Veranstaltungsbericht : Alle wissen über Afghanistan Bescheid

Bericht zur Veran­stal­tung am 30. März in der CityKirche Wuppertal-Elber­feld

Artikel übernommen von w2wtal

Alle wissen über die Lage in Afgha­ni­stan Bescheid. Das Land ist nicht sicher, aber das ist nicht die Schuld der afgha­ni­schen Bevöl­ke­rung. Verant­wort­lich sind die Politiker und die Geschichte dieses Landes. Niemand flieht ohne Grund aus seinem Land. Fragen Sie die europäi­schen und deutschen Politiker, die das Rücküber­nah­me­ab­kommen mit Afgha­ni­stan verhan­delt haben, ob sie mit ihren Familien in Afgha­ni­stan leben wollen würden. Ich bin mir sicher, dass würden sie nicht.“ Diese Worte eines jungen afgha­ni­schen Anwalts führten zu Applaus im Publikum, vor allem unter den zahlrei­chen afgha­ni­schen Gästen, die sich in der Elber­felder CityKirche zusam­men­ge­funden hatten, um mit Politi­ke­rInnen und Exper­tInnen über die Abschie­bungen zu disku­tieren. Und sie erzeugten zugleich eine gewisse Irrita­tion und Unruhe in den Gesich­tern der Landtags­kan­di­daten von FDP und CDU, die die Abschie­bungen nach Afgha­ni­stan „zumin­dest nach einge­hender Einzel­fall­prü­fung“ für „Gefährder, Straf­täter und allein­ste­hende Männer“ für durchaus richtig hielten.

Rappel­voll war der Kirchen­saal, die Zeit für die Diskus­sion viel zu kurz. Zumal auf zwei Sprachen – Deutsch und Dari – disku­tiert wurde. Trotzdem gelang es den afgha­ni­schen Flücht­lingen und den Fachleuten in der kurzen Zeit sehr kompri­miert und anschau­lich Infor­ma­tionen zu Afgha­ni­stan und zur Lage der hier lebenden afgha­ni­schen Geflüch­teten zu bündeln und zu trans­por­tieren. So dass sogar besagte Politiker am Ende zugaben, einiges Neues erfahren zu haben, womit sie sich zunächst einmal befassen müssten. Der Afgha­ni­stan-Experte Tilman Schmalz­ried von Amnesty Inter­na­tional startete den Abend mit einem bebil­derten Parforce-Ritt durch die afgha­ni­sche Kriegs­ge­schichte : Den – von den NATO-Staaten geför­derten – Aufstieg der Warlords und die inzwi­schen etablierten Gewalt­märkte, die eine baldige Lösung des mittler­weile 40-jährigen Kriegs unwahr­schein­lich machen. Zu viele mächtige Männer profi­tieren von Waffen- und Drogen­handel, zu viele bewaff­nete Akteure – ob Privat­mi­lizen, bewaff­nete Banden, Taliban, IS oder reguläre Regie­rungs­truppen – bekämpfen einander. Die mächtigsten Männer Afgha­ni­stans seien selbst Kriegs­ver­bre­cher oder Mentoren von Al-Kaida, was die europäi­schen Staaten aller­dings nicht davon abhielte, sie als Partner zu behan­deln.

