Unmut über Absage der Demo. 6.000 demosntrieren trotzdem.
Als sich etwa drei Stunden nach Beginn der Kundgebung die Nachricht auf dem Platz verbreitete, der Veranstalter habe zusammen mit der Polizei „aufgrund der großen Beteiligung” die eigentlich geplante Demo abgesagt, machte sich bei vielen, teiweise von sehr weit her Angereisten Unmut breit. Vor allem, weil es die Veranstalter nicht für nötig hielten, diese Entscheidung frühzeitig zu kommunizieren. Den Gruppen, die kein Interesse an einer Standkundgebung als Bühne für den deutschen Wahlkampf hatten – es sprachen u.a. Spitzenpolitiker von SPD und den GRÜNEN – wurde es dadurch unmöglich gemacht, rechtzeitig auf die Absage zu reagieren. Vereinzelte Versuche, Leute dennoch dazu zu bewegen, den Heumarkt in Richtung Innenstadt zu verlassen, drohten am Desinteresse der meisten der teilnehmenden Bürgerlichen, die sich mit der Absage des geplanten Demonstrationszuges allzu schnell abfanden, zu scheitern.
Es war gut organisierten türkischen Linken aus dem orthodoxen Spektrum zu verdanken, dass es schließlich doch noch zu einer spontanen Demonstration mit etwa 6.000 Teilnehmenden kam. In ihr fand sich jedoch hauptsächlich die radikale Linke und ein lautstarker Block nordrhein-westfälischer Çarşı wieder. Die anfängliche Breite des Kölner Protestes war verloren gegangen. Eine Gelegenheit, das auszugleichen, wurde leider am Dom verspielt, als der Demozug auf eine Menge von 1.000 Menschen traf, die zeitgleich Solidarität mit den Protesten in Brasilien zeigte. Doch nach einem Moment romantischen Internationalismus konnten sich diese leider nicht dazu entschließen, sich der Spontandemonstration zurück zum Heumarkt anzuschließen.
Bei aller Freude über die durchgesetzte Demonstration und trotz eines gelungenen Abschlusses in Köln beim Konzert vor dem Dom mit Bandista und Kardeş Türküler, blieb am Ende deshalb ein schaler Geschmack und der Eindruck, es habe nie wirklich die Absicht bestanden, zu demonstrieren. Vorgefertigte Erfolgsmeldungen für die Presse, die dann auch kein Wort über die spontane Demonstration verlor, bestätigten den Eindruck, Teil eines geplanten Spiels und lediglich Kulisse für eine politische Inszenierung gewesen zu sein.
Ein kurzer Moment romantischen Interantionalismus am DomWenn die Zusammensetzung der bisherigen Solidaritätsdemonstrationen in Deutschland auch ein Spiegelbild der Bewegung in der Türkei gewesen sind, steht zu befürchten, dass die differierenden Interessen dort noch ungleich stärker in Erscheinung treten. Doch auch für die politische Entwicklung in Deutschland ist der weitere Weg der spontan entstandenen Bündnisse von Bedeutung. Einmal abgesehen von einigen Massenprotesten infolge der Katastrophe von Fukushima, waren die häufig sehr kurzfristig mobilisierten Solidaritätsbekundungen für die Protestierenden in der Türkei die größten spontanen Manifestationen hier lebender Menschen auf den Straßen der Städte. Es blitzte das Potential auf, das in der Zusammenarbeit von migrantischen Communities und hiesiger Bewegung schlummert. Kein Sozialprotest und keine Antifa-Mobilisierung hat es in den letzten Jahren vermocht, innerhalb weniger Stunden zum Teil mehrere tausend Demonstrierende in mehreren Städten Deutschlands gleichzeitig vom Sofa zu holen. Ein Potential, das in der Vergangenheit häufiger abgerufen werden konnte, für das aber in den letzten beiden Jahrzehnten etwas der Zusammenhalt abhanden gekommen ist.
Es kann also nicht egal sein, wie sich die Sache weiterentwickelt. Die deutsche Linke hat sich bislang etwas schwer damit getan, sich vital in die Proteste einzubringen. Vor allem wohl, weil es vielfach an Kenntnis türkischer (linker) Politik mangelt und manchen vielleicht der Umgang mit der breiten Koalition türkischstämmiger Akteure in den Solidaritätsbündnissen schwerfiel (vergleiche den Artikel von vor zwei Wochen). Es ist aber klar geworden, dass in einer gemeinsamen politischen Arbeit mit ihnen eine große Chance für hiesige Konflikte und Kämpfe liegt. Ob sie genutzt werden kann, wird auch vom Verhalten der deutschen Linken abhängen. Das kommunikative Fenster, das sich durch die dezentralisierten Versammlungen der Bewegung in der Türkei geöffnet hat, lässt sich auch in Deutschland öffnen, und dadurch der Versuch unternehmen, die verschiedenen Akteure und Gruppen dauerhaft näher zueinander zu bringen. Deutsche Aktivistinnen und Aktivisten eingeschlossen. Viel Zeit, um die Entwicklung abzuwarten bleibt dabei nicht. Die, der deutschen Linken etwas unerwartet vor die Füße gefallene Gelegenheit, die lange verlorenen politischen Fäden einer türkisch-kurdisch-deutschen Zusammenarbeit neu zu knüpfen, sollte genutzt werden, bevor ein Zerfallsprozess einsetzt.
Eine gute Möglichkeit dazu bieten – an die Stadtteilversammlungen in Istanbul angelehnte – lokale Versammlungen, in denen gemeinsame Lernprozesse vollzogen und persönliche Gespräche geführt werden können. In ihnen kann auch ein gemeinsamer Fundus an Themen erkundet werden, die über die kurzfristige Solidaritätsarbeit für die Protestierenden in der Türkei hinausgehen. In Wuppertal wurde ein erster Versuch dazu am gestrigen Montagabend unternommen. Leider machte das schlechte Wetter dem Plan, die öffentliche Versammlung unter freiem Himmel abzuhalten, zunichte, sodass sich etwa zwanzig Personen im ADA an der Wiesenstraße trafen. Einigkeit bestand in der Runde darüber, dass die Kooperation, die in Wuppertal bereits zu mehreren gut besuchter Solidaritätsdemos geführt hat, intensiviert werden soll – auch im Hinblick auf Wuppertaler Themen. Ein nächstes Treffen wurde für nächsten Montag vereinbart. (Ankündigung folgt)
Zwei weitere Termine stehen ebenfalls schon fest : Am Freitag, den 17.07. wird es im ADA ein Solidaritätskonzert geben, dessen Erlös den politischen Gefangenen in der Türkei und den Verletzten der letzten Wochen zukommen soll, und am Sonntag, den 25.08. veranstaltet das so_ko_wpt in Zusammenarbeit mit mehreren migrantischen Gruppen eine ganztägige Tagung zum Thema „Repression in der Türkei”. Die schon länger geplante Veranstaltung, an deren Ende der Film „F Typ” gezeigt werden soll, wird wahrscheinlich im Wuppertaler Open Air-Kino stattfinden und sicher auch einen Schwerpunkt zu den Ereignissen der letzten Wochen anbieten.
- Inhaltsverzeichnis
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