Aus Dutertes Phantasma lernen ? Veranstaltungsbericht Teil 2

Wo es kein „Vorwärts“ mehr geben darf, bleibt nur ein „Zurück“

Wo es kein „Vorwärts“ mehr geben darf, bleibt nur ein „Zurück“

Die „alter­na­tiven Reali­täts­be­schrei­bungen” diskursiv zu ignorieren, heißt freilich nicht, die Ursachen ihrer zuneh­menden Akzep­tanz auszu­blenden. Es ist notwendig, sich mit den Gründen für den Erfolg hallu­zi­nierter „Parallel-Reali­täten“ zu beschäf­tigen. Das passiert scheinbar auf allen Kanälen und in jeder zweiten Talkshow. Doch die angegrif­fenen Gesell­schaften offen­baren bei den Debatten um die Gründe für den Erfolg der von ihnen so genannten „Populisten” einen blinden Fleck, der sie im Zweifel die inhalt­liche Diskus­sion einer analy­ti­schen vorziehen lässt. An zu vielen Stellen befinden sie sich selbst in Erklä­rungsnot – ein Großteil des Bestehenden basiert seiner­seits auf nicht-fakti­schen, „alter­na­tiv­losen” Reali­täts­be­schrei­bungen. Während es der so genannten „Elite“ der Philli­pinen nie gelang, weit verbrei­tete große Armut als Folge von Korrup­tion und herrschenden neoli­be­ralen Verhält­nissen wahrzu­nehmen, haben die europäi­schen Gesell­schaften ihre blinden Flecken, wenn es beispiels­weise um eigene Verant­wort­lich­keiten für weltweite Flucht­ur­sa­chen geht und konkret hilfreiche Gegen­maß­nahmen einzu­leiten ; also Waffen­handel zu stoppen oder wirklich wirtschaft­lich fair zu handeln. Die Verla­ge­rung der Probleme von den Flucht­ur­sa­chen auf die Flüch­tenden bietet sich so zwangs­läufig an. Anfäl­lig­keit für einfache Reali­täts­kon­struk­tionen kann auch eine Flucht vor dem Anerkenntnis eigener Verant­wor­tung sein. Dass Mittel­schichten angesichts fehlenden Problem­be­wusst­seins und fehlender wirkli­cher Lösungs­an­sätze in beson­derem Maß für einfache Reali­täts­be­schrei­bungen anfällig sind, ist demnach weniger einer immer wieder von Politik und Medien angeführten „Angst vor einem Absturz“ geschuldet, sondern vielmehr Ausdruck eines nicht einge­stan­denen Wissens um eigene Verant­wort­lich­keit und der eigenen Unfähig­keit, daraus Konse­quenzen zu ziehen. Die Mär von der „Absturz­angst” perpetu­iert vielmehr die eigene alter­na­tiv­lose Erzäh­lung neoli­be­raler Gesell­schaften : Für ihre Politik und Medien ist es einfa­cher zu behaupten, Menschen hätten Angst vor einem gesell­schaft­li­chen Abstieg als real vorhan­dene Ängste vor notwen­digen Verän­de­rungen anzuspre­chen. Ohne eine Thema­ti­sie­rung der Ursachen tatsäch­lich bestehender Probleme können die attakierten bürger­li­chen Schichten für uns  jedoch keine Hilfe im Kampf gegen eine „Politik in der Rechts­kurve“ sein.