Kurz und knapp umriss Schmalz­ried das Problem der Binnen­flucht in Afgha­ni­stan : Neben den ins Ausland geflüch­teten mindes­tens 2,6 Millionen Flücht­lingen lebten 2016 auch inner­halb Afgha­ni­stans ca. 1,5 Millionen Binnen­flücht­linge – mit steigender Tendenz. Es gebe keine Infra­struktur für diese Leute ; im Winter würden Menschen aufgrund der nicht vorhan­denen oder unzurei­chenden Behau­sung erfrieren ; Kinder müssten kilome­ter­weit laufen, um Trink­wasser heran­zu­schaffen. Die gefähr­li­chen und unwür­digen wirtschaft­lich-sozialen Lebens­be­din­gungen, die auch viele Kinder außer Landes trieben, würden jedoch in einem Asylver­fahren keinerlei Berück­sich­ti­gung finden. Die anwesenden Politiker von FDP und CDU bewiesen mit ihren teils reich­lich wirren Äußerungen, dass sie weder von inter­na­tio­nalem Flücht­lings­recht, noch von deutscher Asylpraxis noch von Afgha­ni­stan viel verstanden hatten. Herr Spiecker von der CDU schlug beispiels­weise vor, auf die Asylver­fahren künftig zu verzichten und lieber Einzel­fall­prü­fungen durch­zu­führen. Abgesehen davon, dass Herr Spiecker (glück­li­cher­weise) nicht in der Position ist, inter­na­tio­nales Flücht­lings­recht einfach außer Kraft zu setzen, ist das in etwa so hirnrissig wie zu sagen : Obst ist als Nahrungs­mittel überbe­wertet ; lasst uns künftig besser nur noch Äpfel essen !

Den Vogel des Abends jedoch schoss Oliver Walgen­bach von der FDP ab : Er meinte ernst­haft, den anwesenden afgha­ni­schen Flücht­lingen erklären zu müssen, dass er selbst, wenn sein Land von Terror und Krieg heimge­sucht würde, selbst­ver­ständ­lich dort bleiben und nach Lösungen suchen würde – denn er sei ein lösungs­ori­en­tierter Mensch und würde gern in Freiheit leben, deshalb müsse man darum kämpfen. Einige im Saal waren hin- und herge­rissen, ob sie nun aufgrund der ignoranten Selbst­herr­lich­keit eines verwöhnten Wohlstands­kindes lachen oder wütend werden sollten, angesichts der Respekt­lo­sig­keit gegen­über dieje­nigen, die im Saal waren und einige Risiken, Verluste und Gefahren überlebt haben, bevor sie sich zur Flucht entschieden. Herr Ghorbani von Nedaje Afghan (einer Selbst­or­ga­ni­sa­tion afgha­ni­scher Flücht­linge) nahm diese Politiker-Äußerungen zum Anlass, eine Einla­dung in seine Heimat­stadt Masar-i-Sharif auszu­spre­chen, wo, wie ai-Experte Schmalz­ried ausführte, zwar Ruhe herrsche, aber eine Fried­hofs­ruhe, weil der lokale Macht­haber und Warlord jegliche Opposi­tion und Kritik an seiner Herrschaft mit brutalen Methoden unter­drücke. Jeder dort sei bewaffnet, ergänzte Herr Ghorbani, und jeder Zivilist, der sich dem Regime nicht füge, werde entweder durch private Milizen oder durch die Regie­rungs­truppen bedroht.

Die junge Afghanin Masumeh, die mit ihrer Familie vor einigen Wochen den Ableh­nungs­be­scheid bekam, ergänzte diese Einschät­zung mit einem kurzen Bericht über die Lage der Frauen in Afgha­ni­stan, das, wie sie sagt, schon seit 40 Jahren einer der gefähr­lichsten Orte der Welt sei. Die meisten Toten seien Frauen und Kinder. Sie wolle nichts als Sicher­heit für sich und ihre Familie, denn „Sicher­heit ist ein Recht und kein Privileg“. Maria Shakura, Beraterin der Diakonie, brachte in wenigen Worten auf den Punkt, wie wenig solche Bedro­hungen bei den Asylent­schei­dungen durch das BAMF eine Rolle spielen. Anschau­lich demon­tierte sie den Mythos, dass nur von Abschie­bung bedroht sei, wer keine indivi­du­elle Gefahr zu fürchten habe. Sie trug beispiel­haft einzelne Ableh­nungs­ent­schei­dungen samt Begrün­dung vor, wie sie sie täglich in der Beratung zu Gesicht bekommt und die das Schicksal ihrer Klienten verhöhnen : Von dem Jugend­li­chen, der persön­lich ja nicht betroffen gewesen sei, weil nur der Kopf seines von den Taliban entführten Freundes und Nachbarn an die Familie geschickt worden war. Oder den Ableh­nungs­be­scheid einer älteren Frau, die keine Familie in Afgha­ni­stan mehr hatte, für die das BAMF aber keine Abschie­be­hin­der­nisse feststellen konnte, weil sie ja dort als Lehrerin arbeiten könne. Wer sich auch nur oberfläch­lich mit der Lage der Frauen in Afgha­ni­stan befasst hat, begreift den Irrsinn dieser Behaup­tung. Maria Shakura schloss mit dem Appell : Wenn das BAMF endlich davon Abstand nähme, Entschei­dungen im Schnell­ver­fahren zu treffen und zu recht­staat­li­chen Verfahren zurück­kehrte, wäre manche Debatte nicht nötig. An die afgha­ni­sche Commu­nity appel­lierte sie : Euer Recht wird euch nicht gegeben, wenn ihr es euch nicht nehmt !

