AntiRep 2 - Unberührbare Polizei, der neue §114

Es gibt zu viele Mitbürger, die den Menschen in Uniform provozieren.“

Es gibt zu viele Mitbürger, die den Menschen in Uniform provozieren.“

Wenn Fälle von durch Dienst­mü­dig­keit oder Corps­geist bedingten Krank­schrei­bungen und Schmerzen in Abzug gebracht werden, ist die verblei­bende Diskre­panz nicht allein durch Gegen­an­zeigen oder Krimi­na­li­sie­rungs­ver­suche durch die Polizei erklärbar. Ein nicht unwesent­li­cher Teil muss auf dem subjek­tiven Gefühl basieren, tatsäch­lich bedroht oder angegriffen zu werden. Doch woher kommt das Gefühl der Polizei, sich auf so unsicherem Terrain zu bewegen ? Es gibt dafür auch objek­tive Umstände. Beispiels­weise ist die Polizei zwar auf ihrem ureigenen Terrain, der Kontrolle von Menschen­mengen und Aufstands­be­kämp­fung so gut ausge­rüstet wie nie zuvor, im für das subjek­tive Gefühl entschei­denden Polizei-Alltag ist sie jedoch materiell oft im Hinter­treffen. Wo Berichte noch auf einem Uralt-Rechner verfasst werden müssen, agiert das Gegen­über mittler­weile mit schnellen und mobilen Devices und Verschlüs­se­lungs­tech­no­lo­gien. Meldungen zu vom schmalem Gehalt selbst gekauften Schutz­westen und wegen versa­gender Funkkom­mu­ni­ka­tion bei Einsätzen bevor­zugten Mobil­te­le­fonen tragen sicher auch zum Gefühl der Unter­le­gen­heit und Verun­si­che­rung bei. Und dort, wo Polizis­tInnen den für die Kontrolle eines Viertels benötigten Respekt auch der Kontrol­lierten erfahren müssten, erleben sie teilweise das Gegen­teil. Das nach Anerken­nung heischende Bild vom in der Mitte der Gesell­schaft befind­li­chen Polizisten, funktio­niert nicht, wenn es auf Menschen trifft, die sich ihrer­seits gar nicht als Teil der Gesell­schaft erfahren. Die immer weiter manifes­tierte soziale Spaltung der Gesamt­ge­sell­schaft führt bei jenen 20%, für die die Polizei nicht (mehr) eine Insti­tu­tion ist, der Vertrauen geschenkt wird, zu einem verän­dertem Verhalten. Menschen, die sich nicht mehr sorgen, bei „Aufmüp­fig­keit“ exklu­diert zu werden, weil sie auf Inklu­sion ohnehin keine Aussicht haben, kündigen den seit der „Erfin­dung“ der „Schutz­männer“ geschlos­senen Pakt. Feind­liche Blicke begleiten den „Kontakt­be­reichs­be­amten” oder den Strei­fen­wagen, als „Frech­heit“ empfun­dene Reaktionen im Alltag nehmen zu, Wider­sprüche häufen sich und Anord­nungen der Polizei wird nicht immer umgehend und wider­spruchslos Folge geleistet. „Es gibt zu viele Mitbürger, die den Menschen in Uniform provo­zieren und ständig heraus­finden wollen, wer der Stärkere ist.” (Gewerk­schaft der Polizei im März 2017) Solch „aufsäs­siges“ Verhalten eines Gegen­über ist für das Verun­si­che­rungs­ge­fühl von Polizis­tInnen entschei­dender als die – ohnehin zurück­ge­hende – reale Gefahr, auf die Fresse zu kriegen. Wie groß der Frust über den Verlust ihrer „unberühr­baren” Stellung im Polizei­alltag ist, ist dann bei jeder linken Demo zu erleben ; also sobald die Polizei auf jenes Spiel­feld gelangt, auf dem sie den Vorteil einer weit überle­gener Ausrüs­tung hat.

