Ein Beitrag zu „Eulen nach Athen tragen”.
Judith Welkmann schreibt über kategorische Urteile, linksradikalen Purismus, über die Macht der Parlamente und Kabinettstische, unsere Ohnmacht und die Gefahr des Scheiterns von Syriza. Ein Plädoyer gegen Defätismus.
Das Syriza-Dilemma, oder : Wie hältst du´s mit dem Staat
von Judith Welkmann
Was mich im Vorfeld des Wahlsiegs von Syriza schon genervt hat und was mir inzwischen fast albern vorkommt, ist das gebetsmühlenartig von radikalen Linken wiedergekäute Credo von der Unmöglichkeit, den Weg zur Revolution über die Parteien und Parlamente zu nehmen. Vor allem in Beiträgen aus Deutschland darf dabei der notorische Verweis auf das rot-grüne Fiasko (für die Jüngeren : es währte von 1998 bis 2005 und hat u.a. die Agenda 2010 zu verantworten) nicht fehlen.
In der A&K und im Lower Class Magazine schlaumeiern Mallory und Miranda : „Die Leichtigkeit, mit der derzeit die Parteipolitik als Abkürzung zur Revolution präsentiert wird, überrascht uns. Sprechen doch alle historischen Erfahrungen und alles, was kritische Theorie über den Staat zu sagen hat, dagegen. (…) Der Glaube, dass durch Parteienpolitik der Staat verändert werden könnte, verweist auf ein falsches Verständnis von Staat.“
Was mich daran nervt, ist nicht, dass die Analyse so verkehrt wäre, sondern dass permanent oberlehrerhafte Einwände gemacht werden gegen etwas, das hier gar nicht zur Debatte steht. Niemand behauptet, dass in Griechenland nun eine soziale Revolution anstehen würde. Und dass emanzipatorische gesellschaftliche Veränderung nicht in Parlamenten und Kabinettsrunden geschaffen werden, ist eine Binse, die jedeR radikale Linke unterschreibt.
Die Macht der Kabinettstische
In Griechenland geht es aber mal gar nicht um eine soziale Revolution. Es geht um die Frage nach Fortsetzung oder Bruch mit der neoliberalen Verelendungspolitik – und um die nicht wegzudiskutierende Tatsache, dass durchaus mit Kabinettsrunden- und Parlamentsentscheidungen jegliche Abkehr von neoliberaler Politik, jegliches gesellschaftlich-emanzipatorische Projekt von vorne herein unmöglich gemacht wird.
Genau das ist es, was zur Zeit in den Parlamenten und an Kabinettstischen getan wird, allerdings nicht in Athen, sondern in Berlin und Brüssel. Die Veränderung durch den Wahlsieg von Syriza ist schlicht, dass dieses Programm neoliberaler Alternativlosigkeit in Athen nicht mehr unwidersprochen umgesetzt wird. So wenig das ist ; im Vergleich zur Vorgängerregierung ist es ein hoffnungsvoller Moment.
Es bringt uns nicht weiter, weder analytisch noch praktisch, wenn wir die Bedeutung staatlicher Institutionen, Parteien und Parlamente entgegen aller Evidenz kleinreden, nur weil sie nicht unser ureigenstes Terrain sind (und ihre Akteure oft unsere Widersacher). Diese Institutionen sind wirkungsmächtig, einfach aus dem Grund, weil dort über Gesetze, Erlasse und politische Weichenstellungen verhandelt und entschieden wird. Und diese Entscheidungen bestimmen Realitäten und Lebenschancen von Menschen, z.B. darüber, wer Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung hat, wer wann wohin migrieren darf oder auch nicht, ob AKW-Laufzeiten verlängert, ob die Steuern oder Sozialleistungen gesenkt, ob der Individualverkehr gefördert wird, ob MieterInnen aus ihren Wohnungen geschmissen werden und und und.… ob uns das nun passt oder nicht.
In wie weit in Griechenland die Syriza-Regierung überhaupt über einen realen Handlungsspielraum verfügt, zeigt sich in diesen Tagen. Falls die Fronten verhärtet bleiben und Schäuble, Merkel, Oettinger und die EU-Gruppe stur auf einer Eins-zu-Eins-Umsetzung der „Reformanstrengungen“ und der Austeritätspolitik der Troika (die dann anders heißen wird), bestehen : Was wird Syriza dann tun ?
Was kann Syriza tun ?
