We’ll rage United !

w2wtal und das so_ko_wpt rufen zur Teilnahme an „We’ll come United” auf. Betei­ligt euch an den vielen Aktionen und Veran­stal­tungen im Rahmen der Aktions­tage in Wuppertal und kommt am 16. September mit nach Berlin zum großen Commu­nity Carnival mit Demo-Parade. Zur Anreise wird ein Bus aus Wuppertal organi­siert. (von Loba)

Auf die Straße gegen deutsche Zustände in Europa !

Der Zeitpunkt für eine antiras­sis­ti­sche Inter­ven­tion in die vor der Bundes­tags­wahl hyper­ven­ti­lie­renden rechten Diskurse ist in vielfa­cher Hinsicht gut gewählt. Es ist das unmit­tel­bare Umfeld einer Wahl, bei der zum ersten Mal seit über fünfzig Jahren wieder eine rechts­ra­di­kale Partei in den Bundestag einzu­ziehen droht und es ist der zweite Jahrestag des von vielen so genannten „Sommers der Migra­tion“. Es ist aber auch die Zeit im Jahr, in dem vor 25 Jahren das damals frisch wieder­ver­ei­nigte Deutsch­land in Rostock-Lichten­hagen seine wider­lichste Seite zeigte, die bis heute die Asylpo­litik und den gesell­schaft­li­chen Umgang mit Migran­tInnen bestimmt. Die Reaktion der Politik auf das Pogrom am „Sonnen­blu­men­haus” war ein frontaler Angriff auf das Asylrecht – ein halbes Jahr danach war das deutsche Asylrecht nur noch Makulatur und das „Dublin-System“ unsere neue Realität, die gleich­wohl am verbrei­teten rassis­ti­schen Hass nichts änderte ; drei Tage nach der Parla­ments­ent­schei­dung zur Grund­ge­setz­än­de­rung am 26. Mai 1993 verbrannten in Solingen fünf Frauen und Mädchen im von Nazis angezün­deten Haus der Familie Genç.

Ein Viertel­jahr­hun­dert ist seither vergangen. Am sehr deutschen Mecha­nismus des gegen­sei­tigen Aufschau­kelns von rechter Hetze und willfäh­riger Politik hat sich so gut wie nichts geändert. Die medialen und politi­schen Diskurse ähneln denen von vor 25 Jahren verrä­te­risch. Reden über den „unkon­trol­lierten Zustrom von Auslän­dern“, oder darüber, daß „große Teile der Bevöl­ke­rung besorgt über den massen­haften Zustrom von Asylbe­wer­bern“ seien und „organi­sierter Menschen­handel betrieben“ werde, stammen nicht etwa aus aktuellen Stellung­nahmen De Maiziéres zur Seenot­ret­tung, eines Seehofer zum September vor zwei Jahren, oder aus dem AfD-Wahlkampf­büro Gaulands. Es sind Zitate von CDU-Politi­kern aus dem Jahr 1992, mit denen die von CDU und SPD verab­schie­dete Asylrechts­än­de­rung vorbe­reitet wurde (der frühere CDU-Minis­ter­prä­si­dent Seite ; der damalige CDU-Innen­mi­nister Seiters ; der Rosto­cker CDU-Bürger­meister Zöllick). Geändert hat sich teilweise ledig­lich der Absender rassis­ti­scher Botschaften. Die AfD nimmt den anderen die Drecks­ar­beit ab. Heute wird sie mit jeder Forde­rung nach endgül­tiger Elimi­nie­rung der Reste des einstigen Asylrechts in Talkshows einge­laden, heute macht sie angegrif­fene und in Not befind­liche Menschen zu TäterInnen. So kann die geltende neoli­be­rale Staats­räson von Leuten wie Merkel aufrecht erhalten werden, die gebietet, öffent­lich ein weniger brutales Gesicht zu zeigen, als es zu uns Geflüch­tete und auf der Flucht befind­liche Menschen Tag für Tag tatsäch­lich erleben : In den ausge­bauten Abschie­be­knästen und den gechar­terten Depor­ta­ti­ons­flie­gern, in den Lagern und Elends­camps Griechen­lands oder Italiens, als Sklaven in den Folter- und Verge­wal­ti­gungs­camps in Libyien oder anderen­falls eben ertrin­kend im Mittel­meer.

