Interview vor der Solingen-Demo zu 1993

Das muss man selber regeln.

« Das muss man selber regeln. »

Was wäre eigent­lich passiert, wenn die Nacht­wa­chen auf Nazis getroffen wären ? Ich erinnere mich an Diskus­sionen darüber, wie man reagieren soll, wenn welche angetroffen werden… da gab es unter­schied­liche Auffas­sungen, ob die Polizei gerufen werden soll…

Wir hatten Telefon­listen. Da wären dann sofort einige Leute alarmiert worden. Auch die von mir erwähnten Läden standen auf der Liste.

Hätten die Leute das selber geregelt ? Oder die Polizei gerufen ?

Das hätten wir selber geregelt. Das muss man selber regeln.

Es wurde damals viel über die « Grauen Wölfe » speku­liert. Wie war das im Tal mit den türki­schen Faschisten ? Haben die Natio­na­listen sich an den Wachen betei­ligt ?

Die türki­schen Natio­na­listen waren bei den Komitees gar nicht dabei. Die waren in Solingen an den Abenden da. Wir haben uns mit denen ausein­an­der­ge­setzt. Für uns ist das das gleiche - ob deutsche oder türki­sche Faschisten…

Wir haben bei den Nachbar­schafts­treffen auf die Arbeit aufbauen können, die wir vorher schon mit anderen zu den neuen Auslän­der­ge­setzen gemacht hatten. Da hatten wir uns schon mit vielen Menschen getroffen und Meetings verab­redet. Wir haben Protest­ak­tionen und Demons­tra­tionen gemacht. Alleine in Wuppertal waren da 1.000-1.500 Leute. Da waren verschie­dene Gruppen aktiv. Wir haben mit allen geredet. Außer mit den Faschisten. Mit türki­schen und kurdi­schen Vereinen, mit gläubigen Menschen in den Moscheen und auch mit Konser­va­tiven. Die waren ja alle betroffen. Es gab Meetings im alten « Hasret », im « ADA », oder im « Haus der Jugend ». Das was ein schöner Anfang. Auch ein Lernpro­zess. Wen sprechen wir an ? Nur linke Gruppen, nur eigene Gruppen ? Oder alle, die es angeht ? Die neuen Asylge­setze gingen ja auch die Konser­va­tiven an…

« Da war viel Gerede. »

… Verhin­dern konnten wir die Gesetze aber nicht, obwohl dann – nach Solingen – auch bürger­liche Gruppen zum Beispiel das kommu­nale Wahlrecht für alle oder die doppelte Staats­bür­ger­schaft gefor­dert haben, wie die SPD

… Nein. Das hat nicht funktio­niert. Das war viel Gerede. Die « Grünen » haben zum Beispiel aufge­for­dert, die deutsche Staats­bür­ger­schaft zu beantragen. Da haben wir eine gemein­same Antrags­ab­gabe gemacht. Doch viele haben die Staats­bür­ger­schaft nicht gekriegt. Ich habe zum Beispiel auch einen Antrag auf einen deutschen Pass gestellt. Ich war da schon kein türki­scher Staats­bürger mehr. Ich war heimatlos. Regie­rung und Parla­ment in der Türkei hatten mich ausge­bür­gert. Ich weiß, dass der deutsche und der türki­sche Geheim­dienst mitein­ander Kontakt hatten, danach wollte das Auslän­deramt von mir Nachweise zur Ausbür­ge­rung. Ich sollte in die Türkei zurück­kehren und mir dort eine Bestä­ti­gung abholen. Es hat auch nichts genutzt, dass ich die « amtliche Zeitung » gezeigt habe, in der sie meine Ausbür­ge­rung bekannt­ge­geben haben.

Du hattest durch deine Arbeit in der Türkei Erfah­rungen in der Organi­sie­rung von basis­de­mo­kra­ti­schen Struk­turen. Wie beurteilst du vor diesem Hinter­grund die Nachbar­schafts­ko­mi­tees 1993 ? Hast du eine Erklä­rung dafür, warum diese spontanen Komitees nicht langfris­tiger gearbeitet haben ?

Das kann man nicht verglei­chen, in der Türkei ist das etwas anderes. Dort ist die faschis­ti­sche Bedro­hung perma­nent. Die schossen oft auf Leute oder schlugen sie zusammen. Deshalb haben wir für Einrich­tungen wie Fabriken, Schulen oder die Univer­sität, aber auch für bestimmte Straßen ständig Schutz organi­siert. Das war normal, dass immer welche bis zum neuen Morgen wachge­blieben sind. Hier ist das anders. Niemand weiß genau, wer hat das gemacht ? Wie ist das gemacht worden ? Die Gefahr ist nicht so greifbar, nicht so präsent. Die Leute vergessen sie dann schneller…