Viele Szenarien sind denkbar. Wird die Regierung einknicken und versuchen, der griechischen Bevölkerung kleine Zugeständnisse als Erfolg zu verkaufen, und zugleich die bekanntermaßen tödlichen Troika-Reformen (ein Viertel der Bevölkerung hat schon jetzt keine Gesundheitsversicherung mehr) fortsetzen ? Wird sie zurücktreten, unter Verweis auf nicht erfüllbare Wahlversprechen ? Wird sie, wenn die EZB endgültig den Geldhahn zudreht und der griechische Staat sich nicht mehr refinanzieren kann, den „Grexit“ wählen und/oder eine Komplementärwährung einführen, um die Geldzirkulation innerhalb Griechenlands sicherzustellen ? Wird Griechenland sich ganz aus der Eurozone verabschieden, mit allen weiteren Verwerfungen, die das zunächst mit sich brächte, und sich von Russland oder China finanzieren lassen ? Klar ist bis jetzt nur : Teile der Bundesregierung jedenfalls spielen diesmal auf Grexit
Klar ist aber auch, dass ein Scheitern Syrizas in Griechenland zu einem Maß an politischer Resignation und Verzweiflung führen würde, das die Türen für rechte Bewegungen und nationalistische Krisen-Erzählungen weit aufreißt. Und das wahrscheinlich nicht nur in Griechenland. Klar ist aber ebenso, dass Griechenlands Regierung ungefähr so viel Spielraum hat wie die Highly Indepted Poor Countries des globalen Südens in ihren Verhandlungen über Strukturanpassungsmaßnahmen mit dem IWF. Verschuldung ist schon immer ein probaten Mittel gewesen, in die Wirtschafts- und Finanz- und Sozialpolitik anderer hineinzuregieren ; das hat der Schäuble nicht erfunden. Nach der Devise „Friss oder stirb!“ wurden und werden Strukturanpassungsmaßnahmen durch- und umgesetzt, und es wäre albern, dafür allein die Regierungen von Bolivien oder Mosambik oder dem Tschad verantwortlich machen zu wollen. Die Bretton Woods-Institutionen waren und sind die finanzpolitischen Exekutive staatlicher Herrschaft, ebenso wie die Institutionen der Troika (der neben RepräsentantInnen von EZB und EU-Kommission ja ebenfalls VertreterInnen des IWF angehören).
Wenn also das Syriza-Projekt scheitern sollte, wenn die neue Regierung ihre Wahlversprechen hinsichtlich eines echten Kurswechsels schuldig bleiben sollte, dann braucht die radikale Linke – vor allem in Deutschland, dem Land der Profiteure und Dirigent der Krisenpolitik – nicht zu feixen. Bei manchen Debattenbeiträgen gewinne ich den Eindruck, die AutorInnen wünschen sich geradezu das Scheitern von Syriza, für eine erneute Illustrierung ihres Dogmas der Vergeblichkeit parteipolitischer Anstrengungen.
Die Linke darf Parlamente nicht ausblenden
Die Linke in Deutschland sollte eher in sich gehen und sich überlegen, welche Schritte zu tun sind, um das herrschende Krisenregime und seine Exekutoren in den Zentren der Macht – vor allem in Deutschland – auf mittlere Sicht zu schwächen und ihnen das Handwerk zu legen. Damit nicht auf Dauer jedes linke emanzipatorische Projekt von Anfang an unmöglich wird ; damit sich auf mittlere Sicht Spielräume für eine bessere, sozial gerechtere Organisation von Gesellschaft, von Produktion und Leben öffnen. Das wird aber nicht (allein) mit Massenmobilisierungen wie bei Blockupy möglich sein, und auch nicht mit dem Propagieren oder gar dem Aufbauen von selbstverwalteten Betrieben oder von Nachbarschaftsversammlungen.
Das geht nur, wenn es auch innerhalb der Herrschaftsapparate Widersacher, Widerstand und Widerspruch gibt. Die Macht-Abstinenz der radikalen Linken mag eine logische Konsequenz ihrer Herrschaftskritik sein und vielleicht auch Ausdruck eines gesunden Misstrauens sich selbst und den derzeitigen eigenen Fähigkeiten gegenüber. Sie ist aber auch ein Ausdruck von Schwäche, von extrem-schlecht-aufgestellt-Sein, davon dass wir uns selten die Mühe machen wirklich konkret zu werden bzgl. dessen, was genau wie anders werden müsste, weil wir stattdessen lieber von dem so-ganz-anderen träumen, dass aber von dem (von uns nicht gewählten) Gegebenen aus nicht ad hoc zu erreichen sein wird.
Wenn es stimmt, wie Nicos Poulantzas sagt, dass der Staat die Verdichtung der Kräfteverhältnisse einer Gesellschaft ist – dann kann ich dieses Theorem auch so lesen, dass in einer Gesellschaft, in der die Kräftekorrelation sich verändert, auch „der Staat“ sich verändern wird. Und sich verändern kann. Es bleibt selbstverständlich das Primat der gesellschaftlichen Veränderung „von unten“. Dieses Primat schmälert aber nicht die Bedeutung der ‚Hauptquartiere der Macht´.
Deshalb müssen wir jetzt ja nicht alle in die Parlamente stürmen. Und erst recht entbindet das die Linke nicht von der Erfordernis, den Austausch und das Bündnis mit den Entrechteten und Prekären zu suchen und vor allem viel mehr Energie als bislang darein zu investieren, alternative soziale Praxen zu lernen und voranzutreiben.
Aber vielleicht ist es, gerade weil wir in Krisenzeiten stecken, auch Zeit, den linksradikalen Puritanismus in uns überwinden und mal zur Kenntnis nehmen, dass Parlamente, Parteien und Regierungen ein Terrain sind, das zu wirk(lichkeits)mächtig ist, um es komplett dem politischen Gegner zu überlassen. Und dass es gut und vernünftig ist, wenn aufrechte Linke sich in (auch) in diesen Niederungen bewegen. Man sollte sie dafür von den luftigen Höhen der sozialen Bewegungen aus nicht noch mit Dreck beschmeißen.