Wir geben nicht auf ! No surrender ! We‘ll come and rage United !

Damals wie heute werden Gewalt und Hass einer Minder­heit der Bevöl­ke­rung maßlos verstärkt und instru­men­ta­li­siert um funda­men­tale Rechte einzu­schränken, eine neue entrech­tete Klasse zu schaffen und Menschen in den Tod zu treiben. Im Gegen­satz dazu bleiben die vielen Menschen, die 2015 für kurze Zeit als Reprä­sen­tan­tInnen der „Willkom­mens­kultur“ gefeiert, dann jedoch vielfach als „Gutmen­schen“ diskre­diert wurden, ungehört. Das dröhnende politi­sche Schweigen über die Haltung von Millionen Menschen, die bis heute für und mit Refugees aktiv sind, ist so laut, dass viele der zivil­ge­sell­schaft­li­chen Akteure inzwi­schen verstummt sind ; die fast vollstän­dige Abschot­tung Europas kann so fast ungestört statt­finden. „We’ll come United“ ist der Versuch, dem endlich etwas entgegen zu setzen, das Schweigen zu durch­bre­chen und zu zeigen, dass wir nach wie vor sehr viele sind. Dass wir eben nicht einver­standen sind mit fast tägli­chen neuen Schikanen des Asylrechts, der Krimi­na­li­sie­rung von Seenot­ret­te­rInnen oder Abschie­bungen nach Afgha­ni­stan, Griechen­land, Italien oder sonst­wohin.

Gemeinsam sollen am 16.9. möglichst viele neu hier mit uns Lebende und viele, die sich nach wie vor engagieren, eine Woche vor der Wahl auf die Straße gehen und sich selbst und allen anderen dadurch verge­wis­sern, dass wir nicht kapitu­lieren. Nicht vor einem Wahlzettel, der fast nur flücht­lings­feind­liche Parteien bereit­hält, nicht vor dem geschürten Klima der Angst, nicht vor neuen Kontroll­sys­temen und Überwa­chungen, nicht vor Repres­sion ; schon gar nicht vor rechten Hetzern und Rassis­tinnen. Die Demo-Parade wird eine bunte und vielfäl­tige Verge­wis­se­rung sein, doch wir werden es uns nicht nehmen lassen, bei ihr unseren wachsenden Zorn auszu­drü­cken.

Aktionstage in Wuppertal ab dem 1.9. Rassistische Diskurse durchbrechen !

Zur Vorbe­rei­tung der gemeinsam von mehreren Wupper­taler Initai­tiven und Gruppen organi­sierten Fahrt von Wuppertal nach Berlin am 16. September finden während der „We‘ll come United“-Aktionstage eine ganze Reihe von Veran­stal­tungen statt, die die laufenden rechten Diskurse durch­bre­chen sollen. Unter anderem wird es um die Lage Geflüch­teter in Griechen­land gehen (am 3.9. mit Cars of Hope), um den Zustand der Gesell­schaft, in der die Refugees ankommen (am 5.9. mit Astrid Messer­schmidt), um die Verän­de­rung der Diskurse seit 2015 (mit Regina Wamper am 8.9.), Antizi­ga­nismus (am 12.9. mit einem Referenten des Antifa AK Hagen) oder um die Krimi­na­li­sie­rung der humani­tären Seenot­ret­tung im Mittel­meer (am 14.9. mit Aktivis­tInnen der „Sea-Eye“-Mission). Dazwi­schen finden jeden Tag weitere Diskus­sionen und Aktionen statt. Achtet auf die jewei­ligen Ankün­di­gungen und verbreitet die Termine – das ganze Programm gibt es auf der eigenen Website zu den Aktions­tagen : wcuwpt​.noblogs​.org.