Der Druck, den Lobby­ver­treter der Polizei gemacht haben, ein Gesetz wie den neuen §114 einzu­führen, ist vor allem auch als Handrei­chung für eine im Dienst zuneh­mend frustrierte Polizei zu verstehen. Die durch den neuen §114 von der Justiz auf das Feld der Polizei verla­gerte indivi­du­elle Macht, ein „aufsäs­siges“ Gegen­über zukünftig qua Anzeige eines vermeint­li­chen „tätli­chen Angriffs“ quasi selber mit drei Monaten Haft zu „bestrafen“, wird ihre Wirkung vor allem im Alltags­ge­schäft entfalten. Sie soll die Kräfte­ver­hält­nisse zwischen Kontrol­lie­renden und Kontrol­lierten und das subjek­tive Überle­gen­heits­ge­fühl von Polizis­tInnen wieder herstellen. Dass die Politik dem, aller juris­ti­schen Vorbe­halte gegen das Gesetz zum Trotz, nachkommt, spricht auch für politi­sche Verun­si­che­rung. Die Tatsache zuneh­mend revol­tie­render reaktio­närer Bevöl­ke­rungs­schichten in der Kombi­na­tion mit einer im Alltag frustrierten Polizei, die oft ohnehin eine berufs­be­dingte Nähe zu reaktio­nären Protesten aufweist, ist für Herrschende gefähr­lich. Können sie sich nicht mehr auf die unbedingte Loyalität der haupt­be­ruf­li­chen „Wächter“ verlassen, gerät die Grund­lage ihrer Herrschaft in Gefahr – heute nicht anders als zu Zeiten, in denen die Polizei als Insti­tu­tion „erfunden“ wurde. Wie soetwas in der Praxis aussehen kann, konnte nicht nur in Sachsen inzwi­schen mehrfach beobachtet werden : Die Polizei kommt ihrem Auftrag zum Schutz von Politi­kern einfach nicht nach oder lässt rechte Mobs schlicht gewähren. Zumeist bleibt so ein Verhalten ohne Konse­quenzen. Hierin findet sich die eigent­liche Bedeu­tung des Wortes „Polizei­staat“, das zumeist auf die Bedeu­tung ausge­übter Polizei­ge­walt reduziert wird. „Polizei­staat“ bedeutet über versprühtes Pfeffer­spray hinaus vor allem jedoch, gegen­über den „Auftrag­ge­bern“ in einer effek­tiven Macht­po­si­tion zu sein. Denn während die „Auftrag­geber“ – also die Innen­mi­nister als Dienst­herren – bei Wahlen regel­mäßig um ihre Position fürchten und dabei u.a. von der durch die Polizei zu gewähr­leis­tenden „Aufrecht­erhal­tung der Ordnung“ abhängig sind, sind die örtli­chen Polizei­prä­si­den­tInnen und Polizis­tInnen beamtet und werden auch noch den nächsten Innen­mi­nister im Job überleben. Die Politik ist vom „Gehorsam” der Polizei gewis­ser­maßen abhängig und kann sich Forde­rungen aus deren Reihen nur schwer entziehen.

Wenn die in Wuppertal tätige Polizei­prä­si­dentin Birgitta Rader­ma­cher in der Anhörung des Rechts­aus­schuss des Bundes­tages zur Einfüh­rung des §114 fordert, in Zukunft das Fotogra­fieren und Filmen von Polizei­ein­sätzen zu verbieten (womit Betrof­fenen auch die letzte Beweis­mög­lich­keit für nicht statt­ge­fun­dene „tätliche Angriffe“ genommen würde, während die Polizei in Wuppertal gleich­zeitig nach Belieben ihre eigene Sicht filmisch mit „Bodycams“ dokumen­tieren kann), dann muss davon ausge­gangen werden, dass diese Forde­rung über kurz oder lang von der Politik auch umsetzen wird, weil sie im Grunde durch die Polizei erpressbar und verun­si­chert ist. Diese, auf den real existie­renden „Polizei­staat“ verwei­sende politi­sche Verun­si­che­rung steht in krassem Gegen­satz zum beständig vorge­tra­genen Mantra eines „Rechts­staats“, das aus unerfind­li­chen Gründen auch in der Linken tief veran­kert ist. Empörte Verweise auf das Grund­ge­setz bei der nächsten Umset­zung polizei­li­cher Forde­rungen und hilflose Presse­er­klä­rungen nach der nächsten gewalt­samen Auflö­sung eines Protestes zeugen von einer linken Unklar­heit bezüg­lich der konkreten Lage und der Verfasst­heit der Gesell­schaft allge­mein. Ähnli­ches gilt, wenn unter Verweis auf „islamis­ti­schen Terror“ und auf rechte Propa­ganda von der Politik ständig neue Gesetze disku­tiert und umgesetzt werden, die funda­mental in jenen imagi­nierten „Rechts­staat“ eingreifen. „Zensur­be­hörden“ für soziale Medien oder Fußfes­seln für an keiner Stelle definierte „Gefährder“-Gruppen sind nur zwei Beispiele. Vor allem die Fußfes­seln für „Gefährder“ sind ein gutes Beispiel für die weiter ausgrei­fende Verla­ge­rung polizei­li­cher Defini­ti­ons­macht in einen „präven­tiven“ Bereich. In diesem wird es der Polizei und anderen Sicher­heits­be­hörden künftig möglich sein, ihre Funktion unter vollstän­digem Verzicht auf bestehende Gesetze auszu­üben, denn ein „Gefährder“ hat ja noch gegen gar kein Gesetz verstoßen. Je nach „Lage“, wie die Polizei es nennt, könnte er oder sie es jedoch in Zukunft vielleicht tun. Überrum­pelt von einer, den inzwi­schen sechzehn­jäh­rigen „Krieg gegen den Terror“ mit ständigen Bedro­hungs­sze­na­rien beglei­tenden Gehirn­wä­sche, bleibt linkes Inter­esse an solchen Geset­zes­vo­erän­de­rungen eher bescheiden. Oft wird nur wahrge­nommen, was für uns selbst bedroh­lich ist. Dass uns das meiste des Disku­tierten nicht sofort trifft, liegt trauri­ger­weise jedoch nur daran, dass wir zur Zeit nicht ernst­haft als „Gefährder“ wahrge­nommen werden. Auch für den §114 trifft das zu, trotz seiner Verab­schie­dung im Bundestag am 27. April, also noch „recht­zeitig“ vor den Protesten zum G20-Gipfel in Hamburg.

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