Wie sieht´s aus in Heiligenhaus ?

Besuch im Flücht­lings­lager Schule Ludge­russtraße am 16.10.2014

Gemeinsam mit der Karawane für die Rechte der Flücht­linge und Migran­tInnen und anderen hat das so_ko_wpt Ende letzten Jahres und Anfang 2014 die Situa­tion geflüch­teter Menschen in Wupper­tals Nachbar­stadt Heili­gen­haus thema­ti­siert. Die in einer ehema­ligen Schule unter­ge­brachten Menschen hatten über unzumut­bare Bedin­gungen geklagt und einen selbst­or­ga­ni­sierten Protest gegen die Zustände auf die Beine gestellt, den wir mit einer wieder­holten Bericht­erstat­tung unter­stützten. Unter anderem mussten sich sämtliche Bewohner*innen der Schule, Frauen, Männer und Kinder eine einzige Dusche im Bereich der Männer-Toilette teilen.

Am 8.Dezember 2013 verstarb der Flücht­ling Kallo Al Hassan Kanu unter bis heute nicht endgültig aufge­klärten Umständen, nachdem ein Kranken­wagen viel zu spät an der Schule einge­troffen war. Am 13.Dezember kam es daraufhin zu einer ersten Demons­tra­tion der Geflüch­teten in Heili­gen­haus, bei dem Forde­rungen an den Bürger­meister der Stadt übergeben wurden. Doch der Umgang der Stadt Heili­gen­haus mit den Bewohner*innen der Schule blieb zynisch : Ihnen wurde nicht einmal die Gelegen­heit gegeben, angemessen Abschied von Hassan zu nehmen. Ohne sie zu infor­mieren, bestat­tete die Stadt Heili­gen­haus den Verstor­benen in einem anonymen Grab in Velbert. Am 10.Januar 2014 gingen die Flücht­linge in Heili­gen­haus auch deshalb erneut auf die Straße und forderten Aufklä­rung zum Tod ihres Freundes und endgül­tige Zusagen der Stadt für eine Verbes­se­rung ihrer Situa­tion.

Von der Stadt Heili­gen­haus wurden im Anschluss einige Verspre­chungen gemacht, so sollten neue Duschen einge­baut und Familien auch indivi­duell unter­ge­bracht werden. Doch die zwischen­zeit­liche Hoffnung auf eine nachhal­tige Verbes­se­rung der Lebens­si­tua­tion scheint ein dreiviertel Jahr nach den Protesten geplatzt. Es stellt sich die Frage, was die Stadt Heili­gen­haus eigent­lich mit den gut 500 Euro anstellt, die sie je Flücht­ling monat­lich vom Land NRW erhält – in die Infra­struktur der Unter­brin­gung fließt das Geld offen­sicht­lich nicht, wie jetzt bei einem Folge­be­such der Karawane in der Schule deutlich wurde.

[Unsere damaligen Berichte aus Heili­gen­haus : 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7)

Wir dokumen­tieren hier den Bericht der Besuchs­de­le­ga­tion.

Die alte Schule in Heiligenhaus (hier im Januar 2014)

Die alte Schule in Heili­gen­haus (hier im Januar 2014)

Am 16. Oktober besuchte eine vierköp­fige Delega­tion der Karawane für die Rechte der Flücht­linge und Migran­tInnen das Lager Heili­gen­haus – eine ungenutzte Schule, in denen die Flücht­linge eigent­lich nur übergangs­weise unter­ge­bracht werden sollten und nun seit Juli 2013 hausen müssen.

Die Stadt Heili­gen­haus agiert komplett intrans­pa­rent hinsicht­lich der Planungen für eine zukünf­tige Flücht­lings­un­ter­brin­gung ; aus dem Proto­koll der letzten Ratssit­zung vom 1.Oktober geht hervor, dass inzwi­schen ein Gutachten erstellt wurde, auf dessen Grund­lage über die Unter­brin­gung entschieden würde (Beratung vermut­lich im Immobi­li­en­aus­schuss am 12.11.). Außerdem behauptet die Stadt­ver­wal­tung, es seien von den 130 in Heili­gen­haus zugewie­senen Flücht­lingen 60 bereits dezen­tral in Privat­un­ter­künften unter­ge­bracht. In der Schule würden derzeit 56 Personen leben.

