Wupper Nachrichten vom 05.06.1993
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Neonazis in Solingen
Eine lange braune Spur
Auch was dle rechtsextreme Szene In Solingen anbelangt, hat es In der vergangenen Woche Jede Menge Gerüchte, falsche und halbwahre Informationen gegeben. Wir versuchen den Kenntnisstand zusammenzufassen, über den Solingerlnnen verfügen, die die Rechten seit Jahren beoachten.
In den 80er,Jahren machten wiederholt neonazistische Organisationen von sich reden, die mit dem Solinger Bernd Koch verbunden waren. Bernd Koch verfügte nach Zwischenstationen bei der CDU und der NPD Anfang der 80er Jahre über Kontakte zu solchen Organisationen wie Michael Kühnens ANS/NA. Zur gleichen Zeit gründete er zusammen mit einigen NPD-Anhängern aus Solingen und Wuppertal die "Bürgerinitiative für Ausländerstop" (BIFAS) 1983 kam es zu einer Drohbriefkampagne gegen jüdische Gemeinden und Frauenhäuser, die Briefe waren zum Beispiel mit "NSDAP Gau Solingen" unterzeichnet. Koch wurde damals zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Ende 1986 trat er als FAP-Kreisvorsitzender wieder an die Öffentlichkeit. Zusammen mit dem Solinger Bernd Schlösser wechselte er sich im Parteivorsitz ab. Beide verließen nach kurzer Zeit die FAP. Schlösser beteiligte sich an der Gründung der "Bergischen Front", die hauptsächlich aus jungen Rechtsextremisten und Skins bestand. Koch und Schlösser schlossen sich später der "Deutschen Liga" an, in deren Organen Schlösser auch für eine "Deutsche Kampfsportinitiative" (DKI) warb. Beide Herren trainieren auch in einem Solinger Kampfsportverein. Ob dieser Verein eine neonazistische Vorfeldorganisation ist, ist unter Beobachtern der Szene umstritten. Einerseits soll der mehrere hundert Mitglieder umfassende Verein die "Security" für Deutsche Liga- und Republikaner-Veranstaltungen übernommen haben, andererseits sollen in ihm auch viele Ausländer und völlig unpolitische Leute trainiert haben. Als weiterer bekannter Rechtsradikaler in Solingen gilt der Bauunternehmer Günther Kissel, der für die Stadt mehrere öffentliche Bauten errichtet hat. Als 1979 bekannt wurde, daß der Unternehmer auf seinem Firmengelände eine Veranstaltung mit dem britischen Holocaust-Leugner David Irving durchführte, kam es in Solingen zu einem Skandal.
Besonders lang ist die Liste rechter Aktivitäten und rassistischer Übergriffe in Solingen seit einem Jahr. Ende Mai 1992 kam es zu einem Überfall auf ein Flüchtlingsheim an der Bahnstraße. Zwei mit Eisenstangen bewaffnete Skins brachen in das Heim ein und verletzten vier Bewohner, zwei davon schwer. In erster Instanz wurde ein Täter auf Bewährung verurteilt, in der Revisionsinstanz wurde die Bewährung gestrichen. Anfang Oktober fahren drei Fahrzeuge am Flüchtlingsheim Altenhilferstr, vor. Ca. 13 Leute rufen rassistische Parolen und bewerfen das Heim mit Eiern. Mit dabei ein Jeep, aus dem heraus später Antifaschistlnnen mit Cola-Dosen beworfen und mit "Heil Hitler"Rufen traktiert werden. Ungefähr im Oktober des letzten Jahres spaltet sich die Szene. Neue, sehr junge Leute tauchen auf. Sie sind nicht alle Skins, sollen aber über intensive Kontakte zu der Düsseldotter Nazi-Band "Störkraft" verfügen.
In größeren Gruppen suchen diese Jungendlichen die Auseinandersetzung mit den Linken, in kleineren Gruppen aber ergreifen sie die Flucht. Es ist diese Szene, die sich nach der Beobachtung der Antifaschlstinnen öfter am "Bärenloch" und der BP-Tankstelle aufhält. Der harte Kern wird auf ca. 15 Leute geschätzt, es gibt aber noch ein Umfeld. Wie mit diesen Jung-Rechten umzugehen ist, war aber auch in der Antifa-Szene umstritten. "Vielleicht haben wir diese Gruppe unterschätzt", sagt ein Solinger, "aber ich scheue mich einfach, einem 16-Jährigen Ohrfeigen zu geben".
Im November werden ausländerfeindliche Parolen gesprüht, im Dezember Roma auf dem Hindenburg-Platz mit Leuchtspurmunition beschossen. Am 3. Februar 1993 wird die Moschee in einem Wohnhaus an der Schlagbaumstraße an zwei Stellen in Brand gesetzt. Das Feuer wird frühzeitig entdeckt, es entsteht Sachschaden in Höhe von 20 Tsd DM.
Anfang März schlagen zwei deutsche Golffahrer zwei Türken zusammen, die eine Autopanne in Wald hatten. Die Täter werden später gefasst. Im April und Mai tauchen wiederholt rechte Gruppen bei Linken-Feten auf und überfallen Antifas auf dem Ohligser Dürpelfest.
Besonders die Bewohnerinnen in den Flüchtlingsheimen sind stark verängstigt. "Die Leute lassen abends ihre Badewannen vollaufen, um bei einem Brandanschlag Wasser zu haben, die gucken wo sie ihre Kinder schlafen lassen können", weiß eine Flüchtlingsunterstützerin
Am Freitag, dem Tag vor dem Anschlag, gab es beim AG Solingen einen Prozeß gegen einen Antifaschisten. Ihm wurde vorgeworfen, auf einer Spontan-Demonstration anläßlich Mölln einen Fotographen angegriffen zu haben. Der Prozeß wurde gegen 15.30 vertagt. Anwesend war der Staatsschutz und das politische Kommissariat. Die Polizei war in Alarmbereitschaß. Danach waren ein paar Prozeßbesucher in der Stadt unterwegs. Am Abend wurden dann rechte Jugendliche an einer BP-Tankstelle gesichtet.