AntiRep 2 - Unberührbare Polizei, der neue §114

Das so_ko_wpt hat mit einem Infor­ma­ti­ons­abend am 28.3.in Wuppertal versucht, einige der für Deutsch­land derzeit wichtigsten repres­siven Entwick­lungen zusam­men­zu­fassen und zu einem Gesamt­bild zusammen zu fügen. Mit zwei Artikeln versu­chen wir eine thema­ti­sche Reflek­tion des Infoabends. (Teil 1 : Repres­sion hält sich nicht an Filter-Bubbles)

Wann wird es für den Staat opportun, seine repres­siven Werkzeuge anzuwenden, und warum bestimmt Sicher­heits­po­litik eigent­lich die politi­sche Tages­ord­nung ? Und wie müsste unsere Reaktion angesichts dessen ausfallen ? Am Beispiel des neuen §114, der so genannte „tätliche Angriffe gegen Vollstre­ckungs­be­amte und ihnen gleich­ge­stellte Personen” in Zukunft mit mindes­tens drei Monaten Knast sanktio­nieren soll, lassen sich einige grund­sätz­liche Überle­gungen anstellen ; und eine Betrach­tung erfol­gender Reaktionen von linker Seite auf das Geset­zes­vor­haben verweist auf einige eigene Irrtümer und einer damit einher­ge­henden Unfähig­keit angemessen zu reagieren. Diese Reaktionen reduzieren die Auswir­kungen des neuen Gesetzes meist auf ein Demons­tra­ti­ons­ge­schehen. Wer jedoch das staat­liche Motiv für dieses mit dem alten Wider­stands­pa­ra­gra­phen 113 symbio­tisch verknüpfte neue Gesetz verstehen will (das auch in der Rechts­wis­sen­schaft höchst umstritten ist), muss sich mit der Insti­tu­tion der Polizei und der ihr in der Gesell­schaft zugedachten Aufgabe beschäf­tigen (das Argument des Schutzes von Rettungs­diensten kann getrost beiseite gelassen werden ; gemeint ist die Polizei.)

Wenig erstaun­lich ist, dass es die weitver­brei­tete Meinung gibt, Rolle und Aufgabe der Polizei seien eigent­lich klar. Denn Lobby­ver­treter der Polizei und Medien arbeiten kräftig an einem einfa­chen Bild : Aufgabe der Polizei ist es, Verbre­chen aufzu­klären, zu verfolgen und möglichst zu verhin­dern. Die Polizei sei daher eine Insti­tu­tion für die „Sicher­heit” einzelner in der Gesell­schaft. Dementspre­chend laufen auch die öffent­li­chen Debatten um zu wenig Personal, zu alte Ausrüs­tung und zu wenig Befug­nisse ab. Referenz sind Einzel­fälle, beson­ders empörens­werte Fälle von krimi­nellen Handlungen und indivi­du­elle Bedro­hungs­sze­na­rien. Sugge­riert wird damit, „Polizei“ käme jedem zugute. Das ist jedoch nicht der Fall. Die Entste­hungs­ge­schichte der Insti­tu­tion „Polizei” zeigt, dass es, als es – beispiels­weise in England oder in einigen Städten der USA – im 19. Jahrhun­dert zur Gründung einer zwischen Militär und selbst­or­ga­ni­siertem Schutz angesie­delten Insti­tu­tion „Polizei“ kam (vgl. dazu hier) gar nicht um eine Bekämp­fung von Verbre­chen ging. Die Notwen­dig­keit zur Gründung einer solchen Insti­tu­tion ergab sich aus einer rasanten Verän­de­rung der Städte zu Beginn der Indus­tria­lie­rung ; anwach­sende Bevöl­ke­rungen, die Umstruk­tu­rie­rung der Arbeit zur Lohnar­beit und das Entstehen einer neuen Klassen­ge­sell­schaft, die ein zuvor bestim­mendes, nachfeu­dales Stände- und Zünfte­system ablöste, führten in den großen Städten zu zuneh­menden Inter­es­sen­kon­flikten einzelner Bevöl­ke­rungs­gruppen mit anderen : Unter­neh­mens­be­sit­zern und Arbei­tern, Arbei­tern und Tagelöh­nern aber auch von Altein­ge­ses­senen mit neu in die Stadt drängenden Einwan­de­rer­gruppen.