Wenngleich wir nicht genau nachge­zählt haben, erscheint uns die Anzahl von 56 Personen völlig unrea­lis­tisch niedrig zu sein. Als wir ankommen, sind auf dem Schulhof mehrere Erwach­sene und zahlreiche spielende Kinder. Wie wir später erfahren, sind es genau sechzehn Kinder, die z.Zt. mit ihren Familien in der Schule unter­ge­bracht sind. Außerdem würden immer noch weitere Flücht­linge hier unter­ge­bracht. Für die Eltern ist das z.T. Eine schwie­rige Situa­tion, weil sie sich Sorgen machen, dass ihren Kindern in der Unter­kunft etwas zustößt oder dass sie einfach Dinge mitbe­kommen, die für Kinder schwer zu verar­beiten sind. Zudem wohnen die Kinder mit ihren erwach­senen Verwandten auf engstem Raum zusammen.

Wir trinken einen Kaffee mit einer Familie, die zu zehnt in einem ehema­ligen Klassen­raum wohnt. Der Klassen­raum hat ca. 30 Quadrat­meter. Das heißt, pro Person stehen ca. 3 Quadrat­meter Wohnfläche zur Verfü­gung. Sogar die bayri­schen Leitli­nien für Flücht­lings­un­ter­brin­gung sehen 7 Quadrat­meter je Person vor. In NRW gibt es keine Vorgaben des Landes.

Eine Frau berichtet, der Sozial­amts­leiter Saborni habe ihr auf die Frage, wo die Kinder denn die Hausauf­gaben machen sollten, gesagt, sie könnten ja in die Küche gehen. Dort gibt es aller­dings gar keine Sitzge­le­gen­heiten ; außerdem sind dort ja immer auch andere Personen und deshalb haben die Kinder dort auch keine Ruhe. Es gibt noch ein weiteres Problem : Zwei Kinder sind (noch) nicht in der Schule ; sie sollten in Velbert in eine Auffang­klasse gehen, bekommen aber wohl kein Ticket­geld. Die Eltern sollten nach Auskunft des Sozial­amts das Ticket selbst finan­zieren (von ihrem Regel­satz?!).

Es gibt Familien (mindes­tens zwei), die zwischen­zeit­lich eine private Unter­kunft hatten und dann wieder in die Schule zurück­ge­bracht wurden ; in deren Wohnungen sind dann andere Familien einge­zogen. Für alle Bewoh­ne­rInnen ist völlig undurch­schaubar, nach welchen Krite­rien wer wo unter­ge­bracht wird. Manche vermuten Willkür, Bevor­zu­gung nach Sympa­thie und Wohlver­halten, manche vermuten Vorteils­nahme, wieder andere haben überhaupt keine Idee.

In der ersten Etage sind vier neue Duschen einge­baut worden. Davon ist im Augen­blick aber nur eine einzige in Betrieb, denn die anderen sind leck, das Wasser lief den darunter wohnenden Familien durch die Decke. Dann erfahren wir, dass die verblei­bende Dusche auch nicht zu nutzen ist, weil das Wasser Strom führt (!)*. Wenn man die Hand an die Wand legt, spürt man eine Spannung. Es gab wohl einen Instal­la­ti­ons­fehler ; der Handwerker, der hier beschäf­tigt war, wirkte nach Meinung eines Bewoh­ners nicht beson­ders kompe­tent.

Mit den Bewoh­ne­rInnen zusammen wird beschlossen, dass die aktuelle Situa­tion dokumen­tiert und veröf­fent­licht werden soll.

* Am Tag nach dem Besuch wurde das Sozialamt telefo­nisch über die „elektri­sche Dusche“ infor­miert. Die Reaktion war, zunächst auch diese Dusche noch zu schließen. Es gibt jetzt aktuell noch eine einzige funktio­nie­rende Dusche, die im selben Raum wie die (von den Männern genutzte) Toilette ist.

Artikel teilen

Bericht zur Flüchtlings-Frauenkonferenz in Frankfurt/Main

Vom 20. bis zum 22. Juni fand in Frank­furt die 2. Karawane-Flücht­lings-Frauen­kon­fe­renz statt, an der sich rund 90 Frauen – Flücht­linge, Migran­tInnen und einige Frauen mit deutschem Pass – betei­ligten. Zwei Tage lang tauschten sie sich über ihre persön­li­chen Gewalt- und Flucht­er­fah­rungen aus, über die Schwie­rig­keit, als Frau im Asylver­fahren ernst genommen zu werden, über drohende Dublin-Abschie­bungen und die Notwen­dig­keit, sich weiter auch lokal und regional zu organi­sieren. Wir dokumen­tieren hier den u.A. in der „Analyse&Kritik” veröf­fent­lichten Bericht einer Karawane-Aktivistin.

