Vor inzwischen acht Jahren erschien in Frankreich ein wortgewaltiger Text eines « Unsichtbaren Komitees », der einige Jahre später auch in Deutschland unter dem Titel « Der kommende Aufstand » für Furore sorgte - auch in bürgerlichen Feuilletons. Ein „Unsichtbares Komitee” verkündete in der Streitschrift eine fundamentale Notwendigkeit zum Umsturz fast aller Gewissheiten heutiger (westlicher) Gesellschaften. Darunter fielen vor allem auch Gewissheiten der so genannten „Linken”, denen das „Unsichtbare Komitee” die Möglichkeit zum Aufstand und zur notwendigen Revolution rundweg absprach.
Der Text, der vor allem auch beim Benennen von Alternativen erkennbar schwächelte, war dennoch eine bis dahin selten gelesene Abrechnung mit den Verheerungen in unseren Köpfen, die das Dasein zwischen „privatem Glück”, „gesellschaftlicher Moderne” und technologisch-kapitalistischen Zwängen angerichtet hat. „Der kommende Aufstand” schien dem oder den Autoren dennoch unvermeidlich : Der Druck auf Menschen und die Umwelt sei schlicht zu groß. Die Reaktionen auf das Buch waren so schillernd wie vorhersehbar : Von rechts als „linksradikale Aufforderung zur Militanz” geschmäht, von links als „reaktionärer Scheiß” diffamiert, hinterließ „Der kommende Aufstand” trotzdem einige Spuren in unseren „Was tun?”-Diskursen.
Im April diesen Jahres ist jetzt ein Folgetext zu „Der kommende Aufstand” erschienen. In „An unsere Freunde” stellt das „Unsichtbare Komitee” fest, dass der Aufstand inzwischen stattgefunden hat, allerdings nicht mit dem erhofften und notwendigen Ausgang. Weltweit - im „arabischen Frühling”, in Istanbul, Kiew oder auf den Plätzen in Athen oder Barcelona haben in den letzten Jahren tatsächlich Ereignisse stattgefunden, die Aufständen nahekamen - zur Revolution führten sie jedoch nicht. Das Buch stellt die Frage, woran das gelegen hat und wieso die Aufstände „im Stadium des Aufruhrs” erstickten.
Anders als sein Vorgänger ist „An unsere Freunde” weniger apodiktisch und überheblich, sondern will eher der Beginn einer „Bestandsaufnahme und Verständigung über die Lage in der wir uns befinden” sein. Eine solche, von allen geteilte Verständigung muss laut dem französischen Autorenkollektiv am Beginn des Neuanfangs der Revolte stehen und läuft am Ende fast zwingend auf die Frage der Organisation hinaus. Und damit befindet sich der Text, aller inhaltlicher Kritik zum Trotz, erneut auf der Höhe der Zeit und mitten in unseren laufenden Diskussionen.
Beim Juni-ELEKTROPHOR im „Café Stil-Bruch” am Dienstag, den 30.6. wollen wir uns mit „An unsere Freunde„beschäftigen und der Frage nachgehen, ob der aktuelle Beitrag aus Tarnac für unsere laufenden Debatten eine ähnliche Bedeutung erlangen kann wie der Vorgängertext.
Nach der Lesung von Passagen des Buches, Input und einer Diskussion darüber zeigen wir zum Abschluss die Videocollage „Surplus” von Eric Gandini, die bereits 2003 einiges von dem visuell umsetzte, was später die besprochenen Texte ausmachte. Zum Ausklang des ELEKTROPHOR gibt es wie immer noch ausgewählte Soundtracks.
Für alle, die „Der kommende Aufstand” nicht gelesen haben : Hier ist die kollektiv erstellte Übersetzung des Textes als pdf-Download.
Aus der Ankündigung der Veranstaltung :
An unsere Freunde. Der neue Text des « Unsichtbaren Komitees »
Es gibt keine andere Welt. Es gibt nur eine andere Art zu leben.
(Jacques Mesrine)
Dann und wann tauchen abgetauchte Submarines der Kultur und der Rebellion an der wässrigen Oberfläche gesellschaftlicher Wahrnehmung auf und Bojen subversiver Erkenntnis ragen aus den lichtlosen Tiefen revolutionärer Diskurse. Gedankensplitter landen dann in den Feuilletons der gelangweilt am Frühstückstisch gelesenen Wochenendzeitungen und sollen die depressive Leere des arbeitsfreien Sonntags mit Sinnsimulation auffüllen. Durch die Mühlen einer kritischen Belanglosigkeit gedreht, werden solcherart zum « Blättchen » («Feuilleton») degenerierte subversive Zettelkästen und Blattsammlungen dann zum umfassenden Mißverständnis und dienen den Lesenden am Ende doch wieder nur als Begründung dafür, am folgenden Morgen erneut auf ihre zugewiesenen Plätze zurückzukehren und weiter zu machen.
Ein Beispiel solcher, durch wohlmeinende Rezensionen (die das vernichtenste Fallbeil aller Besprechungen darstellen), plötzlich an der Oberfläche auftauchenden Texte war vor sieben Jahren der ursprünglich auf französisch erschienene « Kommende Aufstand » des « Unsichtbaren Komitees ». Oft auf die uninteressantesten Aspekte reduziert und durch an Bildbeschreibungen von Blinden erinnernde Zusammenfassungen bis zur Unerkennbarkeit entstellt, entfachte der « Kommende Aufstand » einen Sturm in jenem Glas Wasser, mit dem die immer weiter Funktionierenden ihre Antidepressiva herunterspülen. Die echte Auseinandersetzung mit den nicht immer richtigen, gleichwohl aber wichtigen Inhalten des Buches wurde dadurch erschwert. Die übliche Strategie mit subversiven Potentialen subkultureller Erzeugnisse umzugehen ging auch beim „Kommenden Aufstand” auf : Registrieren des Potentials, aus dem Zusammenhang reißen, ins eigene Denksystem integrieren, zu Scheiße extrahieren und so bedeutungslos wie möglich machen.
Jetzt liegt mit « An unsere Freunde » ein neuer Text des « Unsichtbaren Komitees » vor. (Edition Nautilus, ISBN 978-3-89401-818-4, 192 Seiten, April 2015). Die an den Vorgänger anschließenden Betrachtungen beschäftigen sich mit den 2007 prognostizierten und inzwischen stattgefundenen Aufständen, unserem Scheitern und unserer Niederlage. « An unsere Freunde« begibt sich in dieser scheinbar desperaten Situation auf die Suche nach einer « von allen geteilten Einschätzung der Lage«.
Mit dem Juni-ELEKTROPHOR wollen wir diesmal den Text vorstellen und über ihn sprechen, bevor die Vermüllungsmaschine unserer Feinde ihn unkenntlich machen kann. Der gesprochene und gelesene Input wird duch Diskussionsmöglichkeiten, einen Film und eine Auswahl von Musik wie immer zu einem abendfüllenden ELEKTROPHOR gemacht.
Das ELEKTROPHOR ist eine dubiose Veranstaltung des so_ko_wpt im Rahmen des „Schwarzen Tresens Wuppertal”. Das ELEKTROPHOR beschäftigt sich mit „Subversion und Subkultur” und findet viermal im Jahr (jeweils an einem fünften Dienstag) statt.