Was auch die Flücht­lings­be­ra­terin nicht ohne weiteres auflösen konnte : Die vorherr­schende Verwir­rung über den Unter­schied zwischen Asylrecht und dem nachge­ord­neten mögli­chen Bleibe­recht aufgrund von „Integra­ti­ons­leis­tungen“. So schwa­dro­nierten die Politiker von CDU und FDP herzlich ahnungslos von einem „Bleibe­rechts­an­spruch für gut Integrierte und für Familien“. Dass es den Anspruch voraus­set­zungslos so nicht gibt, weil Menschen durchaus abgeschoben werden, auch wenn sie jahre­lang hier gearbeitet, eine Ausbil­dung gemacht oder eine Familie gegründet haben, ist das eine. Das andere ist, dass die Entschei­dung über den Schutz­be­darf durch das BAMF völlig unabhängig von den bishe­rigen „Integra­ti­ons­leis­tungen“ getroffen wird. Was im Sinne des Flücht­lings­rechts auch vollkommen richtig ist, was aber auch manche „Flücht­lings­helfer“ nur schwer einsehen wollen. Erfreu­lich war, dass die Vertreter der Linken und der Piraten, Daniel Schwerdt und Olaf Wegner, den Diskurs der legitimen Abschie­bung von „Straf­tä­tern, Gefähr­dern und allein­ste­henden Männern“ (was inzwi­schen schon alles gleich schlimm zu sein scheint ; die Männer gehen gezielt hinter dem Monster der Gefährder unter), klar zurück­wiesen. Die Vertre­terin der Grünen, Verena Schäffer, versprach, sich weiter für eine Neube­wer­tung der Sicher­heits­lage in Afgha­ni­stan auf Bundes­ebene einzu­setzen.

Dabei ist eigent­lich längst klar, dass es bei der Entschei­dung, die Afgha­ni­stan-Abschie­bungen wieder verstärkt aufzu­nehmen, keines­wegs um die Sicher­heits­lage ging – die hat sich in den letzten Jahren eindeutig eher verschlech­tert. Statt­dessen geht es, wie Birgit Naujoks vom Flücht­lingsrat ausführte, darum, eine große Flücht­lings­gruppe auszu­su­chen (an Syrer traut man sich bislang noch nicht ran), die man nach den relativ hohen Asylzahlen von 2015 und den hohen Schutz­quoten vermeint­lich loswerden konnte. Ergo gingen die Schutz­quoten für Afghanen graduell nach unten, sie fiel von 78% in 2015 auf nur noch 58% in 2016, bei weiter sinkender Tendenz. Es ist eine politi­sche Entschei­dung und keine, die auf einer neuen Lagebe­ur­tei­lung fußt. Diese politi­sche Entschei­dung soll Angst produ­zieren, die Bereit­schaft zur „freiwil­ligen Rückkehr“ verstärken, (die oftmals alles andere als freiwillig ist), und ein Signal an dieje­nigen in Afgha­ni­stan aussenden, die überlegen das Land zu verlassen. Leidtra­gende wie Adres­saten dieser hochsym­bo­li­schen Politik sind afgha­ni­sche Geflüch­tete, die jetzt in Furcht leben – und natür­lich die bisher relativ wenigen Menschen, die seit der Wieder­auf­nahme der Sammel­ab­schie­bungen im Dezember 2016 in Kabul ausge­setzt wurden.