CREATOR: gd-jpeg v1.0 (using IJG JPEG v62), quality = 90

Konfe­renz­auf­takt : Demo in Gedenken an Christy Schwun­deck

Die Karawane für die Rechte der Flücht­linge und Migran­tInnen existiert seit ihrer Gründung 1998 als Netzwerk für die Selbst­or­ga­ni­sie­rung von Flücht­lingen. Das Netzwerk ist prinzi­piell offen und wird von allen Aktivisten und Aktivis­tinnen getragen, die sich im Rahmen der Ziele und Prinzi­pien der Karawane organi­sieren wollen, gleich welcher Herkunft, Sprache oder Geschlecht sie sind. Die Erfah­rung der vielen Jahre – und nicht minder die Erfah­rung mit dem Refugee-Protest der letzten Jahre, die Protest­mär­sche nach Berlin, München oder Brüssel, die Konfe­renzen oder Zeltak­tionen - weisen aber eine gemein­same Abwesen­heit auf : Es nehmen zwar viele Frauen teil, aber auffäl­lige wenige von ihnen haben eine eigener Flucht­er­fah­rung. Dabei ist selbst­ver­ständ­lich weder die Lage der Flücht­lings-Frauen einfa­cher als die geflüch­teter Männer – noch sind die Frauen weniger kämpfe­risch. Im Gegen­teil. Es muss also eine Reihe anderer Hinder­nisse für Frauen geben, Teil einer Flücht­lings-Selbst­or­ga­ni­sa­tion zu werden.

Vor drei Jahren beschloss eine Gruppe von Karawane-Aktivis­tinnen, heraus­zu­finden, was genau Flücht­lings­frauen davon abhält, sich selbst zu organi­sieren, und wie man diese Hürden zumin­dest reduzieren kann. Beim Break-Isola­tion-Camp in Erfurt wurde beschlossen, gezielt Frauen in den Lagern anzuspre­chen ; seitdem traf sich bei jedem bundes­weiten Karawa­ne­treffen eine Frauen-Arbeits­gruppe, um die weiteren Aktivi­täten zu koordi­nieren. Die organi­sierten Frauen besuchten viele andere Flücht­lings­frauen in Lagern und tauschten sich aus.

Nach mehreren Lager­be­su­chen wurde beschlossen, eine erste Flücht­lings­frau­en­kon­fe­renz durch­zu­führen. Diese erste Konfe­renz fand im April 2013 in Hamburg statt ; organi­siert wurde sie von der Karawane und dem Sozia­lis­ti­schen Frauen­bund (SKB). Anstelle der erwar­teten 40 Teilneh­me­rinnen kamen 130 Frauen, die zwei Tage lang intensiv über ihre Flucht­gründe, die Situa­tion in den Herkunfts­län­dern und ihre Lage als Flücht­lings­frauen in Deutsch­land sprachen.

Deutlich wurde bei der Konfe­renz und schon bei der Mobili­sie­rung im Vorfeld, dass es vor allem für Frauen mit Kindern viel schwie­riger ist sich zu organi­sieren und ihre Lager zu verlassen : Mit Kindern ist jede Zugreise, jede Schlaf­platz­ko­or­di­na­tion, jede Autofahrt (Kinder­sitze!) und jede Teilnahme an Treffen oder Konfe­renzen (Kinder­be­treuung!) einfach noch schwie­riger zu organi­sieren. Die im Vergleich zur ohnehin schwie­rigen Mobilität der Flücht­linge noch gerin­gere Bewegungs­frei­heit der Frauen bedeutet für sie auch eine noch stärkere Isolie­rung in den Lagern und Unter­künften. Die Isola­tion wiederum bringt sie in noch größere Gefahr, Opfer sexueller Gewalt zu werden. Viele andere Probleme hingegen teilen sie mit männli­chen Lager-Nachbarn ; zum Beispiel kaum Geld für Fahrkarten zu haben, oder die immer noch bestehende Residenz­pflicht.

