Veranstaltungsbericht : Alle wissen über Afghanistan Bescheid

Bericht zur Veran­stal­tung am 30. März in der CityKirche Wuppertal-Elber­feld

Artikel übernommen von w2wtal

Alle wissen über die Lage in Afgha­ni­stan Bescheid. Das Land ist nicht sicher, aber das ist nicht die Schuld der afgha­ni­schen Bevöl­ke­rung. Verant­wort­lich sind die Politiker und die Geschichte dieses Landes. Niemand flieht ohne Grund aus seinem Land. Fragen Sie die europäi­schen und deutschen Politiker, die das Rücküber­nah­me­ab­kommen mit Afgha­ni­stan verhan­delt haben, ob sie mit ihren Familien in Afgha­ni­stan leben wollen würden. Ich bin mir sicher, dass würden sie nicht.“ Diese Worte eines jungen afgha­ni­schen Anwalts führten zu Applaus im Publikum, vor allem unter den zahlrei­chen afgha­ni­schen Gästen, die sich in der Elber­felder CityKirche zusam­men­ge­funden hatten, um mit Politi­ke­rInnen und Exper­tInnen über die Abschie­bungen zu disku­tieren. Und sie erzeugten zugleich eine gewisse Irrita­tion und Unruhe in den Gesich­tern der Landtags­kan­di­daten von FDP und CDU, die die Abschie­bungen nach Afgha­ni­stan „zumin­dest nach einge­hender Einzel­fall­prü­fung“ für „Gefährder, Straf­täter und allein­ste­hende Männer“ für durchaus richtig hielten.

Rappel­voll war der Kirchen­saal, die Zeit für die Diskus­sion viel zu kurz. Zumal auf zwei Sprachen – Deutsch und Dari – disku­tiert wurde. Trotzdem gelang es den afgha­ni­schen Flücht­lingen und den Fachleuten in der kurzen Zeit sehr kompri­miert und anschau­lich Infor­ma­tionen zu Afgha­ni­stan und zur Lage der hier lebenden afgha­ni­schen Geflüch­teten zu bündeln und zu trans­por­tieren. So dass sogar besagte Politiker am Ende zugaben, einiges Neues erfahren zu haben, womit sie sich zunächst einmal befassen müssten. Der Afgha­ni­stan-Experte Tilman Schmalz­ried von Amnesty Inter­na­tional startete den Abend mit einem bebil­derten Parforce-Ritt durch die afgha­ni­sche Kriegs­ge­schichte : Den – von den NATO-Staaten geför­derten – Aufstieg der Warlords und die inzwi­schen etablierten Gewalt­märkte, die eine baldige Lösung des mittler­weile 40-jährigen Kriegs unwahr­schein­lich machen. Zu viele mächtige Männer profi­tieren von Waffen- und Drogen­handel, zu viele bewaff­nete Akteure – ob Privat­mi­lizen, bewaff­nete Banden, Taliban, IS oder reguläre Regie­rungs­truppen – bekämpfen einander. Die mächtigsten Männer Afgha­ni­stans seien selbst Kriegs­ver­bre­cher oder Mentoren von Al-Kaida, was die europäi­schen Staaten aller­dings nicht davon abhielte, sie als Partner zu behan­deln.