Unter dem Strich war die Veran­stal­tung ein Erfolg und eine Ermuti­gung für die afgha­ni­schen Menschen und die Abschie­bungs­geg­ne­rInnen. Zum einen aufgrund des hohen Inter­esses. Aber auch aufgrund der guten Inputs und den sicht­li­chen Irrita­tionen, die diese selbst bei einem CDUler hinter­lassen hat, der sich klar zur Linie des Innen­mi­nis­te­riums de Maiziéres bekennt. Dass er die ausge­spro­chene Einla­dung nach Masar-i-Sharif annehmen wird, dürfte ausge­schlossen sein. Dass er aber die Flücht­lings­be­ra­tung der Diakonie aufsucht und sich dort selbst ein Bild von den derzeit komplett desas­trösen Asylent­schei­dungen macht, liegt zumin­dest im Bereich des Mögli­chen. Und noch etwas hat der Abend gezeigt : Die Abschie­bungen nach Afgha­ni­stan sind weiterhin umstritten.

Die Politik der stillen Massen­ab­schie­bungen, wie sie in Hinblick auf die Balkan-Flücht­linge seit Monaten mehr oder weniger unbemerkt „vollzogen“ werden, wird sich auf die afgha­ni­sche Commu­nity nicht einfach übertragen lassen. Zumin­dest nicht, solange die afgha­ni­sche Commu­nity sich organi­siert und an Veran­stal­tungen wie dieser betei­ligt.

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Bericht aus dem NoBorder-Camp in Thessaloniki

Inter­view mit der w2wtal-Aktivistin Judith. Sie war im Juli im NoBorder-Camp im griechi­schen Thessa­lo­niki. Das NoBorder-Camp, für das die Uni in Thessa­lo­niki besetzt wurde, war als trans­na­tio­naler Aufbruch gegen die „Festung Europa“ gedacht. Es sollte Aktivis­tInnen aus vielen Ländern und Geflüch­tete zusam­men­bringen.

Inter­view übernommen von w2wtal.

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Judith, du bist im No Border Camp in Thessa­lo­niki gewesen, wie war es ?

Über die zehn Tage verteilt waren viele Leute da, um die 1.500. Das ist ja immer ein Kommen und Gehen. Anfangs dachte ich, dass es ein eher deutsches Camp wird, doch dann kamen immer mehr Leute aus verschie­denen Ländern des Balkan und am Montag kam die große Karawane aus Spanien mit mehreren hundert Leuten, die mit Bussen angereist sind. Die hatten unter­wegs noch einige Aktionen gemacht und kamen dann am vierten Camp-Tag in Thessa­lo­niki an. Dann wurde es tatsäch­lich ein richtig inter­na­tio­nales Camp.

Wo war das Camp unter­ge­bracht ?

Auf dem Campus der Uni in Thessa­lo­niki, eigent­lich mitten in der Stadt.

Gab’s Trouble mit den Cops ?

Erstaun­lich wenig. Es ist tatsäch­lich so, dass die den Campus nicht betreten. Deren Arbeit machen eher die dort anwesenden Drogen­dealer, die oft als Spitzel für die Cops arbeiten, wie uns die griechi­schen Genos­sinnen erzählt haben. Die haben auch oft versucht, ins Camp zu kommen und auch an Workshops teilzu­nehmen. Das wurde aber nicht zugelassen.

Waren auch Refugees im Camp ?

Nachher waren es ziemlich viele. Darum wurde sich sehr bemüht, es wurde z.B. ein Shuttle mit PKWs einge­richtet, damit die Geflüch­teten aus den elf Lagern, die um Thessa­lo­niki herum existieren, ins Camp kommen konnten. So waren nach zwei, drei Tagen viele Menschen aus Syrien, Pakistan oder Afgha­ni­stan dabei. Die haben dann vom Leben in den Lagern berichtet, Wandzei­tungen erstellt und es gab auch mehrere Veran­stal­tungen zu Migran­tinnen-Selbst­or­ga­ni­sa­tion.