Bei allen Veran­stal­tungen wird für die gemein­same Busan­reise nach Berlin Geld einge­sam­melt. Damit sollen in erster Linie vergüns­tigte Busti­ckets finan­ziert werden, die jenen zur Verfü­gung stehen sollen, die wenig Geld haben. Über eine Spende können somit auch alle die indirekt an der Demo-Parade teilnehmen, die selber nicht nach Berlin fahren können. Zu diesem Zweck haben die Initia­to­rInnen auch eine Online-Spenden­ak­tion gestartet : youca​ring​.com/​w​c​u​wpt

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Politik in der Rechtskurve : „Thompson“-Konzert ist nicht egal

Nachdem das Konzert der umstrit­tenen Band „Thompson” um den natio­na­lis­ti­schen Künstler Marko Perković statt­ge­funden hat, möchten wir noch einmal erläu­tern, warum es unserer Meinung nach wichtig gewesen wäre, den Auftritt zu verhin­dern.

Warum ein „Thompson”-Konzert nicht egal ist

In der Reihe „Politik in der Rechts­kurve“ beschäf­tigen wir uns im Wahljahr mit neo-natio­na­lis­ti­schen und rechten Tendenzen in der Politik. Weltweit sind in den letzten Jahren natio­na­lis­tisch-autori­täre oder autokra­ti­sche Regie­rungen gewählt oder zur stärksten Opposi­tion geworden, so auch in Kroatien. Zu Kroatien hatten wir keinen Schwer­punkt geplant, doch dann fand am Pfingst­sonntag ein Konzert des kroati­schen Natio­na­listen Marko Perković in Wuppertal statt. Ein antifa­schis­ti­sches Bündnis versuchte mit einem Offenen Brief an die Betreiber des Lokals in dem der Auftritt statt­fand und an die Stadt Wuppertal öffent­li­ches Inter­esse zu wecken. Der Auftritt Perko­vićs sollte so verhin­dert werden, was leider nicht gelang. Eine Mischung aus Desin­ter­esse und Uninfor­miert­heit und ein routi­nierter Umgang mit den Vorwürfen durch das Manage­ment der europa­weit umstrit­tenen Band sorgte dafür, dass das Konzert nahezu ungestört statt­finden konnte. Die durch den Brief erreichte kurzfris­tige Aufmerk­sam­keit führte im Gegen­teil sogar zu einer Art „Promo­tion-Artikel“ in der „Wupper­taler Rundschau“, in dem Clubbe­treiber und Manage­ment unwider­spro­chen behaupten konnten, dass am Abend keine rechten Symbole zugelassen würde. Das stimmte nicht, wie Fotos vom Konzert belegen.

Dumpf­ba­cken beim Konzert mit dem alten Schach­brett­wappen der Ustascha, das oben links mit einem weißen Feld beginnt.

Es begann mit Jugoslawien

Gerade eine inter­es­sierte Ausein­an­der­set­zung mit dem kroati­schen Natio­na­lismus wäre jedoch eine wichtige Aufgabe, wenn wir Enste­hungs­be­din­gungen und mögliche Folgen eines erstar­kenden Natio­nal­wahns in Europa betrachten wollen ; denn wer über dessen Anfänge reden will, kann zum Ende Jugosla­wiens in den 1990ern nicht schweigen. Versatz­stücke der heutigen „Umvol­kungs-“ oder „Volkstod“-Argumentionen der neuen Rechten finden sich beispiels­weise schon in der Vorge­schichte der später auf dem Balkan geführten Kriege. Serbisch-natio­na­lis­ti­sche Intel­lek­tu­elle behaup­teten ähnli­ches schon 1986. In einer „Denkschrift“ von Mitglie­dern der Serbi­schen Akademie der Wissen­schaften und Künste, dem so genannten SANU-Memorandum, wurde unter anderem argumen­tiert, im Kosovo fände ein „Genozid am serbi­schen Volk“ statt. Begrün­detet wurde dies auch mit einer höheren Gebur­ten­rate der albanisch­stäm­migen Bevöl­ke­rung. Der Betonung serbi­scher Inter­essen im Vielvöl­ker­staat Jugosla­wien war ein drama­ti­scher wirtschaft­li­cher Nieder­gang des Landes voraus­ge­gangen, und spätes­tens nach der Imple­men­tie­rung der üblichen neoli­be­ralen Reformen durch den IWF im Rahmen von Verhand­lungen zur Umschul­dung Jugolsla­wiens, entstand eine katastro­phale Lage für die Bevöl­ke­rung. Unter anderem sanken bis 1985 die durch­schnitt­li­chen Löhne um 40%.