Kurz und knapp umriss Schmalz­ried das Problem der Binnen­flucht in Afgha­ni­stan : Neben den ins Ausland geflüch­teten mindes­tens 2,6 Millionen Flücht­lingen lebten 2016 auch inner­halb Afgha­ni­stans ca. 1,5 Millionen Binnen­flücht­linge – mit steigender Tendenz. Es gebe keine Infra­struktur für diese Leute ; im Winter würden Menschen aufgrund der nicht vorhan­denen oder unzurei­chenden Behau­sung erfrieren ; Kinder müssten kilome­ter­weit laufen, um Trink­wasser heran­zu­schaffen. Die gefähr­li­chen und unwür­digen wirtschaft­lich-sozialen Lebens­be­din­gungen, die auch viele Kinder außer Landes trieben, würden jedoch in einem Asylver­fahren keinerlei Berück­sich­ti­gung finden. Die anwesenden Politiker von FDP und CDU bewiesen mit ihren teils reich­lich wirren Äußerungen, dass sie weder von inter­na­tio­nalem Flücht­lings­recht, noch von deutscher Asylpraxis noch von Afgha­ni­stan viel verstanden hatten. Herr Spiecker von der CDU schlug beispiels­weise vor, auf die Asylver­fahren künftig zu verzichten und lieber Einzel­fall­prü­fungen durch­zu­führen. Abgesehen davon, dass Herr Spiecker (glück­li­cher­weise) nicht in der Position ist, inter­na­tio­nales Flücht­lings­recht einfach außer Kraft zu setzen, ist das in etwa so hirnrissig wie zu sagen : Obst ist als Nahrungs­mittel überbe­wertet ; lasst uns künftig besser nur noch Äpfel essen !

Den Vogel des Abends jedoch schoss Oliver Walgen­bach von der FDP ab : Er meinte ernst­haft, den anwesenden afgha­ni­schen Flücht­lingen erklären zu müssen, dass er selbst, wenn sein Land von Terror und Krieg heimge­sucht würde, selbst­ver­ständ­lich dort bleiben und nach Lösungen suchen würde – denn er sei ein lösungs­ori­en­tierter Mensch und würde gern in Freiheit leben, deshalb müsse man darum kämpfen. Einige im Saal waren hin- und herge­rissen, ob sie nun aufgrund der ignoranten Selbst­herr­lich­keit eines verwöhnten Wohlstands­kindes lachen oder wütend werden sollten, angesichts der Respekt­lo­sig­keit gegen­über dieje­nigen, die im Saal waren und einige Risiken, Verluste und Gefahren überlebt haben, bevor sie sich zur Flucht entschieden. Herr Ghorbani von Nedaje Afghan (einer Selbst­or­ga­ni­sa­tion afgha­ni­scher Flücht­linge) nahm diese Politiker-Äußerungen zum Anlass, eine Einla­dung in seine Heimat­stadt Masar-i-Sharif auszu­spre­chen, wo, wie ai-Experte Schmalz­ried ausführte, zwar Ruhe herrsche, aber eine Fried­hofs­ruhe, weil der lokale Macht­haber und Warlord jegliche Opposi­tion und Kritik an seiner Herrschaft mit brutalen Methoden unter­drücke. Jeder dort sei bewaffnet, ergänzte Herr Ghorbani, und jeder Zivilist, der sich dem Regime nicht füge, werde entweder durch private Milizen oder durch die Regie­rungs­truppen bedroht.

Die junge Afghanin Masumeh, die mit ihrer Familie vor einigen Wochen den Ableh­nungs­be­scheid bekam, ergänzte diese Einschät­zung mit einem kurzen Bericht über die Lage der Frauen in Afgha­ni­stan, das, wie sie sagt, schon seit 40 Jahren einer der gefähr­lichsten Orte der Welt sei. Die meisten Toten seien Frauen und Kinder. Sie wolle nichts als Sicher­heit für sich und ihre Familie, denn „Sicher­heit ist ein Recht und kein Privileg“. Maria Shakura, Beraterin der Diakonie, brachte in wenigen Worten auf den Punkt, wie wenig solche Bedro­hungen bei den Asylent­schei­dungen durch das BAMF eine Rolle spielen. Anschau­lich demon­tierte sie den Mythos, dass nur von Abschie­bung bedroht sei, wer keine indivi­du­elle Gefahr zu fürchten habe. Sie trug beispiel­haft einzelne Ableh­nungs­ent­schei­dungen samt Begrün­dung vor, wie sie sie täglich in der Beratung zu Gesicht bekommt und die das Schicksal ihrer Klienten verhöhnen : Von dem Jugend­li­chen, der persön­lich ja nicht betroffen gewesen sei, weil nur der Kopf seines von den Taliban entführten Freundes und Nachbarn an die Familie geschickt worden war. Oder den Ableh­nungs­be­scheid einer älteren Frau, die keine Familie in Afgha­ni­stan mehr hatte, für die das BAMF aber keine Abschie­be­hin­der­nisse feststellen konnte, weil sie ja dort als Lehrerin arbeiten könne. Wer sich auch nur oberfläch­lich mit der Lage der Frauen in Afgha­ni­stan befasst hat, begreift den Irrsinn dieser Behaup­tung. Maria Shakura schloss mit dem Appell : Wenn das BAMF endlich davon Abstand nähme, Entschei­dungen im Schnell­ver­fahren zu treffen und zu recht­staat­li­chen Verfahren zurück­kehrte, wäre manche Debatte nicht nötig. An die afgha­ni­sche Commu­nity appel­lierte sie : Euer Recht wird euch nicht gegeben, wenn ihr es euch nicht nehmt !