Die Residenz­pflicht wurde einer Reise­gruppe von fünf Frauen auch zum Verhängnis, die sich am 20.Juni auf den Weg von Nürnberg zur diesjäh­rigen Flücht­lings-Frauen­kon­fe­renz in Frank­furt gemacht hatten. Bereits beim Umsteigen in Würzburg gerieten sie in eine rassis­ti­sche Polizei­kon­trolle. Drei von ihnen wurden aufgrund der Residenz­pflicht gezwungen, ihre Reise abzubre­chen und ins Lager zurück­zu­gehen.

Sie waren leider nicht die einzigen, die die Residenz­pflicht davon abhielt, in Frank­furt mit ihren Schwes­tern zusam­men­zu­kommen. Vor diesem Hinter­grund ist es ein Mobili­sie­rungs­er­folg, dass trotzdem an die 90 Frauen in Frank­furt waren. Viele hatten ihre Kinder mitge­bracht, die von der Frank­furter Vorbe­rei­tungs­gruppe und solida­ri­schen Karawane-Männern zwei Tage lang betreut und bespaßt wurden.

Zum Auftakt der Konfe­renz fand eine kraft­volle Demons­tra­tion in Gedenken an Christy Omoro­dion Schwun­deck statt, die drei Jahre zuvor im Jobcenter im Frank­furter Gallus-Viertel von der Polizei erschossen worden war. Anklage wurde seiner­zeit gegen die Polizei nicht erhoben : Obwohl sie mehr als zwei Meter vom Todes­schützen entfernt stand, wurde auf Notwehr erkannt.

Den folgenden Tag nutzten die Frauen, um sich in Ruhe auszu­tau­schen und zu berichten, aus welchen Gründen sie nach Deutsch­land gekommen waren. Erstaun­lich groß war das Bedürfnis, über Erlebtes zu reden, sich mitzu­teilen, den anderen zuzuhören und immer wieder auch gegen­seitig Mut zuzuspre­chen. Denn teilweise waren die Berichte nur schwer zu ertragen, denn die mutigen Frauen, die sich trauten zu sprechen, waren Zeuginnen von Kriegen, massiver politi­scher Repres­sion, aber auch von familiärer und sexua­li­sierter Gewalt gegen sie selbst und gegen ihre Kinder geworden. Eine junge Frau, die sich schon in ihrer Heimat Gambia gegen die Praxis der Genital­ver­stüm­me­lung aufge­lehnt hatte und daraufhin fliehen musste, widmet bis heute ihre ganze Energie diesem Kampf. Während sie das tut, kämpft sie an einer anderen Front gleich­zeitig für die Anerken­nung ihres Asylan­trags, der bereits mehrfach abgelehnt wurde. Bei der Konfe­renz nahm sie ihre Kraft zusammen, um ihren Schwes­tern von ihren Erfah­rungen zu berichten. Der Mut dieser jungen Frau ermutigte mehrere andere Frauen dazu, das erste Mal darüber zu sprechen, dass ihnen dasselbe angetan worden war. Für mehrere Frauen im Saal verbanden sich sehr trauma­ti­sche Erinne­rungen mit dem Thema.

Eine andere Schwester aus Latein­ame­rika brachte den anderen sehr eindrucks­voll die Lage der papier­losen Arbei­te­rinnen nahe ; die massive Arbeits­aus­beu­tung, der sie als Hausan­ge­stellte einer reichen Familie unter­worfen war, und der schwie­rige Prozess, sich aus dieser Ausbeu­tung zu befreien. Geholfen haben ihr dabei andere Frauen mit ähnli­chen Erfah­rungen, die im Netzwerk Respect organi­siert sind. Andere Frauen berich­teten von der Bedro­hung durch die Familie ihres Mannes, von Kindes­ent­füh­rungen, Zwangs­ver­hei­ra­tung, von politi­scher Verfol­gung und sexua­li­sierter Gewalt als Teil politi­scher Repres­sion.

Die Atmosphäre von Gemein­sam­keit, Empathie und Solida­rität erfuhr ihren Ausdruck auch darin, dass viele Redne­rinnen immer wieder sinngemäß sagten : Der Schmerz, den wir Flücht­lings­frauen erfahren, ist derselbe.

Das betrifft nicht allein die Erfah­rungen der Frauen vor und während der Flucht, sondern auch das geteilte Schicksal, in Deutsch­land dazu verdammt zu sein, isoliert im Lager zu leben, ohne Deutsch­kurs, ohne Arbeits­er­laubnis, ohne Rechte und mit dem Gefühl, unerwünscht zu sein.