Das traf das Land in unglei­chem Maß ; die Wirtschafts­kraft in der Bundes­re­pu­blik Jugosla­wien war sehr ungleich auf die Teilre­pu­bliken verteilt. Slowe­nien und Kroatien waren wirtschaft­lich stärker als Serbien und die anderen Landes­teile. Eigen­stän­dige Bestre­bungen der beiden wirtschaft­lich starken Republiken zu einer weniger zentral gesteu­erten Ausga­ben­po­litik Jugosla­wiens und ein Infra­ge­stellen des „jugosla­wi­schen Ausgleichs­fonds“ (vglb. dem Länder­fi­nanz­aus­gleich in Deutsch­land) waren für das zuneh­mende serbi­sche Empfinden einer Benach­tei­li­gung mitur­säch­lich. Natio­na­listen und die serbisch geführte Regie­rung reagierten mit der Forde­rung nach einer Stärkung serbi­scher Identität, auch und vor allem unter den in den anderen Teilre­pu­bliken lebenden Serben und Serbinnen. In dieser Situa­tion gewann das SANU-Memorandum an Bedeu­tung, es forcierte zuneh­mende Forde­rungen nach einem „Großser­bien“, die durch die ultra­na­tio­na­lis­ti­sche „Tschetnik-Bewegung“ von Vojislav Seselj zum Ende der achtziger Jahre formu­liert wurde. Ihren Namen gab sich die natio­nale Bewegung unter Berufung auf serbi­sche anti-osmani­sche Milizen seit Mitte des 19. Jahrhun­derts und monar­chis­ti­sche serbi­sche antikom­mu­nis­ti­sche Milizen im Zweiten Weltkrieg. Die auch von Regie­rungs­seite gestellten serbi­schen Ansprüche stärkten natio­na­lis­ti­sche Ansprüche in anderen Teilen Jugosla­wiens.

Der Weg zum Krieg : Ansprüche und Identitäten aus der Vergangenheit

Vor allem in Kroatien begann Franjo Tudjman für eine „neue“ kroati­sche Identität auch die katho­lisch-christ­liche und faschis­ti­sche Geschichte der Teilre­pu­blik zu revita­li­sieren. Seine Regie­rung verstärkte die Bemühungen um eine Selbst­stän­dig­keit und zu Beginn des Jahres 1990 stellten Slowe­nien und Kroatien ihre Zahlungen an den jugosla­wi­schen Ausgleichs­fond endgültig ein, womit Jugosla­wien faktisch aufhörte zu bestehen. Das wirtschaft­lich schwä­chere Serbien und die anderen Teilre­pu­bliken waren auf sich allein gestellt. Am 25. Juli 1990 erfüllte Tudjman schließ­lich auch formal einen angeb­lich „tausend­jäh­rigen Traum“ von einem eigenen Staat Kroatien. Dafür nahm die von ihm geführte HDZ-Regie­rung in der Folge offen Bezug auf die „Unabhän­gig­keit“ Kroatiens im Zweiten Weltkrieg zwischen 1941 und 1945 und dessen mit Nazi-Deutsch­land verbün­dete Ustascha-Regie­rung, die unter dem kroati­schen „Führer“ Ante Pavelic zusammen mit der deutschen Wehrmacht die kommu­nis­ti­schen Parti­sanen und serbisch-natio­na­lis­ti­schen Tschet­niks bekämpft hatte. Ideolo­gi­sche Basis der alten Ustascha-Regie­rung waren Elemente des italie­ni­schen Faschismus und des deutschen Natio­nal­so­zia­lismus, inklu­sive antikom­mu­nis­ti­scher, antise­mi­ti­scher und rassis­ti­scher Orien­tie­rungen. Als ehema­lige Separa­tisten-Organi­sa­tion des Vorkriegs-Jugosla­wien gab es bei der Ustascha zudem einen ausge­prägten Serben­hass, der sich aus einer vorgeb­li­chen „Diskri­mie­rung des kroati­schen Volkes durch die Serben“ vor dem Krieg speiste. Der kroati­sche Hass auf Serben fand im KZ Jasen­ovac seinen brutalsten Ausdruck. Im einzigen, nicht unter direkter deutscher Betei­li­gung betrie­benen Vernich­tungs­lager wurden bis zu 90.000 Menschen durch die kroati­schen Faschisten ermordet – die meisten waren Serben, Roma und Juden.