Was auch die Flücht­lings­be­ra­terin nicht ohne weiteres auflösen konnte : Die vorherr­schende Verwir­rung über den Unter­schied zwischen Asylrecht und dem nachge­ord­neten mögli­chen Bleibe­recht aufgrund von „Integra­ti­ons­leis­tungen“. So schwa­dro­nierten die Politiker von CDU und FDP herzlich ahnungslos von einem „Bleibe­rechts­an­spruch für gut Integrierte und für Familien“. Dass es den Anspruch voraus­set­zungslos so nicht gibt, weil Menschen durchaus abgeschoben werden, auch wenn sie jahre­lang hier gearbeitet, eine Ausbil­dung gemacht oder eine Familie gegründet haben, ist das eine. Das andere ist, dass die Entschei­dung über den Schutz­be­darf durch das BAMF völlig unabhängig von den bishe­rigen „Integra­ti­ons­leis­tungen“ getroffen wird. Was im Sinne des Flücht­lings­rechts auch vollkommen richtig ist, was aber auch manche „Flücht­lings­helfer“ nur schwer einsehen wollen. Erfreu­lich war, dass die Vertreter der Linken und der Piraten, Daniel Schwerdt und Olaf Wegner, den Diskurs der legitimen Abschie­bung von „Straf­tä­tern, Gefähr­dern und allein­ste­henden Männern“ (was inzwi­schen schon alles gleich schlimm zu sein scheint ; die Männer gehen gezielt hinter dem Monster der Gefährder unter), klar zurück­wiesen. Die Vertre­terin der Grünen, Verena Schäffer, versprach, sich weiter für eine Neube­wer­tung der Sicher­heits­lage in Afgha­ni­stan auf Bundes­ebene einzu­setzen.

Dabei ist eigent­lich längst klar, dass es bei der Entschei­dung, die Afgha­ni­stan-Abschie­bungen wieder verstärkt aufzu­nehmen, keines­wegs um die Sicher­heits­lage ging – die hat sich in den letzten Jahren eindeutig eher verschlech­tert. Statt­dessen geht es, wie Birgit Naujoks vom Flücht­lingsrat ausführte, darum, eine große Flücht­lings­gruppe auszu­su­chen (an Syrer traut man sich bislang noch nicht ran), die man nach den relativ hohen Asylzahlen von 2015 und den hohen Schutz­quoten vermeint­lich loswerden konnte. Ergo gingen die Schutz­quoten für Afghanen graduell nach unten, sie fiel von 78% in 2015 auf nur noch 58% in 2016, bei weiter sinkender Tendenz. Es ist eine politi­sche Entschei­dung und keine, die auf einer neuen Lagebe­ur­tei­lung fußt. Diese politi­sche Entschei­dung soll Angst produ­zieren, die Bereit­schaft zur „freiwil­ligen Rückkehr“ verstärken, (die oftmals alles andere als freiwillig ist), und ein Signal an dieje­nigen in Afgha­ni­stan aussenden, die überlegen das Land zu verlassen. Leidtra­gende wie Adres­saten dieser hochsym­bo­li­schen Politik sind afgha­ni­sche Geflüch­tete, die jetzt in Furcht leben – und natür­lich die bisher relativ wenigen Menschen, die seit der Wieder­auf­nahme der Sammel­ab­schie­bungen im Dezember 2016 in Kabul ausge­setzt wurden.

