Antifaschistische Nachrichten vom 04.06.1993
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Wieder faschistischer Terror:
Fünf Tote in Solingen
Vor wenigen Wochen erklärte der Solinger Oberbürgermeister (SPD) bei einer Podiumsdiskussion, er sehe keine rechtsradikale Gefahr in Solingen. Die Aussage stieß schon da auf Kritik von Antifaschisten und wurde inzwischen in schrecklicher Weise widerlegt. In der Nacht vom 28. auf den 29.5. starben in Solingen fünf Menschen bei einem Brandanschlag auf das seit zwölf Jahren von der türkischen Familie Genç bewohnte Fachwerkhaus in der Innenstadt. Zwei Frauen und drei Kinder im Alter von vier, neun und dreizehn Jahren. Drei weitere Bewohner wurden schwer verletzt. Nach Aussage von Zeugen liefen in der Nähe des Hauses unmittelbar nach dem Ausbruch des Brandes mehrere Personen aus der Skinead-Szene weg.
Nach anfänglichem Zögern geht auch die Bundesanwaltschaft, die die Ermittlungen an sich gezogen hat, von einem ausländerfeindlichen Anschlag aus. Über ihre Ermittlungen wurde bis Montag jedoch kaum etwas bekannt. Sie verfolgt über 100 Hinweise aus der Bevölkerung und hat inzwischen mehrere Skinheads vernommen, ein 15-jähriger wurde festgenommen. Der organisierte Faschismus scheint bei den Recherchen jedoch keine Rolle zu spielen. Dabei gibt es in Solingen Faschisten mit guten Verbindungen u.a. zur Freien Wälhlergemein?schaft in Düsseldorf und zur Deutschen Liga in Köln (siehe S. 2).
Der Solinger Brandanschlag hat in furchtbarer Weise deutlich gemacht, daß der faschistische Terror in keiner Weise gestoppt ist. Nach 17 Toten im letzten Jahr gibt es in diesem Jahr allein bis Ende Mai acht. Offensichtlich wollten die Täter - wie bei fast gleichzeitigen Anschlägen in München und Hannover - zwei Tage nach der Abschaffung des Asylrechts erneut Zeichen setzen. Staatstragende Politiker und staatliche Organe tragen für diese Situation Verantwortung. Auch wenn die Bundesregierung inzwischen 100.000 DM Belohnung für Hinweise zur Ergreifung der Täter ausgesetzt hat, fühlen sich die Faschisten stark: Am Samstag Abend erhielt z.B. ein türkisches Reisebüro in Solingen einen Drohbrief ("Nur ein toter Türke.. ?") per Telefax (!).
Der Solinger Oberbürgermeister ließ zwar ein Spendenkonto für die Familie einrichten, hielt es aber noch nicht einmal für nötig, das in dem nur wenige Kilometer entfernten Stadtteil Solingen-Wald laufende "Pfingstochsenfest" der Werbegemeinschaft zu stoppen. NRW-Ministerpräsident Rau (SPD) trat in einer ersten Stellungnahme - ähnlich wie Bundespräsident von Weiszsäcker (CDU) - für mehr "Nachbarschaft" ein. Dabei haben die Nachbarn der Familie Genç wiederholt die Polizei darauf hingewiesen, daß das "Bärenloch" hinter dem Haus ein Treffpunkt von Skinheads ist und sie sich bedroht fühlen -die Polizei unternahm nichts. Die rechten Gruppen, die sich im "Bärenloch" trafen, wußten dagegen bestimmt, daß in dem ausgebrannten Haus ausschließlich Ausländer wohnen.
Rund 10.000 Menschen demonstrierten noch am Samstag in Solingen. Auch an den folgenden Tagen fanden immer wieder antifaschistische Demonstrationen statt. Sie waren bestimmt von Losungen wie "Erst stirbt das Recht, dann stirbt der Mensch" und Forderungen nach gleichen Rechten, doppelter Staatsbürgerschaft und Auflösung und Verbot faschistischer Organisationen. Schwierige Situationen mit rechten türkischen Gruppierungen, die unter der türkischen Nationalfahne demonstrierten, blieben an den ersten beiden Tagen die Ausnahme. In der Nacht zum 31.5. wurden jedoch zahlreiche Geschäfte geplündert, es gab Straßenschlachten mit der Polizei. Nach Aussage örtlicher türkischer Organisationen, waren daran türkische Faschisten beteiligt.
Es kommt jetzt darauf an, den Widerstand für die oben genannten Forderungen zu stärken. Dazu sind in den nächsten Tagen in vielen Orten weitere Aktionen geplant, auch in Solingen.