Sicht­barster Ausdruck der Bezug­nahme auf die faschis­ti­sche Ustascha durch die neue kroati­sche Regie­rung war die Wieder­ein­füh­rung des leicht verän­derten alten Schach­brett­wap­pens in die kroati­sche Natio­nal­fahne. Die Identi­fi­ka­tion mit der Vergan­gen­heit durch die Regie­rung Tudjmans führte zu Angst und Protest bei der in Kroatien lebenden serbi­schen Minder­heit, die vor dem Zerfall Jugosla­wiens 12% der Gesamt­be­völ­ke­rung Kroatiens stellte. In der Krajina, den kroati­schen Grenz­ge­bieten zu Bosnien, bzw. Serbien, stellten Serbinnen und Serben sogar die Bevöl­ke­rungs­mehr­heit. Nachdem der serbi­schen Bevöl­ke­rung in der neuen kroati­schen Verfas­sung der Status eines „zweiten Staats­volks“ aberkannt und die in allen natio­na­li­tä­ten­po­li­ti­schen Belangen zuvor notwen­dige Zweidrit­tel­mehr­heit des Parla­ments abgeschafft wurde, gewannen auch in der serbi­schen Krajina Natio­na­listen zuneh­mend an Einfluss. 1991 kam es in der Folge zum Versuch, durch die Abspal­tung einer „Republik Serbi­sche Krajina“ (Srpska Krajina) mehrheit­lich serbisch bewohnte Teile aus Kroatien heraus­zu­lösen. Folge des um die „Srpska Krajina“ bis 1995 geführten Krieges, bei dem beide Seiten Kriegs­ver­bre­chen begingen, war eine Vertrei­bung zunächst der kroati­schen, dann der serbi­schen Bevöl­ke­rung.