Unter dem Strich war die Veran­stal­tung ein Erfolg und eine Ermuti­gung für die afgha­ni­schen Menschen und die Abschie­bungs­geg­ne­rInnen. Zum einen aufgrund des hohen Inter­esses. Aber auch aufgrund der guten Inputs und den sicht­li­chen Irrita­tionen, die diese selbst bei einem CDUler hinter­lassen hat, der sich klar zur Linie des Innen­mi­nis­te­riums de Maiziéres bekennt. Dass er die ausge­spro­chene Einla­dung nach Masar-i-Sharif annehmen wird, dürfte ausge­schlossen sein. Dass er aber die Flücht­lings­be­ra­tung der Diakonie aufsucht und sich dort selbst ein Bild von den derzeit komplett desas­trösen Asylent­schei­dungen macht, liegt zumin­dest im Bereich des Mögli­chen. Und noch etwas hat der Abend gezeigt : Die Abschie­bungen nach Afgha­ni­stan sind weiterhin umstritten.

Die Politik der stillen Massen­ab­schie­bungen, wie sie in Hinblick auf die Balkan-Flücht­linge seit Monaten mehr oder weniger unbemerkt „vollzogen“ werden, wird sich auf die afgha­ni­sche Commu­nity nicht einfach übertragen lassen. Zumin­dest nicht, solange die afgha­ni­sche Commu­nity sich organi­siert und an Veran­stal­tungen wie dieser betei­ligt.

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Menschen aus Idomeni nach Wuppertal holen !

Die Initia­tive neu in Wuppertal angekom­mener und bereits seit einiger Zeit in der Stadt lebender Menschen, w2wtal (welcome2wuppertal), will mit einem Offenen Brief an den Oberbür­ger­meister der Stadt Wuppertal und an die im Wupper­taler Stadtrat vertre­tenen Parteien im Diskurs um flüch­tende Menschen und geschlos­sene Grenzen die Offen­sive zurück­ge­winnen. Angesichts der Situa­tion im Camp an der griechisch-mazedo­ni­schen Grenze in Idomeni und in Griechen­land soll ein neuer Anlauf genommen weren, in die mittler­weile von Rassisten und Rechten beherrschte öffent­liche Debatte einzu­greifen. Dazu wird der Stadtrat aufge­for­dert, sich dazu bereit zu erklären, „ein angemes­senes Kontin­gent Geflüch­teter aus Idomeni in Wuppertal aufzu­nehmen.”

Dafür will w2wtal dort ansetzen, wo nach Ansicht der Gruppe noch am ehesten disku­tiert werden kann : Im eigenen lokalen Umfeld, wo die Absur­dität der geschlos­senen Grenzen für jede/n sichtbar wird. Zumin­dest in einigen Städten (z.B. eben in Wuppertal) sind im vorigen Jahr geschaf­fene Kapazi­täten zur Aufnahme geflüch­teter Menschen inzwi­schen weitge­hend ungenutzt, manche der noch vor kurzem einge­stellten Sozialarbeiter*innen und Berater*innen beginnen bereits, um ihre Jobs zu fürchten. Außerdem erleben viele im alltäg­li­chen Kontakt, dass einige der im letzten Jahr neu gewonnen Freund*innen verzwei­felt darauf warten, dass ihre in Griechen­land festsit­zenden Familien endlich nachkommen können.

