Ein neuer „revolutionärer Weg“? Zur Demo in Köln.
Am Wochenende demonstrierten bis zu 50.000 Menschen in Köln ihre Solidarität mit den Protestierenden in der Türkei. Die Veranstaltung der Alevitischen Gemeinde Deutschlands verlief nicht ohne Irritationen. So konnte eine Demo nur von einem Teil der Teilnehmenden ohne die Veranstalter durchgesetzt werden. Die Struktur der Protest- und Solidaritätsbündnisse ist in Bewegung, auch in Deutschland. Führt ein Weg auch hier über lokale Versammlungen ?
Die Protestbewegung gegen die türkische AKP-Regierung steht in und außerhalb der Türkei dreieinhalb Wochen nach der ersten Räumung des besetzten Gezi-Parks in Istanbul vor spannenden Fragen. Das war auch bei der europaweiten Solidaritätskundgebung der alevitischen Gemeinde Deutschlands in Köln am vergangenen Samstag zu spüren. Im Mittelpunkt steht dabei die Entwicklung der weiteren Zusammenarbeit verschiedenster Gruppen und Personen bei den Protesten. Noch scheint nicht entschieden, ob sich die Bewegung wieder in ihre einzelnen Bestandteile zerlegt, oder ob am Ende gar ein neuer „revolutionärer Weg” („devrimci yol”) beschritten werden kann.
Alte „Dev Yol”-Fahne beim DIDF-Solidaritätskonzert in Köln
Die in den vergangenen Wochen viel gepriesene neue Zusammenarbeit der aktuellen Protestbewegung in den Städten der Türkei steht vor einer Zerreißprobe. Dabei war es auch bislang schon keine wirklich umfassende oppositionelle Allianz – so fehlten kurdische Organisationen (als Organisation) bisher fast vollständig. Neben der kurdischen Rücksichtnahme auf den eingeleiteten Versuch eines Friedensprozesses zwischen Staat und PKK, stehen viele Kurdinnen und Kurden der Tatsache, dass die von ihnen seit Langem erfahrene staatliche Gewalt erst dann zu Massenprotest führt, wenn sie sich gegen „türkische Menschen” richtet, verwundert und teilweise auch verärgert gegenüber. Das war u.a. auch am Samstag in Köln hier und da auf Plakaten zu lesen.
Doch anstatt um eine, für eine wirkliche gesellschaftliche Veränderung notwendige Einbeziehung aller oppositioneller Gruppen werben zu können, muss die Bewegung um Zusammenhalt ringen. Die Ereignisse der letzten drei Wochen haben für die Beteiligten sehr unterschiedliche Konsequenzen und Herausforderungen mit sich gebracht. Auf der einen Seite befinden sich diejenigen, die häufig erstmals Erfahrungen mit Protest und Repression gemacht haben, und die mit Recht von sich sagen, die Massenbewegung in den türkischen Städten mit ihrem (von den klassischen linken Akteuren bisher eher vernachlässigten) urbanen Anliegen überhaupt erst zustande gebracht zu haben. Auf der anderen Seite jene, die den urbanen Protest immer nur als Teilaspekt einer umfassenden Kritik am System und am türkischen Staat ansahen und ihre auch militanten Erfahrungen in den gemeinsamen Kampf der letzten Wochen einbrachten (was, von Deutschland aus betrachtet, offenkundig auch vielfach nötig war…). Während die einen ihre Lust an einer politischen unvoreingenommenen Diskussion und eine neuentdeckte „Zivilgesellschaft” feiern, und sich inzwischen mit dezentralen Versammlungen in den Stadtteilen um eine Weiterentwicklung des Protestes bemühen, haben die anderen mit Wellen von Verhaftungen und Razzien zu tun und mit der Frage, wie ihren Freunden und Freundinnen möglichst schnell wieder zur Freiheit verholfen werden kann. Während die einen den Protest als einen Kampf um einen bürgerlichen Freiheitsbegriff auffassen, besteht für die anderen auch die Notwendigkeit, aus dem Widerstand einen wirklichen Sozialprotest zu machen. Zwischen den Polen agieren Unorganisierte und Gruppen wie die Çarşı, die oftmals versuchen, auseinanderdriftende Interssen zusammenzuhalten und manchmal zu neuen halborganisierten Sammelbecken für die Protestierenden werden (siehe hierzu bspw. den „taz”-Artikel zur Rolle der Besiktas-Ultras).
Das große, verbindende gemeinschaftliche Gefühl, das buchstäblich auf den Barrikaden und im Tränengasnebel auf den Straßen entstand, und das (linke) Kemalisten, Teile der bürgerlichen Mittelschicht, orthodoxe Linke und unorganisierte Aktivistinnen und Aktivisten zu einer für die AKP-Regierung gefährlichen Mischung machte, droht nach der staatlichen Offensive vom 15. und 16. Juni, die mehr der Niederschlagung eines Aufstands glich, nach und nach verloren zu gehen. Dabei steht nun auch der in den Kämpfen entstandene, und zuvor nicht verabredete Aktionskonsens auf dem Prüfstand. Fragen nach der Sinnhaftigkeit des Barrikadenabbaus in der Woche vor der zweiten Stürmung des Taksim tauchen beispielsweise auf.
Bunt, laut und kämpferisch : Çarşı bei der SpontandemoHinzu kommt, dass der Kampf um die Interpretation der Massenproteste längst begonnen hat, was sich auch in Deutschland an den sich pestilenzartig ausbreitenden Auftritten deutscher Parteien auf Solidaritätskundgebungen und -demonstrationen und den Berichten der Mainstreammedien ablesen lässt, die sich inzwischen weitgehend auf den „friedlich-kreativen” Teil der Proteste beschränken, Razzien und Inhaftierungen jedoch weitgehend außen vor lassen.
Was auch in Deutschland mit der Initiative von Einzelnen zu solidarischen Aktionen begann, und sich schnell zu einer strömungsübergreifenden, solidarischen Aktionseinheit wandelte, gerät zunehmend in den Fokus von Großorganisationen, die versuchen, ihre eigene Agenda zu verfolgen. So war es auch bei der von der alevitischen Gemeinde Deutschlands (AABF) als „europaweite Großdemonstration” angekündigten Veranstaltung in Köln. Die vielleicht 50.000 Teilnehmenden, die beim Auftakt auf dem Heumarkt auch diesmal wieder einen Querschnitt verschiedenster politischer Gruppen darstellten, wurden in gewisser Weise für eine unbekannte Zielsetzung instrumentalisiert.
- Inhaltsverzeichnis
- Seite 1 : Ein neuer „revolutionärer Weg“? Zur Demo in Köln.
- Seite 2 : Unmut über Absage der Demo. 6.000 demosntrieren trotzdem.