*innen oder für die mehr als siebzig beim Massaker in der Wenzelnbergschlucht bei Langenfeld durch ein Kommando aus Solinger und Wuppertaler Gestapoleuten und Kripobeamten ermordeten Gefangenen aus dem Lüttringhausener Knast. Für über 30.000, meist unter unmenschlichen, oft unter tödlichen Bedingungen in Camps und Lagern untergebrachte Zwangsarbeiter*innen erreichte die US-Army die Stadt jedoch noch rechtzeitig. Unter anderem ihr Schicksal führte zunächst zu entschiedenen Maßnahmen der Befreier gegen die Wuppertaler Bevölkerung, umgehend begannen sie mit einer Entnazifizierung.
Damit blieben sie nicht alleine : Nach der Befreiung bereiteten außer den US-Amerikanern auch zwei antifaschistische Aktionsausschüsse in der Stadt die Reorganisation des städtischen Lebens vor. Das Aufspüren von verantwortlichen Nazis in der Stadt wurde von den Aktivist*innen dabei als eine Hauptaufgabe angesehen. Die kurze Zeit einer durch Antifaschist*innen und durch befreite Zwangsarbeiter*innen selbstorganisierten Entnazifizierung Wuppertals endete jedoch schon bald, einer der beiden Ausschüsse musste beispielsweise nach einer Intervention der inzwischen für die Stadt zuständigen Briten schon im August 1945 seine Arbeit wieder einstellen.
Schnell fanden viele Nazis Wege, ihre Verantwortung zu verschleiern und sich den Konsequenzen ihres Tuns zu entziehen, und schnell legte sich auch in Wuppertal das Verdrängen und Vergessen wie Mehltau über den Moment der Befreiung. Die allermeisten der entsetzlichen Verbrechen während der NS-Zeit blieben ungesühnt. Und nur wenige Jahre nach 1945 beherrschten bereits eigene Opfererzählungen von Bombennächten und knappen Lebensmitteln die an die nachgeborenen Kinder vermittelten Erinnerungen an das Kriegsende. Eine echte Erinnerungsarbeit begann erst sehr viel später, in vielen Fällen zu spät, um Täter*innen noch zur Konsequenz zu ziehen oder ihre Opfer zu entschädigen.
Und so muss der Rückblick auf die siebzig Jahre nach dem 16.4.1945 ambivalent ausfallen. Es fällt schwer, sich den gestanzten mahnenden Worten und den gestelzten Versöhnungssätzen des offziellen Wuppertal und den meisten der veröffentlichten Erinnerungen anzuschließen. Denn in die Dankbarkeit für jene, die niemals aufhörten, Widerstand zu leisten und für jene, die im April 1945 die Stadt befreiten, mischt sich eine große Bitterkeit darüber, dass mit der Übergabe der Stadt zwar der direkten Herrschaft der Nazis, ihnen und ihren Komplizen selber aber vielfach kein Ende gesetzt wurde.
Viele Täter lebten bis zu ihrem Lebensende unbehelligt und oft unerkannt weiter in der Stadt, selbst der letzte Lagerkommandant von Treblinka, Kurt Franz, der 1998 in einem Wuppertaler Altersheim starb, nachdem er „aus Altersgründen” fünf Jahre zuvor aus der Haft entlassen worden war. Die Mörder aus der Wenzelnberg-Schlucht wurden – im Gegensatz zu Kurt Franz – sogar nie verurteilt. Auch einige der Wuppertaler Unternehmen, die Arbeitssklaven beschäftigten, zahlten niemals in den ohnehin nur äußerst kümmerlichen Zwangsarbeiter*innen-Entschädigungsfonds ein. Der Verantwortung für die bei ihnen eingesetzten Arbeitssklaven entzogen sich Wuppertaler Betriebe wie Quante, Stocko, Luhns oder Lusebrink und Schwebinghaus. Es ist nicht bekannt, dass ihnen in der Stadt deshalb ein Stigma anhaftete – die Erinnerung wurde einfach gelöscht.
Auch die Erinnerung an die Orte der Qual und des Todes in der Stadt wurden in den siebzig Jahren seit der Befreiung vielfach schlicht „überschrieben”. Erst durch die Arbeit z.B. des „Vereins zur Erforschung der sozialen Bewegungen im Wuppertal” und mit Erscheinen der Broschüre „Vergessene Orte” wurden einzelne Schreckensorte nach und nach dem Vergessen entrissen. Erst jetzt rückten so der Tatort des „Burgholz-Massakers”, das Zwangsarbeiter*innen-Durchgangslager „Am Giebel”, das Sterben im „Säuglingsheim” der Firma Kolb & Co oder der „Schee-Tunnel » an der Trasse ins Bewusstsein, in dem Arbeitssklaven für die Sonnborner Firma Homann arbeiteten und litten.
Nicht zuletzt machen auch aktuelle Geschehnisse und Entwicklungen, wie der versuchte Mord an einem Antifaschisten durch vermeintliche Nazi-Hools in der Nacht vom 10. auf den 11.April 2015 am Autonomen Zentrum und die zunehmende, widerliche Hetze neuer Nazis gegen Geflüchtete deutlich, dass die Freude am „Tag der Befreiung” in Wuppertal nur ein vorübergehender Moment gewesen ist.
Es ist an uns, die Arbeit, die nach dem 16.4.1945 nur unzureichend beendet wurde, fortzuführen. Die Aufgabe der Organisation antifaschistischer Strukturen und des Aufbaus effektiven Schutzes für uns selbst und andere bleibt eine alltägliche.
Und die da reden von Vergessen
Und die da reden von Verzeihn –
All denen schlage man die Fressen
Mit schweren Eisenhämmern ein.
(B. Brecht)