Mehrere Frauen berich­teten auch von dem grauen­vollen Gefühl, bei der Begrün­dung ihres Asylan­trags im Bundes­amtes nicht gehört und nicht ernst genommen zu werden. So erzählt eine Frau aus Nigeria, die ihre Tochter vor der Genital­ver­stüm­me­lung schützen wollte : „Es hieß, wenn man wegen der Beschnei­dungs­pro­ble­matik einen Asylan­trag stellt, kann man in Deutsch­land Asyl bekommen. Mir wurde erzählt, ich würde Hilfe bekommen, und geriet in die Hölle. Wenn du bei der Anhörung beim BAMF (Bundesamt für Migra­tion und Flücht­linge) deine Geschichte erzählst, schaut dich jemand an und lacht dir ins Gesicht. Ich war jetzt dreimal vor Gericht, und drei Mal wurde ich abgelehnt. Eine Ableh­nung ist nicht so schlimm, aber wenn du über dein Leben erzählst und siehst, die Person, die dir gegen­über sitzt, inter­es­siert deine Geschichte überhaupt nicht – das ist unerträg­lich.“

Zwar soll frauen­spe­zi­fi­sche Verfol­gung in Deutsch­land seit 2005 im asylre­le­vanten Sinne anerkannt werden. In der Praxis werden sie jedoch bis heute oft noch nicht im Sinne einer politi­schen Verfol­gung bewertet, weder vom BAMF, noch von den Gerichten. Der Kampf der Frauen gegen patri­ar­chale Gewalt wird als politi­scher Kampf nur  in wenigen Fällen ernst genommen. Mit der Folge, dass die Frauen kein Asyl und auch keinen Status als  Flücht­ling bekommen, sondern besten­falls einen so genannten Aufent­halt aus humani­tären Gründen. Dieser „subsi­diäre Schutz­status“ beinhaltet zwar auch einen (prekären) Abschie­be­schutz, zieht aber einen deutlich schlech­teren recht­li­chen Status mit sich. Er eröffnet zum Beispiel im Gegen­satz zum Flücht­lings­status keine Möglich­keit einer Famili­en­zu­sam­men­füh­rung.

Eine Frau aus Kamerun bringt auf den Punkt, was genau das für die Frauen bedeutet, die ihre Kinder in der Heimat zurück­lassen mussten :  „Diese Gesetze behan­deln uns nicht nur rassis­tisch, sondern ernied­rigen uns vor unseren Kindern, die wir nicht zu uns holen und denen wir kein Geld schicken können“. Eine Frau aus Pakistan musste ihre achtjäh­rige Tochter bei deren Onkel lassen und lebt jetzt seit sechs Jahren in Deutsch­land. Sie war selbst zwangs­ver­hei­ratet worden und hat jetzt Angst, dass die Tochter auch zwangs­ver­hei­ratet wird, weil sie keine Möglich­keit hat, sie zu sich nach Deutsch­land zu holen : „Das Gesetz zwingt mich zu entscheiden, ob ich zurück­gehe und mein Gesicht mit Säure überschütten lasse, oder ob ich egois­tisch bin und ertrage, dass das Leben meiner Tochter zerstört wird.“

Wie so oft sind auch für die Flücht­lings­frauen ihre Kinder - und vor allem die Töchter - nicht nur  Grund für Sorge, sondern auch die Kraft­quelle, aus der die Frauen ihren Kampfes­willen ziehen.  Nach einem an Emotionen und Tränen reichen ersten Konfe­renztag wurde abends im Park gegessen, gesungen und Halay getanzt, bis die Anspan­nung und der Kummer aus den Körpern und Gesich­tern wich.

Im  Verlauf des ersten Konfe­renz­tages wurde mehr und mehr deutlich, dass es neben den „klassi­schen“ Herrschafts­ver­hält­nissen und Unter­drü­ckungs­formen, die stets benannt werden, wenn es um Flucht und Asyl geht – Kolonia­lismus, Imperia­lismus, Ausbeu­tung von Rohstoffen, Kriege – auch noch das Patri­ar­chat gibt.  Auch, wenn sich diese Herrschafts­form nicht ohne weiteres in die Parole der Karawane „Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört“ einfügen lässt : Das Patri­ar­chat und die gewalt­same Zurich­tung von Frauen­kör­pern im Sinne patri­ar­chaler Werte und Bedürf­nisse ist unbedingt mit zu benennen, wenn man die Flücht­lings­frauen und ihre Geschichten ernst nehmen möchte.