… Da spielen sicher auch die Medien eine Rolle. In der Bericht­erstat­tung wurde nach Solingen schnell gelernt : Kaum noch ein Brand wurde als rassis­ti­sche Tat benannt. Es waren nur noch « ungeklärte Ursachen ». Oder es wurden, wie bei den Bränden in Hattingen oder später in Lübeck, sogar die Brand­opfer selber als TäterInnen beschul­digt. Das hat dann Jahre gedauert, bis die freige­spro­chen wurden, die Leute haben vergessen und die wahren Täter wurden nie ermit­telt…

… Das ist ja heute auch noch so. Wie bei den Morden der Nazis vom NSU, da wurde auch jahre­lang geleugnet, dass es rassis­ti­sche Taten waren. Auch da wurden die Opfer beschul­digt, weil sie angeb­lich Geld brauchten oder sonst was… Wir wissen das alles doch schon seit Jahren. Das läuft doch immer so…

« Viele haben gedacht, wann kommt das Feuer ? »

Du bist nur wenige Jahre vor dem Anschlag in Solingen nach Deutsch­land gekommen. Wie hast du die Ereig­nisse 1992/1993 in deiner « neuen Heimat » aufge­nommen ?

Das Wichtigste war für mich wirklich die Zusam­men­ar­beit der Nachbarn in den Komitees. Das war das, was mich am meisten inter­es­siert hat. Das war schön. Da waren auch die Älteren dabei. Die Nachba­rInnen aus der Wiesen­straße, aus der Helmholtz­straße, sehr viele haben versucht zu helfen.

Die Menschen hatten natür­lich auch Angst. Wird meine Wohnung auch brennen ? Passiert uns sowas auch ? Solche Angst kommt bei den « Auslän­dern » dann natür­lich auf. Die türkisch­stäm­migen Leute kannten das doch aus der Türkei. Zum Beispiel die Aleviten. Die türki­schen Natio­na­listen haben dort Wohnhäuser mit einem Kreuz markiert, in denen alevi­ti­sche Leute leben. Da sind in mehreren Städten viele, viele Leute bei Bränden gestorben… Die türki­schen Faschisten gehen auf die gleiche mörde­ri­sche Art vor… Da hatten die Leute natür­lich Angst, hier wieder « markiert » zu werden, als « Türken », oder als « Ausländer ». Und die Angst wird größer, je weniger Infor­ma­tionen sie vom Staat, von der Polizei bekommen. Da war viel Angst in Wuppertal. Damals lebten 14.000 kurdi­sche und türki­sche Menschen hier, und Solingen ist direkt nebenan. Es ist ja damals auch in vielen Orten etwas passiert. Viele haben damals gedacht : Wann kommt das Feuer ? Wir konnten nur vorschlagen, zusam­men­zu­ar­beiten und aufzu­passen.

Haben die Leute heute auch noch Angst ?

Natür­lich haben sie heute auch noch Angst. Aber die Gesell­schaft hat ein Fisch­ge­hirn. Sie vergisst zu schnell. Es passiert etwas, und nach zehn Tagen ist es vergessen. Jetzt haben die NSU-Morde neue Angst gemacht. Dass das rassis­ti­sche Morde sind wussten viele türki­sche Menschen schon lange. Manche türki­schen Medien haben schon früh den Verdacht geäus­sert, dass es rassis­ti­sche Morde sind. Und da sterben zwei, drei, am Ende zehn Menschen. Das macht natür­lich Angst.

« Wir müssen lebendig sein ! »

Wenn du dir heute die Situa­tion mit den Nazis ansiehst und sie mit damals vergleichst, wie schätzt du das ein ? War die Situa­tion damals bedroh­li­cher ? Oder ist die Gefahr heute tatsäch­lich größer ?

Ich finde es heute bedroh­li­cher. Weil es zum Beispiel diese Demons­tra­tionen gibt, die der Staat durch­setzt, weil die Polizei kommt, um den Faschisten zu helfen, weil sie in Vohwinkel zum Beispiel wegsehen, wenn da Nazis offen mit Nazi-Symbolen herum­spa­zieren. Und in der ökono­mi­schen Krise rücken die Rechten zusammen und bieten einfache Antworten an. Schuld sind dann sowieso immer die Ausländer. Hier sind es die Türken, in Frank­reich die Araber, in Holland die Tamilen.

Ob wir vor diesem Hinter­grund die Nachbarn heute nochmal zusammen bekommen würden ?

Ich glaube wir, die linken Gruppen, die Antifa­schisten, müssen das anspre­chen, was die Leute inter­es­siert. Und dafür dann organi­sieren. Vielleicht neue Methoden finden… Wir müssen lebendig sein. Wir müssen das Leben der Leute kennen, ihre Probleme in den Schulen, bei der Arbeit. Die konkreten Probleme.

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One Reply to “Interview vor der Solingen-Demo zu 1993”

  1. Was immer Linné, Blumen­bach und andere Ethno­logen des 18. Jahrhun­derts beabsich­tigt hatten – sie waren jeden­falls die Wegbe­reiter für einen säkularen bezie­hungs­weise „wissen­schaft­li­chen“ Rassismus“ (Fredrickson, S. 59).

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