Optimismus. Zur Tagung „Repression in der Türkei“.
Am Sonntag, den 25.08. organisierte das so_ko_wpt (soli-komitee wuppertal) gemeinsam mit kurdischen, türkischen und deutschen Freunden und Freundinnen eine ganztägige Tagung zur Repression in der Türkei und zur Kollaboration des deutschen Staates mit dem türkischen Sicherheitsapparat. Ziel der Veranstaltung war die Vertiefung gegenseitigen Verständnisses und die Schaffung einer neuen, vertrauensvollen Basis für zukünftige Zusammenarbeit.
Das Programm der Tagung war anspruchsvoll, die Liste der Referentinnen und Referenten beinahe zu lang. Die einzelnen Panels litten etwas unter der dadurch entstehenden Zeitnot. Die ursprünglich geplante abschließende Runde zur Entwicklung gemeinsamer Perspektiven musste leider sogar ganz entfallen ; und der nach der Tagung im Open Air-Kino gezeigte Film « Typ F », der das menschenverachtende System der nach BRD-Vorbild entstandenen Isolationsknäste der Türkei eindrücklich darstellt, war leider weniger gut besucht als die acht beeindruckenden, von verschiedenen RegisseurInnen gefilmten Kurzgeschichten über politische Gefangene es verdient hätten.
Die vorhergehende Tagung war jedoch erfeulich gut besucht. Den Tag über folgten beständig zwischen 35 und 60 Gäste den Beiträgen und Diskussionen. Deren vorherrschende Tendenz war Optimismus, der vor allem aus den Massenprotesten in der Türkei infolge der verschiedenen Räumungen des Taksim-Platzes und den Tagen des Gezi-Parks genährt wird. Die Zuversicht beschränkte sich dabei jedoch nicht auf die Istanbuler AktivistInnen des Gezi-Parks, die auf ihrer « Platz der Träume»-Tour durch Deutschland einen Zwischenstopp einlegten.
Neue Bündnisse
Auch die organisierte türkische Linke erhofft sich von der erfolgten Politisierung einer zuvor häufig eher als unpolitisch wahrgenommen, sehr jungen Bevölkerung – das Durchschnittsalter der türkischen Bevölkerung liegt unter 30 Jahre – einen neuen Schub. Dies auch im Hinblick auf die Aufmerksamkeit für inhaftierte Genossen und Genossinnen. Der Höhepunkt von deren Kampf gegen die Haftbedingungen der « Typ F»-Gefängnisse ist nun einige Jahre her, und ihr Schicksal war etwas aus dem Fokus der kritischen Öffentlichkeit geraten. Die Verhaftungswellen der letzten Monate, die sich diesmal auch gegen viele « Unorganisierte » richteten, und der gemeinsame Kampf um ihre Freilassung haben das wieder geändert. « Neue Bündnisse » seien entstanden, die sich unter anderem der Aufgabe widmen müssen, genügend Rechtsbeistände zu organisieren, nachdem auch viele linke Anwältinnen und Anwälte der Repressionsmaschine zum Opfer gefallen sind und an der Ausübung ihrer Mandate gehindert werden.
Die türkische Staatsmacht war im Zuge der Verhaftungswellen auf der verzweifelten Suche nach « Anführern » und « Strukturen », so berichteten die AktivistInnen aus dem Gezi-Park. Eine Suche, die aufgrund der Art des Protests und der zumeist spontanen Organisation scheitern musste. Die fast schon routinemäßigen Razzien gegen linke Strukturen und die Verhaftung von dort tätigen Menschen, die im Anschluss an die Demonstrationen in mehreren Nächten in allen größeren Städten der Türkei erfolgten, müssen auch vor diesem Hintergrund gesehen werden : In den Augen des türkischen Staates musste irgendwer den Aufstand schließlich organisiert haben… Fündig wurde er bei den Razzien nicht.
Für diesen Schlag ins Leere revanchiert sich der türkische Staat bis heute. Die meisten Linken, die nach dem 31.05. verhaftet wurden, sind nach wie vor in den Gefängnissen verschwunden, während die meisten der unorganisierten jungen AktivistInnen inzwischen wieder frei sind und jetzt draußen auf ihre Prozesse warten. Bei ihnen begnügte sich die Staatsmacht quasi mit dem Zeigen ihres Repressions-Instrumentariums, in der Hoffnung den Widerstand damit brechen zu können. Eine Hoffnung, die ebenso enttäuscht werden dürfte wie die Suche nach « Rädelsführern » : Die AktivistInnen aus Istanbul prognostizierten schon für den Herbst ein neues Erstarken der Protestbewegung.
Begründet wurde diese Zuversicht von allen Anwesenden mit der Erfahrung des spektrenübergreifenden Widerstands der letzten Wochen und Monate. Euphorisch wurde von den verschiedenen Akteuren der Proteste berichtet, die in ihrer Gesamtheit den Charakter des Aufstands ausmachten. Von der « Recht auf Stadt»-Bewegung über LGBT-AktivistInnen und Feministinnen bis zu GewerkschafterInnen, « antikapitalistischen Muslimen und Muslimas » und « klassischen » linken Organisierten reichte die Opposition gegen die AKP-Regierung in den Tagen des Gezi-Parks. Die starke Repression mit Tonnen an Tränengas und allgegenwärtigen Wasserwerfern, vielen willkürlichen Inhaftierungen und Verboten habe die Bewegung nicht geschwächt, sondern im Gegenteil erst stark gemacht. Darin waren sich die Anwesenden relativ einig.
Und trotz einiger Uneinigkeiten über die historische « Einzigartigkeit » der gemeinschaftlichen Kampferfahrung teilten alle Teilnehmenden auch die Einschätzung, dass durch die Repression des Erdogan-Regimes und die gemeinsame Gegenwehr auch für die Zukunft eine neue Qualität gegenseitiger Unterstützung entstehen könnte. Eine Einschätzung, die auch von teilnehmenden kurdischen Akteuren geteilt wurde. Von der bei ähnlichen Gelegenheiten früher manchmal auftretende « Konkurrenz » um die « schlimmsten » Erfahrungen mit dem türkischen Staat und um die « größten Opfer » im revolutionären Kampf war diesmal nichts zu spüren.
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- Seite 1 : Optimismus. Zur Tagung „Repression in der Türkei“.
- Seite 2 : Kämpfe in der Türkei sind immer Teil internationaler Interessen