Die Polizei wurde erfunden um die Stadtgesellschaft zu kontrollieren

Die zuneh­menden Zusam­men­rot­tungen und Streiks ließen sich mit bis dahin agierenden neben­be­ruf­li­chen, durch Land- oder Firmen­be­sitzer zusam­men­ge­stellte Truppen oder Freiwil­lige, die in einem meist rotie­renden System eine „Wächter­funk­tion” ausübten, nicht länger zuver­lässig unter Kontrolle bringen ; zumal nicht sicher war, ob sie in einem Konflikt nicht selber darüber entschieden, ob sie flüch­teten oder gar die Seite wechselten. Die neu geschaf­fene Insti­tu­tion Polizei sollte die (stadt-) gesell­schaft­li­chen „Neben­be­rufler“ deshalb durch haupt­be­ruf­liche Kräften ersetzen. Denn in Fällen, in denen die Kontrolle zu entgleiten drohte, wurde zur Bekämp­fung von Streiks und Aufständen zuvor im Notfall Militär einge­setzt, was oft zu gewalt­tä­tigen Einsätzen gegen die Menschen­mengen führte. Unter Strei­kenden kam es zu vom Militär getöteten Arbei­tern, was nicht selten eine noch größere Entschlos­sen­heit der Strei­kenden beim nächsten Mal auslöste. Die Kontrolle der neuen Stadt­ge­sell­schaften, die Aufrecht­erhal­tung der „Ordnung” und die Siche­rung der Klassen­ge­gen­sätze war lücken­haft. Die „Polizei” sollte diese Lücke füllen und zu einem effek­tiven, in der Regel aber weniger letalen Mittel werden, gesell­schaft­liche Konflikte einzu­hegen und möglichst schon vor dem Entstehen zu erkennen. Von Anfang an wurde die Polizei, anders als das beim kaser­nierten Militär möglich war, deshalb als eine im Alltag der Menschen veran­kerte Insti­tu­tion konzi­piert. Die Übertra­gung von Verbre­chens­be­kämp­fung von einer allge­meinen „Aware­ness” auf die neue Insti­tu­tion diente dazu als Vehikel. Wo zuvor wortwört­lich ein „Haltet den Dieb” zum kollek­tiven Versuch führte, eine Tat zu verhin­dern und bedrohtes Eigentum zu schützen, wendeten sich von Diebstahl Betrof­fene fortan an die im Viertel präsenten Polizisten. Sie wurden nach und nach zu den umgangs­sprach­lich noch lange präsenten „Schutz­män­nern“, die vor Ort in den Vierteln respek­tiert werden und so durch ihre Kennt­nisse und Kontakte frühzeitig von sich anbah­nenden gesell­schaft­li­chen Konflikten erfahren sollten.

Die Polizei befasst sich “mit Menschen­mengen, Wohnvier­teln, anvisierten Teilen der Bevöl­ke­rung – alles kollek­tive Einheiten. Sie mögen das Gesetz anwenden, um dies zu tun, aber ihre allge­meinen Richt­li­nien erhalten sie in der Form von Vorgaben ihrer Vorge­setzten oder aus ihrer Berufs­er­fah­rung. Die Direk­tiven haben regel­mäßig offen kollek­tiven Charakter – etwa die Kontrolle über ein wider­spens­tiges Viertel zu erlangen.” (aus „Origins of the police”)

Polizei” ist seit ihrer „Erfin­dung” als Ordnungs­faktor zur Einhe­gung von Menschen­mengen im öffent­li­chen Raum inten­diert. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, soll sie dieje­nigen die sich dort aufhalten, kontrol­lieren. Sie wurde dafür mit der Defini­ti­ons­macht ausge­stattet, darüber zu befinden, was die „Ordnung” öffent­li­cher Räume bedroht oder stört und was eben nicht. So aufge­fasst, sind viele Entschei­dungen heutiger Einsatz­lei­tungen oft weniger ideolo­gisch als system­im­ma­nent zu verstehen. Eine angemel­dete Demo ist nach Polizei-Defini­tion beispiels­weise zunächst nicht per se eine Störung der Ordnung des öffent­li­chen Raums, zählt zu ihr doch (leider) auch das Recht, in einem eng von der Polizei bestimmten Rahmen demons­trieren zu dürfen. Da eine Demo jedoch dennoch stets eine Gefähr­dung für die Ordnung darstellt, wird sie mit großem Einsatz beobachtet und begleitet. Der polizei­liche Rahmen wird bei „Class­less Kulla“ treffend so beschrieben : „Die Polizei legt fest, wer wann und wo demons­triert, welche Auflagen vorher laut vorge­lesen werden müssen, wann sich die Demo wie schnell bewegt und wann sie stehen­bleibt, wie die Betei­ligten gekleidet sind, wie groß ihre Trans­pa­rente sind, und in vielen Fällen auch, wann und wo die Demo endet.“ Gegen­de­mons­tra­tionen, zum Beispiel gegen einen angemel­dete Nazi-Aufmarsch, entspre­chen hingegen prinzi­piell nicht der polizei­li­chen Defini­tion eines „geord­neten” Ablaufs. Sie richten sich gegen die Ordnung der Ursprungs­kund­ge­bung und sie stören und bedrohen noch weiter die von der Polizei gesetzten Rahmen­be­din­gungen. Die Polizei betrachtet sie feind­lich und engt ihren Spiel­raum noch weiter ein. Diese, Alltag und Äußerungen eines Jeden (mit-) bestim­mende Rolle der Polizei wurde und wird freilich nicht von vornherein akzep­tiert. Um eine Insti­tu­tion zu imple­men­tieren, die defini­to­risch wie durch das ihr zugedachte „Gewalt­mo­nopol” ganz faktisch jeder­zeit bestimmen kann, wo öffent­li­cher Raum beginnt, wo er aufhört und wie sich belie­bige Situa­tionen in ihm zuzutragen haben, bedarf es neben einer entspre­chenden Gesetz­ge­bung einer weiteren, psycho-sozialen Voraus­set­zung : Sie benötigt beson­deres Ansehen und eine heraus­ge­ho­bene Stellung gegen­über den zu Kontrol­lie­renden. Sie benötigt den Respekt der Kontrol­lierten und im Konflikt­fall auch die Unter­stüt­zung der anderen im öffent­li­chen Raum Anwesenden.

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