Der letzte Konfe­renztag sollte ausschließ­lich der weiteren Planung und der Konkre­ti­sie­rung von Koope­ra­tion gewidmet werden. Erfreu­lich war, dass mit den Women in Exile, dem Migran­tin­nen­netz­werk Respect und dem Inter­na­tional Women Space aus Berlin bereits organi­sierte Frauenzu­sam­men­hänge Teil der Konfe­renz waren und von ihren Kampa­gnen berich­teten. So reflek­tierte die Konfe­renz die existie­renden, selbst­or­ga­ni­sierten feminis­ti­schen Flücht­lings­frau­en­kämpfe in Deutsch­land recht umfas­send. Dass diese autonomen Struk­turen weiter auf- und ausge­baut und in verschie­denen Bundes­län­dern veran­kert werden müssen, wurde überdeut­lich, als es zu der Frage konkreter Unter­stüt­zungs­mög­lich­keiten kam. Einige Frauen waren sehr verzwei­felt, weil sie und ihre Familien akut von Abschie­bung – meist auf Grund­lage der Dublin-Verord­nung - bedroht sind.

Selbst­ver­ständ­lich kann eine bundes­weite Struktur nicht das leisten oder ersetzen, was an lokaler gegen­sei­tiger Unter­stüt­zung und Organi­sie­rung erst noch aufge­baut werden muss.

So blieb bei vielen auch zum Ende der Konfe­renz hin das Gefühl von Hilflo­sig­keit und Wut, aber auch der große Wunsch, dieses Asyl-System wirklich von Grund auf zu verstehen, um gegen das Unrecht in diesem System besser gewappnet zu sein und angehen zu können. Die zahlrei­chen Proteste und Kampa­gnen, die von einigen Teilneh­me­rinnen der Konfe­renz selbst getragen werden, waren anderen Frauen vor der Konfe­renz noch überhaupt nicht bekannt – genauso wenig, wie die jahre­langen Kämpfe und Kampa­gnen gegen die Residenz­pflicht.

Verein­bart wurde daher, dass die lokalen Frauen­gruppen Workshops organi­sieren, um sich und andere Frauen mit mehr Wissen und  Strate­gien auszu­statten. Die bundes­weite Struktur der Karawane-Frauen­be­we­gung wird versu­chen, dies in den kommenden Monaten möglichst an vielen Orten zu koordi­nieren. Verein­bart wurde auch, etwa im 6-Monats-Rythmus jeweils ein Wochen­ende lang zusammen zu kommen, um sich auszu­tau­schen und fortzu­bilden. Hier steht die Flücht­lings­be­we­gung insge­samt vor der nicht ganz einfach zu lösenden Aufgabe, histo­ri­sches Bewegungs­wissen an Menschen weiter­zu­geben, die zum Teil erst (und evt. auch nur) sehr kurz in Deutsch­land sind.

Als Fazit der 2. Konfe­renz lässt sich mitnehmen : Es gibt sehr viel Kapazi­täten, Bereit­schaft und Power bei den Flücht­lings­frauen. Und : Es ist durchaus möglich, die struk­tu­relle Isola­tion von Frauen zu durch­bre­chen – wenn man sich die Mühe macht und sich darauf einlässt, dass einige Hürden aus dem Weg geräumt werden müssen.

Es gibt zugleich sehr viele Probleme, die für die einzelnen jeweils Vorrang haben und noch ungelöst sind. Die bundes­weite Vernet­zungs­struktur wird bei der Unter­stüt­zung der einzelnen Frauen jedoch höchs­tens unter­stüt­zend tätig werden können ; die Haupt­ar­beit wird lokal und regional statt­finden müssen. Eine bundes­weite Flücht­lings-Frauen­be­we­gung mit einer eigenen Agenda und Kampa­gnen­fä­hig­keit ist etwas, was in den nächsten Jahren erst aufge­baut werden muss, und zwar von einem stabilen Kern von Aktivis­tinnen, die in der Lage sind, den Grund­im­puls der Flücht­lings-Frauen­kon­fe­renz in einem Aufbau­pro­zess von unten zu veran­kern.

Diesen Grund­im­puls formu­lierte eine Freundin in dem wunder­baren Satz : „Die Würde ist das, was uns zusam­men­ge­bracht hat.“

Artikel teilen