Zunächst mussten in der „Srpska Krajina“ lebende Kroaten und Kroatinnen nach der Abspal­tung das Gebiet verlassen : Ihr Anteil an der Bevöl­ke­rung der Krajina ging in den den Jahren 1991 und 1992 von 36% auf nur noch 7% zurück. Viele Menschen führte ihr Fluchtweg über die gleiche Route wie 25 Jahre später viele der Refugees, die 2015 über die Balkan-Route und Kroatien nach Mittel­eu­ropa gelangten. Im August 1995 startete die kroati­sche Armee schließ­lich nach einem häufig fragilen Waffen­still­stand die „Opera­tion Sturm“ (Oluja). In nur drei Tagen wurde das Gebiet der „Srpska Krajina“ einge­nommen und dem neuen Staat Kroatien einge­glie­dert. Nach dem Sieg der kroati­schen Armee verließen über 300.000 serbi­sche Bewoh­ne­rInnen flucht­artig ihre Heimat in Richtung Serbien und Bosnien. Sie fürch­teten, kroati­scher Rache zum Opfer zu fallen. Die über Lautspre­cher verbrei­tete Anwei­sung, in den Häusern auf die Armee zu warten, die sich um sie „kümmern würde“, führte teils zur Panik bei den Hals über Kopf aus der Krajina Flüch­tenden. Ein Kamera­team des Fernse­hens der UN-Friedens­mis­sion war fünf Jahre später in der „Serbi­schen Krajina“. Die taz hat damals ihren Bericht veröf­fent­licht. „Auf dem Tisch (…) steht ein Teller, darauf etwas, das wohl mal eine Scheibe Brot war. Daneben eine niedrige, henkel­lose Tasse. Es ist noch ein Schluck türki­scher Kaffee darin, darüber zieht sich eine grünliche Schicht Schimmel.“ Von den Geflüch­teten sind nur etwa 30% zurück­ge­kehrt, viele von ihnen nur formell, um Ansprüche auf Besitz zu wahren. Die „Opera­tion Oluja“ wird von vielen Serben und Serbinnen bis heute als Pogrom betrachtet, viele Kroaten und Kroatinnen feiern sie hingegen jedes Jahr am „Tag der Befreiung“ als „patrio­ti­sche Heldentat“.

Auf eine Eskalation unvorbereitete Zivilgesellschaft

Der Verlauf der Geschichte und ihre anschlie­ßende Erzäh­lung lassen dabei vergessen, dass Natio­na­listen nicht von Anfang an die Mehrheit der Bevöl­ke­rung ausmachten als Jugosla­wien zerfiel. Jenseits politi­scher System­fragen und wirtschaft­li­cher Probleme war Jugosla­wien für viele ein erfolg­rei­ches Modell eines multi­eth­ni­schen Staates, der nach langen Ausein­an­der­set­zungen den Balkan befriedet hatte. Mehr als 40 Jahre eines gemein­samen Landes hatten zur Heraus­bil­dung einer „jugosla­wi­schen Identität“ geführt. Natio­na­listen konnten an Boden gewinnen, weil inter­es­sierte Gruppen und Funkti­ons­träger des alten Jugosla­wien die natio­na­lis­ti­sche Karte spielten, um eigenen Einfluss zu behalten oder auszu­weiten. Doch ohne – zum Teil bis heute nicht vollständig aufge­klärte – insze­nierte gewalt­tä­tige Zwischen­fälle hätten provo­ka­tive Entschei­dungen der Politik und die Propa­ganda natio­na­lis­ti­scher Medien zur Entfa­chung eines Kriegs mögli­cher­weise nicht ausge­reicht. Am krassesten war das beim kurze Zeit später begon­nenen Krieg um Bosnien in Sarajevo zu erleben, wo noch am 5. April 1992 zehntau­sende Menschen gegen den Krieg demons­trierten und in der multi­eth­ni­schen Stadt zunächst ein Zeichen gegen den sich weiter ausbrei­tenden Natio­na­lismus setzen wollten. Bei der Demons­tra­tion wurden zwei Frauen von serbi­schen Hecken­schützen ermordet, was die zivil­ge­sell­schaft­liche Manifes­ta­tion ins Leere laufen ließ ; schon am nächsten Tag fuhren Panzer durch die Stadt und die Belage­rung Sarajevos begann.