Und noch etwas bleibt oft ausge­blendet : Die Rückkehr des Natio­nalen und der einfa­chen Wirklich­keits­be­schrei­bungen sind auch Ausdruck zuvor geschei­terter Aufbrüche und geschei­terter Alter­na­tiven. Selten wird bei der Erfor­schung von Ursachen aktueller Entwick­lungen auf das geschaut, was vor einer Genera­tion die heute handelnden Personen (mit-) geprägt hat. Es ist sicher kein Zufall, dass die Wieder­kehr offen autori­täter Politik in den Philli­pinen möglich war, nachdem eine Genera­tion das Schei­tern der mit dem Sturz von Ferdi­nand Marcos vor gut dreissig Jahren verbun­denen Hoffnungen ihrer Eltern erlebte, oder dass es auch in den osteu­ro­päi­schen Ländern wie Polen, Rumänien oder der Slowakei eine „Nach-Aufstands-Genera­tion“ ist, die sich natio­na­lis­ti­schen und einfa­chen Denkmus­tern zuwendet. Auch das Schei­tern vieler, mit großen Hoffnungen verbun­dener Aufbrüche ist mit dem Beharren herrschender Gesell­schafts­schichten auf das Bestehende eng verbunden. Vielfach haben sie schnell direkte und indirekte Wege gefunden, ihre Macht zu erhalten und aus vorgeb­li­chen Befrei­ungen und Umgestal­tungen ledig­lich eine Neuauf­lage des Alten zu machen. Zu viele, einer Zukunft zugewandte Versuche wurden schlei­chend wirtschaft­lich oder ganz brutal mit Tränengas und Gummi­ge­schossen auf der Straße beendet. Die Anfäl­lig­keit für in der Vergan­gen­heit angesie­delte Verspre­chen darf vor diesem Hinter­grund nicht überra­schen. Wenn diese Hypothese zutref­fend ist, lässt sie angesichts der fortge­setzten Reihe geschei­terter und verra­tener Revolten in den letzten Jahren (etwa im so genannten „arabi­schen Frühling“) Böses erahnen. Eine fundierte linke und kriti­sche Ausein­an­der­set­zung mit den geschei­terten Aufbrü­chen ist deshalb überfällig. Die derzeit dring­lichste Frage bleibt jedoch, wie die Durch­set­zung rechter Wirklich­keits­be­schrei­bungen durch­kreuzt werden kann und wann es für einen Kampf um vermeint­liche Mehrheiten zu spät sein könnte. Wenn die bürger­li­chen Mitte im zuvor geschil­derten Sinn „neutra­li­siert” ist, kann es nicht mehr um Mehrheiten gehen. Es geht dann um kriti­sche Massen. Angesichts der Hochge­schwin­dig­keit, mit der Autokraten dem Ausbau und Erhalt ihrer Macht dienende Maßnahmen durch­setzen, besteht die Gefahr, den Zeit für Strate­gie­wechsel zu verpassen : Sowohl die Philli­pinen als auch beispiels­weise die Türkei sind in sehr kurzer Zeit von Ländern mit ´hohem Wider­stand­po­ten­tial zu in weiten Teilen paraly­sierten Gesell­schaften geworden. Auf dem Weg dahin wurden jeweils mehrere Linien überschritten, von denen kurz zuvor noch angenommen wurde, dass ihr Überschreiten entschlos­senen Wider­stand auslösen würde.

Inzwi­schen ist in beiden Ländern eine „Exit“-Perspektive jenseits katastro­phaler wirtschaft­li­cher oder gewalt­samer Entwick­lungen kaum noch denkbar. Doch wann erreicht eine einmal von rechts etablierte Wirklich­keits­ver­zer­rung den „point of no return“ jenseits zivil­ge­sell­schaft­li­cher Korrek­tur­mög­lich­keiten ? Reicht ein Wahlsieg aus, oder müssen erst Maßnahmen wie Massen­tö­tungen in den Philli­pinen oder Massen­ver­haf­tungen wie in der Türkei begonnen haben ? Welche konkreten Schritte sind es, die  rechte Herrschaft so absichert, dass eine Opposi­tion sich und ihre Aktivi­täten neu definieren muss ? Sicher ist, dass der Prozess ein schlei­chender ist und dass es vor Errei­chen des „point of no return“ kein lautes „Alerta!” geben wird. Die Beispiele von erfolg­reich umgesetzten rechten Strate­gien können unsere Wahrneh­mung schärfen. Unsere Veran­stal­tungs­reihe wird fortge­setzt.

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