Für die aktive Linke ist der 1.Mai eines Jahres immer auch ein Datum, das auch der Selbstvergewisserung dient : Wo stehen wir ? Wieviele sind wir ? Glauben wir an unsere Kraft ? Und wenn ja, wofür soll diese eingesetzt werden ? In Wuppertal läuft am 1.Mai seit drei Jahrzehnten eine der ältesten unangemeldeten autonomen Maidemos durch die Stadt. Fast alles hat es dabei schon gegeben und dennoch ist es jedes Jahr spannend zu sehen, wie es um die politische Gegenwehr in der Stadt steht. Das so_ko_wpt ist da natürlich dabei.
Wie sieht es also aktuell aus mit der Widerborstigkeit ? Hier ist unser Bericht von zwei Tagen « 1MaiWpt », die Überraschungen boten und Hoffnung machten.
Unser Artikel zum Wuppertaler 1.Mai :
Einfach mal ausgetretene Pfade verlassen !
Der autonome 1.Mai in Wuppertal, der seit vier Jahren bereits am 30.April mit einer Vorabend-Nachttanzdemo in der Elberfelder Innenstadt beginnt und mit dem abendlichen Schusterplatzfest auf dem Ölberg endet, bot 2014 ein paar Überraschungen, an denen auch das so_ko_wpt hier und da beteiligt war. Es waren insgesamt schöne Tage. Die in der momentanen Situation wichtigste Botschaft des diesjährigen « 1MaiWpt » : Es lebt !
Die im ersten Jahr noch vom Aktionsbündnis für das Recht auf Stadt, « basta ! », organisierte Nachttanzdemo am Vorabend des ersten Mai stand diesmal unter dem Motto « Wir haben mehr vom Leben als von der Arbeit ! ». In den Jahren zuvor war es u.a. um die Kürzungspolitik der Stadt Wuppertal, um frech gewordene Nazis im Tal und um die Erweiterung einer ECE-Shoppingmall auf einem öffentlichen Platz in der Elberfelder City gegangen.
Mit « Wir haben mehr vom Leben als von der Arbeit ! » sollte diesmal an die Wurzeln selbstbestimmten Kampfes erinnert werden : Das Ziel eines guten Lebens für alle ist mit dem kapitalistischen Ideal eines in allen Bereichen durchkommerzialisierten Daseins und der Zurichtung von Menschen zu Arbeits- und Konsummaschinen einfach nicht vereinbar. Mit dem Aufruf sollte angesprochen werden, dass dreissig Jahre neoliberaler Gehirnfraß auch vor unseren eigenen Köpfen nicht halt gemacht hat und dass wir für den – meistens leider recht widerstandslos hingenommenen – Konkurrenzdruck und für eine über Grenzen gehende Leistungsbereitschaft durchaus auch selbst verantwortlich sind. Die Einladung, sich mit der Vorabend-Nachttanzdemo die Straßen (und für zumindest einen Abend) auch ein Stück des eigenen Leben zurückzuholen, nahmen zu Beginn im Luisenviertel um die 500 Menschen an. Nach einem krassen Regenguss gegen 22 Uhr erreichten noch etwa 200 von ihnen die bis Mitternacht dauernde Kundgebung zum Abschluss am Schauspielhaus. Im Rahmen der Etappendisko, die auf dem Musikkampfwagen von Blockschock- und Du&Ich-DJs grandios beschallt wurde, gab es auf der Route mehrere Wortbeiträge bei einer in diesem Jahr deutlich politischeren Vorabenddemo.
« Niedriglohn und Leiharbeit – dafür haben wir keine Zeit »
Beim Auftakt im Deweerth’schen Garten gabs zunächst einen Überblick der aktuellen politischen « ToDo-Liste ». Angesprochen wurde beispielsweise die Situation der von Duisburg in die Nachbarstaft Ennepetal umgezogenen Romafamilien, die sich dort bereits wieder hetzerischen Zeitungsartikeln und Facebook-Kommentaren ausgesetzt sehen. Es wurde dazu aufgerufen, die Geschichte in Ennepetal weiter zu verfolgen und ggf. von Wuppertal aus zu agieren. In einem anderen Beitrag erfolgte eine klare Distanzierung von den Querfront-Tendenzen am Rande der « Montagsmahnwachen », dazu gab es einen kurzen Ausblick auf die internationalen Lage vor dem 1.Mai. Bereits zu diesem Zeitpunkt mißfiel der polizeilichen Einsatzleitung die Wortwahl bei der Rede, weil die am nächsten Tag in Istanbul eingesetzten 35.000 Cops « Bullen » genannt wurden. Die außergewöhnlich feingeistige Sprach-Sensibilität der Uniformierten hielt dann bis zum Schluss der Demo an.