Gab es von den Refugees Einschät­zungen zur Gesamt­lage, nachdem die Grenzen in Europa geschlossen wurden ?

Die, mit denen ich redete, haben alle gesagt, wir müssen uns jetzt selbst organi­sieren. Inter­es­sant war auch die Perspek­tive der griechi­schen Genossen, bzw. der Refugees, die schon länger in Griechen­land leben. Die sehen natür­lich, das sich die Geflüch­teten vor allem jetzt eine Basis, z.B. ökono­misch, aufbauen müssen oder unbedingt Wohnraum brauchen.

Vom griechi­schen Staat gibt es da nichts ? Wohnungen z.B.?

Nee, die Unter­brin­gung erfogt rein privat, u.a. in Squats, in die Geflüch­tete einziehen. Auch während des Camps wurde in Thessa­lo­niki ein Haus besetzt*. Es sind ziemlich viele Häuser besetzt – in Athen z.B. das City Plaza Hotel, das « beste Hotel der Welt », wo mehrere hundert Leute leben. Von denen gab es auch nen Workshop während des No Border Camps.

Von der Hausbe­set­zung und auch von der Beset­zung der Fernseh­sta­tion zu Beginn haben wir auch hier etwas mitbe­kommen, was ist an Aktionen rund ums Camp noch so gelaufen ?

Es gab ein « Go-In » in der IOM (eine inter­na­tio­nale Migra­tions Organi­sa­tion), da sind u.a. ein paar Computer und Akten aus dem Fenster geflogen. Genaues kann ich dazu nicht sagen, ich weiß nur, dass die IOM reich­lich verhasst ist, weil die an Abschie­bungen bzw. an « freiwil­ligen Rückfüh­rungen » betei­ligt ist.

Ansonsten gab es Demos und Besuche von Camps – zu einem Besuch eines Camps in Oreokastro hast du ja auch einen Bericht verfasst…

Da gab es mehrere. Da wurden Busse gechar­tert, da sind dann Leute aus dem Camp hinge­fahren, einmal um die Situa­tion zu erfahren, aber auch um z.B. die Campzei­tung, die auf griechisch, englisch und arabisch erschienen ist, zu den Geflüch­teten in die Camps zu bringen. Die sollten ja auch auf das Camp aufmerksam gemacht und zur Betei­li­gung einge­laden werden. Das haben dann auch einige wirklich wahrge­nommen und sich betei­ligt. Deswegen waren so ab Montag eben auch recht viele Refugees im Camp : Familien, Frauen und vor allem viele Kinder. Sehr viele Kinder.

Die Demos haben in Thessa­lo­niki statt­ge­funden ?

Ja. Es gab aller­dings auch mehrere Demos an den beiden Abschie­be­knästen und dann gab es natür­lich die größere Aktion an der türkisch-griechi­schen Grenze am Samstag, wo es auch zu kleineren Riots gekommen ist. Da war ich aller­dings selber nicht dabei, deswegen kann ich dazu nicht viel erzählen.

Wie fällt insge­samt deine Einschät­zung zum Camp aus ? Was war für dich in den zehn Tagen das Positivste ?

Für mich war das Wertvollste sicher, die Aktivis­tinnen aus verschie­denen Ländern kennen­zu­lernen, und Kontakte zu Ansprech­per­sonen herzu­stellen. In einem Workshop ging es zum Beispiel um Dublin und für mich war es wichtig, Leute kennen­zu­lernen aus Ländern in die Menschen aus Deutsch­land hin abgeschoben werden, z.B. aus Bulga­rien. Von denen konnte ich mal wirklich erfahren, wie die Situa­tion der Abgescho­benen tatsäch­lich ist. In Bulga­rien werden die abgescho­benen Menschen z.B. erstmal direkt inhaf­tiert.

