Wahn und Wirklichkeit Dutertes - Veranstaltungsbericht Teil 1

80% fühlen sich bedroht aber 85% stimmen Duterte trotzdem zu

80% fühlen sich bedroht aber 85% stimmen Duterte trotzdem zu

Laut aktueller Umfragen vertrauen 85% der Filipinos weiterhin dem Präsi­denten, obwohl fast 80% gleich­zeitig fürchten, selber zum „Kolla­te­ral­schaden“ im „Krieg gegen Drogen“ zu werden. So bezeichnet Duterte dieje­nigen, die „aus Versehen“ umgebracht werden. Sein Rückhalt ist dabei klassen­über­grei­fend, Angehö­rige der Mittel- und Oberschicht unter­stützen Duterte gar stärker als dieje­nigen, die nur eine Grund­schul­aus­bil­dung haben. „Er hat nicht unter den Ungebil­deten und an den Rand Gedrängten am besten abgeschnitten“ sagt Reese. Sein landes­weiter Anteil an Stimmen von 36% wurde bei Angehö­rigen der Mittel­klasse um fast ein Drittel übertroffen und bei Wählern und Wähle­rinnen mit Colle­ge­ab­schluss erreichte Duterte fast 50%. Unter gebil­deten Städtern schnitt Duterte besser ab als in ländli­chen Regionen. Noch finsterer waren die Ergeb­nisse bei den in der Diaspora lebenden Filipinos, die mit 75% für Duterte stimmten. „Es ist nicht das alte Landei oder das abgehängte Prole­ta­riat gewesen“, wie Reese ausführte, „Duterte ist Kandidat der Neurei­chen und der halbwegs Erfolg­rei­chen“. Sein Konfron­ta­ti­ons­kurs mit den „alten Eliten“ veschaffte ihm zudem zeitweise auch die Unter­stüt­zung der alten linken Opposi­tion. Seitdem Ex-Diktator Ferdi­nand Marcos, der von 1972 bis 1986 einen blutigen Krieg gegen die Linke führte, und mit dessen Familie der Duterte-Clan verflochten ist, jedoch auf dem Helden­friedhof begraben werden durfte beginnt diese aber zu bröckeln.

Im Parla­ment bildet sich die exorbi­tante Zustim­mung zum Wirklich­keits­kon­zept des Rodrigo Duterte durch 280 von 297 Abgeord­neten des „Unter­hauses“ ab ; es ist seine so genannte „super majority“. In seiner Heimat­re­gion, auf Mindanao, wo der sich gern als „Anti-Establish­ment“ insze­nie­rende Duterte vor allem in der größten Stadt Davao-City über weitrei­chende Netzwerke verfügt, erhielt er bis zu 90% der Wähle­rIn­nen­stimmen. Dort war auch der Mythos entstanden, als Bürger­meister Davaos die Millio­nen­stadt zu einer Art Muster­stadt und mithilfe der jetzt landes­weit angewen­deten brutalen Methoden „drogen­frei“ gemacht zu haben. Reese, der vor seinem Umzug nach Manila selbst in Davao gelebt hat, sagt, dass aber auch hier „alter­na­tive Fakten“ wirksam geworden seien, denn Davao-City sei noch immer die Stadt mit einer der höchsten Verbre­chens­raten der Philli­pinen. Das nährt dann auch den Verdacht, dass es sich beim „Krieg gegen Drogen“ Dutertes, ähnlich wie in Mexiko, auch vor allem um Methoden der Umver­tei­lung von Macht zwischen verschie­denen Clans bzw. Kartellen handeln könnte.

Doch auch in diesem Fall hat sich die „alter­na­tive Realität“ Dutertes selbst in Europa und den USA etabliert. In den Kommen­tar­spalten europäi­scher Zeitungen wird immer wieder auf seine erfolg­reiche Zeit als Bürger­meister in Davao verwiesen, wenn Kritik an der brutalen Umset­zung geäußert wird. Das, auch hier von AfD-Anhän­ge­rInnen und anderen ständig wieder­holte Phantasma von Duterte als erfolg­rei­chem Bürger­meister, der nicht davor zurück­schreckt, sich „die Hände schmutzig zu machen“, ist wesent­li­cher Bestand­teil der Kampagne in den Philli­pinen. Deshalb möchte Duterte auch nach seiner Wahl nicht als „Presi­dent“ sondern weiterhin lieber als „Mayor“ angespro­chen werden. Die Sicht auf das Gemein­wesen als überschau­bare Größe, in der persön­liche Erfah­rungen Maßstab für Entschei­dungen sein können, ist eine wesent­liche Voraus­set­zung seines Erfolgs. Ein, auf eine handhab­bare Größe geschrumpfter Bezugs­rahmen dient in der Reali­täts­be­schrei­bung á la Duterte als Gegen­ent­wurf zur einer anonymen, sich ständig verän­dernden Gesell­schaft der Moderne. Erst die Konstruk­tion der Philli­pinen als Ort, an dem „man sich kennt und von morali­schen Erwägungen leiten lässt“, mache es Duterte möglich, seine alter­na­tive Beschrei­bung der Wirklich­keit durch­zu­setzen und sich als „Stimme des Volkes“ zu geben, so Niklas Reese abschlie­ßend.

Plausi­bi­lität und Alltags­ver­stand gelten dabei als störende Fakten, die im Zweifel nur deshalb angeführt werden, um das Volk und sein „Empfinden“ zu unter­drü­cken. Auf Fakten aufbau­ende Zwischen­in­stanzen oder juris­ti­sche Beschrän­kungen der „notwen­digen Maßnahmen” verfäl­schen deshalb den „wahren Volks­willen“. Von da bis zum Führer­prinzip ist es nur eine kurze Strecke. Rodrigo Dutertes wieder­holte Ankün­di­gungen zur Ausru­fung des Kriegs­rechts oder sein Plan, Haftprü­fungen abzuschaffen, sind bereits Marken auf diesem Weg. Gelingt es nicht, das von Duterte geschaf­fene Phantasma zu durch­bre­chen, steht den Philli­pinen eine dunkle Zeit bevor, die auf Sicht auch für Niklas Reese eine Form von Bürger­krieg unaus­weich­lich erscheinen lässt. Doch schon vorher wird Dutertes alter­na­tive Erzäh­lung der Wirklich­keit bereits zu viele Opfer gefor­dert haben.

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