Hinter der Initia­tive sich an die lokalen Enstschei­dungs­träger zu wenden, steht die Hoffnung, dass viele Kommunen in Deutsch­land dem Beispiel der spani­schen Regionen Barce­lona und Valencia folgen könnten, die unlängst angeboten haben, Geflüch­tete aus Griechen­land aufzu­nehmen. Käme es dazu, wäre zumin­dest eine Debatte um den Umgang mit den Menschen in Idomeni wieder eröffnet. Ob sich die Regie­rungen in den Ländern und dem Bund davon beein­dru­cken ließen, stünde sicher auf einem anderen Blatt, auch wenn sich w2wtal überzeugt gibt, dass sie sich einer breit aufge­stellten Forde­rung, Menschen aus Idomeni oder anderen griechi­schen Lagern in der jewei­ligen Stadt oder dem jewei­ligen Landkreis aufzu­nehmen, nicht entziehen könnten. Es geht w2wtal darum, die derzei­tige Zufrie­den­heit mit einer mehr oder weniger auf Null reduzierten Aufnahme Flüch­tender zu durch­bre­chen.

Für den Offenen Brief an die Vertreter*innen der Stadt Wuppertal, mit dem w2wtal den ersten Stein ins Wasser werfen will, wäre es zumin­dest sehr hilfreich, wenn möglichst viele Gruppen, Verbände, Parteien, Initia­tiven und Einzel­per­so­nenden Brief mitzeichnen würden. Wer das tun will, kann w2wtal einfach eine E-mail schreiben : mitzeichnen [at] w2wtal​.org

Wir dokumen­tieren hier den Offenen Brief :

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Flücht­linge aus Idomeni aufnehmen !

Offener Brief von w2wtal an den Oberbür­ger­meister der Stadt Wuppertal und an die im Wupper­taler Stadtrat vertre­tenen Parteien.

Als alte und neue Bürge­rInnen von Wuppertal fordern wir den Stadtrat auf, zu beschließen, dass Wuppertal sich bereit erklärt, ein angemes­senes Kontin­gent von Flücht­lingen aus Griechen­land aufzu­nehmen.”

Seit die « Visegrad»-Staaten sowie Mazedo­nien und Öster­reich beschlossen haben, keine Flüch­tenden mehr nach Europa zu lassen, stecken tausende Menschen im griechisch/mazedonischen Grenzort Idomeni fest. Die Grenze ist mit Zäunen und NATO-Draht gesichert und wird Tag und Nacht von Grenz­sol­daten überwacht. Nachdem es in den letzten Wochen immer wieder Berichte von brutaler Gewalt gegen Flüch­tende gab, kam es am Sonntag, den 10.April bei einem Versuch hunderter Menschen, die Grenze zu überwinden, zu einem kriegs­ähn­li­chen Einsatz. Hunderte wurden durch Tränen­gas­be­schuss, Schock­gra­naten und Gummi­ge­schosse verletzt, darunter auch viele Frauen und Kinder.

Die in Griechen­land ankom­menden Flücht­linge werden von vielen Politi­ke­rInnen und Medien inzwi­schen nur noch als « illegale Einwan­derer » bezeichnet. Aber sie sind – ebenso wie die Flücht­linge, die bereits hier angekommen sind – vor dem syrischen Assad-Regime oder dem so genannten Islami­schen Staat im Irak und Syrien geflüchtet, vor den Taliban in Afgha­ni­stan oder vor Terror, tödli­chen Macht­kämpfen, Hunger und Perspek­tiv­lo­sig­keit in Afrika. Diese « illegalen Einwan­derer » sind mitunter die Angehö­rigen von denen, die es aufgrund günsti­gerer Bedin­gungen hierhin geschafft und zum Teil bereits einen Aufent­halts­status in Deutsch­land haben. Es sind Brüder und Schwes­tern, Eltern, Ehefrauen und Ehemänner von denen, die noch im September vergan­genen Jahres an den Bahnhöfen begrüßt und von zahlrei­chen spontan entstan­denen « Willkom­mens-Initia­tiven » in Empfang genommen wurden.