Auf welcher Basis werden die dort inhaf­tiert ?

Das entspricht eigent­lich nicht den EU-Aufnah­me­richt­li­nien, aber das passiert einfach. Deswegen sind diese Erste-Hand-Infos aus diesen Ländern z.B. für hier tätige Rechts­an­wälte auch so wertvoll, weil die sich in den Verfahren norma­ler­weise nur auf oft geschönte offizi­elle Angaben stützen können. Deswegen gab es zuletzt eine Delega­tion von Rechts­an­wäl­tinnen nach Tsche­chien. Das kann natür­lich nicht konti­nu­ier­lich geschehen. Wenn es nun Kontakte zu vor Ort existie­renden Struk­turen gibt, ist das hilfreich.

Konntest du mit Menschen aus Polen oder Ungarn reden ? Wie lebt es sich für Aktivis­tinnen in den Visegrad-Staaten ? Haben die was erzählt ?

Die Genos­sinnen aus Bulga­rien sind z.B. in einer echt beschis­senen Lage, das sind insge­samt nur sehr wenige – deutlich weniger als z.B. in einer deutschen Großstadt. Und die Freunde aus Sofia sagen, dass es ungeheuer wichtig wäre, mehr Kontakte zu den Grenzen zu haben, wo Geflüch­tete regel­mäßig von Milizen gejagt und zusam­men­ge­schlagen werden. Und zumin­dest in Sofia würde z.B. ein Soziales Zentrum als Anlauf­punkt dringend benötigt. Im Augen­blick sind sie aber zu wenige, um soetwas durch­zu­setzen. Am liebsten hätten sie deshalb auch Support aus anderen Ländern, von Menschen, die sich vorstellen können, mal nach Sofia zu gehen und dort gemeinsam etwas aufzu­bauen.

Anfang des Jahres habe ich ja die Diskus­sionen inner­halb der radikalen Linken verfolgt, als es darum ging, ein solches Camp aufzu­ziehen. Damals haben viele ein solches inter­na­tio­nales Treffen ja noch als wichtigen Punkt in der gesamten Ausein­an­der­set­zung um eine « Festung Europa » angesehen. Seitdem haben sich die Dinge ja ungeheuer beschleu­nigt und verän­dert – ist für dich von dem Camp irgend­eine Form von « Aufbruch » gegen die Etablie­rung des Grenz­re­gimes ausge­gangen ? War es der Anfang einer « Gegen­of­fen­sive » gegen den Rollback ?

Ich wünschte, ich könnte das sagen. Aber in Griechen­land wurde z.B. durch das Ende der realen Bewegung – also der Migra­tion – auch die Dynamik gestoppt. Da ist zur Zeit auch nicht wirklich dran zu rütteln. Es kommen zwar immer mal wieder Leute durch – aber nur mit viel Geld z.B. Vielleicht wäre Italien dafür der geeig­ne­tere Ort gewesen… Über Leute vom Alarm­phone habe ich mitbe­kommen, dass an einem Tag alleine 1.800 Leute in Italien angekommen sind. Dort wird derzeit auch eher die Dynamik der Migra­ti­ons­be­we­gung sein. In Griechen­land ist das alles etwas zum Erliegen gekommen und konzen­triert sich derzeit auf den recht­li­chen Weg der Famili­en­zu­sam­men­füh­rung z.B.

Hast du also im Camp eine ähnliche Frustra­tion wieder­ge­funden, wie sie derzeit viele Menschen aus politisch arbei­tenden Initia­tiven hier haben ?

Die totale Stagna­tion drückt natür­lich auf die Stimmung. Es gibt nicht wirklich das Gefühl, auf der politi­schen Ebene etwas bewegen zu können. Viele konzen­trieren sich momentan eher auf die recht­li­chen Ebenen : Etwa Dublin-Verfahren, Famili­en­zu­sam­men­füh­rung usw. Viele, etwa in Griechen­land, befinden sich ja auch selber in teilweise existen­zi­ellen Krisen. Denen gehen inzwi­schen die Resourcen aus – die Spenden­auf­rufe für Spiel­zeug für Kinder in den Camps sind absolut ernst­ge­meint.