Die Antifa machte auf die Aktivitäten diverser rechter Gruppen und der Nazis zur bald bevorstehenden Kommunal- und Europawahl aufmerksam und die « Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen » berichtete von der Situation der Geflüchteten, die auch am „Tag der Arbeit” unter einem Arbeitsverbot leiden. Dazu wurde das solidarische Statement der « Lampedusa-Gruppe » zur Hamburger 1.Mai-Demo verlesen. Am Jobcenter Neumarktstraße schilderte ein Redner von Tacheles die Sanktionspraxis des Jobcenters, das in Wuppertal als « Optionskommune » ein rein städtisches Unternehmen ist, und für das nächste Sperrmüllfests auf dem Ölberg (29.Mai) wurde konkrete Hilfe für Drangsalierte angekündigt : Bei einem « Anti-Bewerbungs-Workshop » sollen Wege zu einer erfolglosen Bewerbung aufgezeigt werden.
Die Slogans der Vorabenddemo kreisten vom auch auf dem Fronttransparent der Demo stehenden « Niedriglohn und Leiharbeit – dafür haben wir keine Zeit ! », vor allem um die soeben gestartete Kampagne « Das AZ bleibt an der Gathe ! » des Autonomen Zentrums. Auf den Klassiker « Kein Tag ohne…» konnte sich hin und wieder sogar (fast) die gesamte Demo einigen. Die Vorabenddemo 2014 ging im Ganzen ohne größere Zwischenfälle ab : Nicht alles hat geklappt und die Cops waren speziell bei der Abschlusskundgebung (bei der es zu zwei Personalienfeststellungen wegen « Beleidigung » kam) teilweise provokativ, es überwog aber allseits der Spaßfaktor. Die Demo war eine prima kämpferische Einstimmung auf den nächsten Tag.
Soziale Revolution statt Sozialpartnerschaft !
Wir sind nicht Volk ! Wir sind Klasse !
Der folgende 1.Mai war dann auch um einiges ereignisreicher als in den letzten Jahren. Obwohl manche den Weg nach Dortmund angetreten hatten, um dort Nazis zu blockieren, erschienen einige Demonstranten bereits am frühen Mittag auf dem Laurentiusplatz zur jährlichen Maifeier des DGB. Wir hatten uns vorgenommen, zwischen Bratwurst und Frühschoppen die Rolle der deutschen Einheitsgewerkschaften in der europäischen und weltweiten Krise kritisch zu hinterfragen. (Siehe auch : Wir sind nicht Volk ! Wir sind Klasse ! Unser Text zur DGB Maifeier 2014) Auf dem mitgebrachten Transparent fragten wir die anwesenden GewerkschafterInnen « Which Side are You on ? » und bei der in einer Konzertpause abgehaltenen spontanen Kundgebung erzählten wir von den ziemlich beschissenen Arbeitsbedingungen der BusfahrerInnen beim Stadtwerke-Subunternehmen « Rheingold ». Es wurde klargemacht, dass die häufig für 1.000 Euro netto schuftenden FahrerInnen und diejenigen, die sich vom Hartz IV-Regelsatz nur anderthalb monatliche Busfahrten in die Innenstadt leisten können, im selben Boot sitzen.
Als eine hausgemachte Ursache der unsozialen Entwicklung des Wuppertaler Nahverkehrs wurden falsche Prioritäten der lokalen, von den Gewerkschaften offiziell unterstützten, Politik benannt. So musste für den Prestigeumbau am Döppersberg ein Teil der Energiesparte der Wuppertaler Stadtwerke privatisiert werden, was den existenziell auf Quersubventionen angewiesenen Nahverkehr zunehmend in Bedrängnis bringt. Die Reaktion der meisten der anwesenden GewerkschafterInnen auf unsere Generlabrechnung mit der Funktionselite der DGB-Gewerkschaften war erstaunlich positiv und ermutigte uns, zu einer spontanen kleinen Demonstration durch die Innenstadt zum Busbahnhof in Elberfeld aufzurufen. Ob die kritischen GewerkschafterInnen tatsächlich dazu anmiert werden können, sich in Richtung eines politischen Mandats zu organisieren, und ob beispielsweise eine Bereitschaft zur eingeforderten Solidarität mit den in Köln angeklagten Ford-ArbeiterInnen aus dem belgischen Genk entstehen kann, bleibt trotz des erstaunlichen Zuspruchs natürlich zweifelhaft.
Es machten sich dann auch nicht zuviele mit uns auf den Weg. Doch die kleine Demo, die zum Döppersberg zog, war laut und entschlossen, sodass alle am Feiertag Flanierenden auf der Route erreicht werden konnten. Die am Busbahnhof anwesenden BusfahrerInnen und Fahrgäste wurden über die miese Entlohnung der « Rheingold»-KollegInnen in Kenntnis gesetzt und die Stadtwerke wurden aufgefordert, auch bei den Subunternehmern endlich für anständige Arbeitsbedingungen zu sorgen. Der nicht angemeldete Zug durch die Stadt erfüllte aber auch noch einen weiteren politischen Zweck : Im Vorfeld der meist eng eingeschlossenen autonomen Maidemo am Nachmittag sollte der Beweis angetreten werden, dass wir immer noch zu jeder Zeit und überall demonstrieren können.