Die Zivil­ge­sell­schaft war auf die Eskala­tionen nicht vorbe­reitet und besaß auch nicht die Mittel den sich abzeich­nenden Wahnsinn aufzu­halten. Viele verharrten im Gefühl, die durch natio­na­lis­ti­sche Gruppen geschaf­fene gesell­schaft­liche Spaltung könne ihre eigene Umgebung nicht errei­chen. Provo­zierte Ereig­nisse und Gegen­re­ak­tionen entwi­ckelten jedoch einen blutigen Sog, in den immer mehr Menschen gezogen wurden ; Partner- und Freund­schaften zerbra­chen, die gesamt­ju­go­sla­wi­sche Identität hielt dem Furor nicht stand. Bis heute anhal­tende gegen­sei­tige Schuld­zu­wei­sungen belegen, wie nachhaltig natio­na­lis­ti­sche Zerstö­rung verbin­dender Grund­lagen wirkt. Noch immer verwei­gern sich vor allem die „Sieger“ des natio­na­lis­ti­schen Krieges oft einer selbst­kri­ti­schen Aufar­bei­tung des Gesche­hens. Im Gegen­teil ; die HDZ-geführten Regie­rungen Kroatiens, das sich als EU-Mitglied auf der Sieger­seite wähnt, haben die Entfes­se­lung des natio­na­lis­ti­schen Wahns zum Teil des eigenen Mythos gemacht. Zusammen mit Alt- und Neofa­schisten und der katho­li­schen Kirche wird um die blutige Geschichte des Landes teilweise geradezu ein Kult zelebriert. Dazu wird immer wieder der Versuch unter­nommen, die Geschichte umzuschreiben und die faschis­ti­sche Vergan­gen­heit des Landes zu relati­vieren. Die enge Verbin­dungen zu ultra­rechten Gruppie­rungen wie der neofa­schis­ti­schen A-HSP unter­hal­tende HDZ unter­stützt beispiels­weise die jährli­chen „Gedenk­feiern“ im öster­rei­chi­schen Bleiburg.

Geschichtsrevisionismus in Kroatien

Dort treffen sich jedes Jahr im Mai bis zu 15.000 Menschen um dem so genannten „Massaker von Bleiburg“ zu gedenken, bei dem Angehö­rige der Ustascha-Truppen, die ihren Kampf gegen die jugosla­wi­sche Volks­be­frei­ungs­armee noch nach Kriegs­ende fortge­führt hatten, von Parti­sa­nen­ver­bänden hinge­richtet worden waren. Bei dem Treffen, bei dem offen faschis­ti­sche Symbole gezeigt und Ustascha-Lieder gesungen werden, handelt es sich nach Einschät­zungen der öster­rei­chi­schen Anifa um eines der „größte Neonazi-Treffen“ Europas, was einige Vertreter der kroati­schen katho­li­schen Kirche und auch der HDZ-Regie­rungen nicht an einem Auftritt in Bleiburg und am Schul­ter­schluss mit den Teilneh­menden hindert. Die staat­liche Förde­rung für das „Gedenken“ in Bleiburg war von der vorigen HDZ-MOST-Regie­rung im Jahr 2015 wieder aufge­nommen worden, nachdem sich die sozial­de­mo­kra­ti­sche Vorgän­ger­re­gie­rung vorsichtig davon distan­ziert hatte. Die mittler­weile von einer Neuauf­lage der gleichen Koali­tion abgelöste national-rechts­li­be­rale Regie­rung unter Tihomir Orešković hatte sich gleich durch mehrere Vorhaben in die Nähe faschis­ti­scher Politik begeben. So wollte „Vetera­nen­mi­nister“ Crnoja ein Register von Personen erstellen, die „Verräter des natio­nalen Inter­esses“ seien.