Die zehn Tage waren außer­halb des Camps ja auch ereig­nis­reiche Tage. Da war Nizza, oder der versuchte Putsch in der Türkei. Habt ihr im Camp davon etwas mitbe­kommen ? Hatte das einen Impact für die Thematik des Camps ?

Die Anschläge eher nicht, aber der Putsch­ver­such in der Türkei ganz massiv. Die Beendi­gung des EU-Türkei-Deals war ja ohnehin ein zentrales Anliegen des Camps. Aber auch die Forde­rung nach sicheren Korri­doren wurde mit den Ereig­nissen in der Türkei noch dring­li­cher. Es gab eine größere Gruppe von Genos­sinnen aus der Türkei im Camp, und von denen haben sich noch in der Zeit des Camps viele überlegt, ob sie überhaupt noch in die Türkei zurück­kehren sollen. Die haben dann auch einen Protstmarsch zur türki­schen Botschaft in Thessa­lo­niki organi­siert.

Haben die etwas geäußert, was wir hier in der aktuellen Lage tun könnten ?

Manche haben vielleicht noch die Illusion, wir hätten viel Einfluss auf unsere Politi­ke­rinnen. Die wünschen sich, dass wir Druck auf die europäi­schen Regie­rungen machen, Erdogan zu kriti­sieren und den EU-Türkei-Deal zu kippen. Es geht darum, deutlich zu machen, dass die Türkei weder ein sicheres Dritt- noch ein sicheres Herkunfts­land ist. Es werden jetzt mit Sicher­heit wieder viele türki­sche Flüch­tende kommen. Einige befinden sich ja bereits in Europa.

Unterm Strich bist du mit deiner Entschei­dung, nach Thessa­lo­niki zu fahren, aber insge­samt zufrieden ?

Ja, vor allem wegen der Kontakte und weil mich das trans­na­tio­nale Netzwerk von Aktivis­tinnen schon auch sehr beein­druckt hat.

Würdest du dir wünschen, dass eine Gruppe wie welcome2wuppertal in Zukunft wieder etwas über den Talkessel hinaus­schaut und sich trans­na­tional noch besser vernetzt ?

Da würde ich mich total drüber freuen, insbe­son­dere, wenn sich Menschen betei­ligen würden, die die erfor­der­li­chen Sprach­kennt­nisse haben. Es gibt so tolle Projekte überall – z.B. das Alarm­phone, wo jeden Tag Menschen­leben gerettet werden. Da braucht es dringend Überset­zungen von Berichten oder sogar am Telefon der Seenot­ret­tung selber. Auf dem Balkan soll jetzt eine ähnliche Struktur ausge­baut werden, weil auch entlang der Route immer wieder Menschen­rechts­ver­let­zungen vorkommen. Da soll es in Zukunft auch eine Vernet­zung geben, für die noch dringend Support gesucht wird. Dafür braucht es noch Leute die spezi­elle Kennt­nisse haben und die Sprachen können. Wenn sich da Leute einbringen wollen, können die sich über die Kontakte, die z.B. bei Welcome to Europe (w2eu​.info) gelistet sind, einfach melden.

Danke.

* Am Tag nach dem Inter­view (27.7.) wurde bekannt, dass die griechi­sche Polizei drei teilweise bereits seit mehreren Monaten bestehende Squats geräumt hat. Die dort lebenden Refugees wurden in ohnehin bereits überfüllten Isolie­rungs­lager gebracht. Betroffen ist auch das im Inter­view erwähnte, während des Camps besetzte Hauspro­jekt. Dass die nominell linke Syriza-Regie­rung unmit­telbar im Nachgang des in der griechi­schen Presse heftig skanda­li­sierten No Border Camps zu Repres­sionen und Räumungen greift, verdeut­licht die verzwei­felte Lage der geflüch­teten Menschen in Griechen­land.

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