Straße frei für den ersten Mai !
Das gleiche Ziel verfolgte eine kleine unangemeldete und schnelle Demo in der Elberfelder Innenstadt am späten Nachmittag. Auch die InitiatorInnen dieser Gruppe wollten durch ihren gemeinsamen Weg zum « offiziellen » Treffpunkt der autonomen Maidemonstration demonstrieren, dass sie nicht mehr gewillt sind, sich auf von der Polizei lange vorgeplante Demorouten zu beschränken. Sie verstanden ihre Aktion als Teil der « Das AZ bleibt an der Gathe!»-Kampagne, die vom Autonomen Zentrum Wuppertal an diesem 1.Mai gestartet wurde. („linksunten indymedia”: Für einen unberechenbaren autonomen 1.Mai in Wuppertal und anderswo)
Nachdem die Gruppe vom alternativen Sammelpunkt am gemeinsamen Treffpunkt eintraf, startete die wie immer unangemeldete « offizielle » Maidemonstration des Autonomen Zentrums. Nachdem sie in den letzten Jahren in ein immer engeres Einsatzkonzept der Polizei gezwängt worden war, raffte sich die Demo in diesem Jahr nach langer Zeit mal wieder dazu auf, die größte Strecke der Route selbstgewählt zu gehen. Befördert wurde das durch Cops, die dieses Jahr nicht wirklich auf Zack waren und die auch mit der Ölberg-Topographie nicht sonderlich vertraut schienen. So hechelten ältere DemoteilnehmerInnen und die begleitenden Einsatzkräfte stetig mal diesen, mal jenen steilen Anstieg im Straßengewirr des Ölbergs hinauf, um talwärts die zuvor vorangesprinteten Jüngeren am Fuß des nächsten Berges wieder einzuholen.
Die etwa 350 Teilnehmenden, die erstmals seit Jahren auf dem Weg wieder durch sich solidarisierendes Publikum verstärkt wurden, hatten viel Spaß an einer wesentlich längeren Route als in den Vorjahren. Die Botschaft, dass das autonome Zentrum lebt und nicht berechenbar bleibt, wurde fast durch die ganze Elberfelder Nordstadt getragen. Passend, dass dabei auch jene Stelle passiert wurde, wo es vor 25 Jahren die Besetzung der « Muno»-Fabrik gegeben hatte – ein entscheidender Baustein beim langen Kampf um ein AZ im Tal. Erst nach knapp zwei Stunden erreichte der autonome 1.Mai das traditionelle Schusterplatzfest im Herzen des Ölbergs. Impulse, das bunte Treiben von hier aus fortzusetzen, scheiterten am Ende an der verbreiteten Erschöpfung. Der Ölberg fordert eben auf allen Seiten seinen Tribut.
Kein Tag ohne autonomes Zentrum !
Das Fazit dieses 1.Mai in Wuppertal ist positiv. Verschiedene Akteure, verschiedene Aktionen, verschiedene Inhalte und verlassene ausgetretene Pfade. Auch wenn 2014 wieder einmal die « soziale Revolution » gefordert aber nicht gemacht wurde, so endete der Tag doch hoffnungsvoll. Beweglichkeit und Unberechenbarkeit sind zu einer Zeit zurückgekehrt, in der manche bereits eine erkaltende Starre eintreten sahen. Was daraus in der (nahen) Zukunft gemacht werden wird, ist offen. Es wird sich spätestens beim nächsten Mal erweisen, wenn die in den Vorjahren augenscheinlich ebenfalls eingeschlummerte Staatsmaschinerie versuchen wird, auf der Höhe zu sein. Doch es sind neue Handlungsoptionen sichtbar geworden, die dafür sorgen, dass dem autonomen 1.Mai auch vor einer dann vielleicht wieder « hellwachen » Polizei nicht bange sein muss.
Ein anderes Ergebnis der zwei Tage « 1MaiWpt » ist ebenfalls erfreulich : Es wurde deutlich, dass das Autonome Zentrum ein unverzichtbarer Bestandteil des politischen und kulturellen Widerstands in Wuppertal ist. Für alle Beteiligten ist es ein notwendiger Bezugspunkt in der Arbeit und Organisation. Das Wohlwollen, mit dem die NachbarInnen des Quartiers der autonomen Maidemonstration begegneten und den Teilnehmenden teilweise zuwinkten oder sich gar der Demo anschlossen, ist für bevorstehende Kämpfe um den Erhalt des Hauses am jetztigen Standort ein wichtiges Pfund – ebenso wie die vielen, die sich am Vorabend des 1.Mai mit dem Inhalt der Vorabenddemo lautstark identifizierten. Das AZ Wuppertal lebt und produziert Überraschungen. Das ist in Zeiten wie diesen doch mal eine gute Botschaft !