Die Änderung der Sprache berei­tete den Paradig­men­wechsel vor : Anstelle des Bemühens, für die Flüch­tenden einen sicheren Aufent­haltsort zu schaffen, führt die EU jetzt selber Krieg gegen die Menschen, die der Gewalt entrinnen wollen. Das Leiden der in Idomeni Festsit­zenden einer­seits und das gefor­derte « Aushalten » der Bilder aus dem Flücht­lings­camp anderer­seits dienen nur einem Zweck : Abschre­ckung. Wir – selbst­or­ga­ni­sierte Geflüch­tete und Initia­tiven von Unter­stüt­ze­rInnen – ertragen diesen Zustand nicht länger.

Wir begreifen nicht, warum die Menschen dort unter unwür­digen Bedin­gungen in Zelten schlafen, während in Deutsch­land Aufnah­me­ein­rich­tungen leer stehen. Wir erleben, dass die in aller Eile und zum Teil mit beein­dru­ckendem Engage­ment von Haupt- und Ehren­amt­li­chen in den Kommunen geschaf­fenen Aufnah­me­struk­turen mittler­weile zuneh­mend brach liegen. Sozial­ar­bei­te­rInnen und Sicher­heits­dienste in den Erstauf­nah­me­ein­rich­tungen verlieren allmäh­lich ihre Aufgaben. Es geht also nicht um die Frage, ob die Aufnahme weiterer Menschen zu bewerk­stel­ligen ist – sondern nur um die Bereit­schaft zu einer politi­schen Entschei­dung : Nämlich, dass Flücht­linge in Deutsch­land weiterhin Schutz bekommen können.

Dies sollte, angesichts der deutschen Geschichte, aber auch angesichts inter­na­tio­naler und völker­recht­li­cher Verpflich­tungen und Standards (Genfer Flücht­lings­kon­ven­tion, Europäi­sche Menschen­rechts­kon­ven­tion) eigent­lich selbst­ver­ständ­lich sein. Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass Menschen und ihre allge­meinen Rechte inzwi­schen zur politi­schen Verhand­lungs­masse geworden sind. Wir erleben, dass europäi­sche Politi­ke­rInnen sich zuneh­mend die Position rechter und rechts­po­pu­lis­ti­scher Parteien zueigen machen, und univer­sale Menschen­rechte schlicht bestreiten.

Gerade deshalb halten wir an dem Recht auf Schutz fest. Zudem wird Integra­tion und wirkli­ches « Ankommen » der bereits hier Seienden nicht gelingen, solange ihre Familie, ihre Freunde und Nachba­rinnen auf der Flucht von Hunger, Kälte, Krank­heit und Tod bedroht sind.

In Abstim­mung mit dem Bund können die Bundes­länder beschließen, Flücht­linge aus anderen Ländern aus humani­tären Gründen aufzu­nehmen. In der aktuellen Situa­tion in Europa und der Welt ist das nicht nur möglich, sondern ein morali­scher Imperativ.

Als alte und neue Bürge­rInnen von Wuppertal fordern wir den Stadtrat auf, zu beschließen, dass Wuppertal sich bereit erklärt, ein angemes­senes Kontin­gent von Flücht­lingen aus Griechen­land aufzu­nehmen. Prioritär berück­sich­tigt werden sollen dabei neben Menschen mit Krank­heiten und Behin­de­rungen, Familien mit Kindern und Schwan­geren vor allem dieje­nigen, deren Angehö­rige bereits hier leben – gleich ob als Asylsu­chende oder mit Aufent­halts­er­laubnis. Wir fordern die Stadt­spitze auf, umgehend mit dem Innen­mi­nis­te­rium des Landes NRW in Kontakt zu treten und sich für eine solche humani­täre Lösung einzu­setzen.

Download des Offenen Briefes als pdf-Datei (Deutsch)
Download des Offenen Briefes als pdf-Datei (English)

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