Die Neuwahlen 2016 haben am kroati­schen Geschichts­re­vi­sio­nismus nichts geändert. Wie weit die Umschrei­bung der Geschichte inzwi­schen Norma­lität geworden ist, zeigt eine am KZ Jasen­ovac von „Veteranen des Bürger­kriegs“ angebrachte Tafel, die „gefal­lene Kameraden“ mit dem alten Ustascha-Gruß „Za dom spremni!“ ehrt. Der faschis­ti­sche Gruß, mit dem auch einige kroati­sche Reaktionen auf den Offenen Brief in Wuppertal unter­zeichnet waren, wurde vom jetztigen Premier­mi­nister Plenković als Ehrung für die Toten des Unabhän­gig­keits­krieges bezeichnet, die mit dem Weltkrieg nichts zu tun habe. Das aktuellstes Beispiel für den Geschichts­re­vi­sio­nismus in Kroatien ist ein Film des Regis­seurs Jokov Sedlar ; „Jasen­ovac - Istina“, (Jasen­ovac - die Wahrheit). Der jüngst von der Stadt Zagreb ausge­zeich­nete Film behauptet, Jasen­ovac sei erst durch Titos Kommu­nisten zum Todes­lager geworden, zuvor sei es ledig­lich ein Sammel­lager gewesen, in dem die Mehrzahl der Getöteten Kroaten gewesen seien. Die Erzäh­lung negiert die Opfer der Roma, der Juden und der Serben in unerträg­li­cher Weise. Sie ignoriert auch die Tatsache, dass Jasen­ovac am 22. April 1945 „fast vollständig einge­ebnet [wurde], nachdem die letzten rund 1.000 Gefan­genen einen verzwei­felten Ausbruchs­ver­such unter­nommen hatten.“ (Danijiel Majic in der FR am 19.5.2017)

National-Rock statt Balkanparty

Die Identi­fi­ka­tion der Regie­rung des EU-Mitglieds Kroatien mit dem natio­na­lis­ti­schen Furor Anfang der 1990er Jahre und die Relati­vie­rung der Verbre­chen des faschis­ti­schen Ustascha-Kroatien haben mit dazu geführt, dass das Land heute als beson­ders düstere Zone auf der Karte des neo-rechten Europa gelten darf. Neo-Faschisten bilden teilweise hegemo­niale Struk­turen und nehmen ganz offen Einfluss auf die Regie­rungs­po­litik. Das führt dann auch schonmal zu diplo­ma­ti­schen Störungen, wenn, wie vor kurzem im slowe­ni­schen Maribor, ein Konzert der Band „Thompson“, deren Name sich auf das von Marko Perko­vićć im Kroati­en­krieg benutzte Maschi­nen­ge­wehr bezieht, verboten wird. Der Hype um Konzerte wie denen der Band von Marko Perković kann als ein Ausdruck der in Kroatien und bei vielen KroatInnen der Diaspora inzwi­schen zur Norma­lität geron­nenen natio­na­lis­ti­schen Ideologie gewertet werden, die sich mit dem Begriff „Patrio­tismus“ zu tarnen sucht. Wenn das „Thompson“-Management angibt, Perko­vićs Stücke, in denen schonmal als Kriegs­ver­bre­cher angeklagte kroati­schen Generäle verherr­licht werden, seien „Liebes­lieder mit patrio­ti­schem Inhalt“, wird es frostig.

Mögli­cher­weise feierten noch vor wenigen Jahren einige der jüngeren Perković-Besuche­rInnen am Pfingst­sonntag statt zu natio­na­lis­ti­schem Rock zu Balkan-Brass, Gypsys­ounds, Klezmer und elektro­ni­scher Musik bei den zwischen­zeit­lich auch in Wuppertal populären „Balkan-Parties“. Die Parties, bei denen auch schonmal auf den Tischen getanzt wurde, feierten eine jugosla­wi­sche Multi­kul­tu­ra­lität, die durch einen entfes­selten Natio­na­lismus vernichtet wurde. Wenn statt­dessen ein Club in Wuppertal heute mit Künst­le­rInnen ein besseres Geschäft machen kann, die natio­na­lis­ti­sche Kriegs­trei­berei feiern und dabei auch nicht vor einer Relati­vie­rung der faschis­ti­schen Epoche Halt machen, ist das ein trauriges Sinnbild dafür, dass kroati­sche und serbi­sche Natio­na­listen sich als Vorreiter politi­scher Entwick­lungen in Europa fühlen können. Und wie vor einem Viertel­jahr­hun­dert in Jugosla­wien trifft ein als „Patrio­tismus“ verharm­loster Natio­na­lismus auch jetzt auf eine manchmal verschla­fene Zivil­ge­sell­schaft, die zwischen Desin­ter­esse und Naivität nicht wirklich mitbe­kommt, was in ihrer Mitte abgeht.

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