Erklärung des so_ko_wpt zur Verhaftung unserer Genossin Latife am letzten Mittwoch
Das soli-komitee wuppertal (so_ko_wpt) ist eine lose Plattform verschiedener einzelner Akteure zur Koordination konkreter Solidarität. Viele der Akteure sind darüberhinaus auch in anderen Gruppen und Organisationen engagiert. Das Spektrum der Beteiligten ist breit. So breit, dass es dem Anspruch des so_ko gerecht wird, Solidarität zu organisieren, Themen zu verknüpfen und die verschiedenen Kämpfe miteinander zu verschränken. Das so_ko entstand aus der Erkenntnis heraus, dass solidarische Arbeit gegen neoliberale Politik nicht isoliert von antirassistischer Arbeit gesehen werden kann, dass antifaschistisches Engagement nicht ohne aktives Eintreten für Flüchtlinge möglich ist, dass Einmischung nicht ohne Beschäftigung mit Repression zu haben ist, oder das „Recht auf Stadt”-Kämpfe ohne transnationale Bezüge zu Akteuren globalisierter Wirtschafts- und Herrschaftsinteressen undenkbar sind. Letzteres wurde in den letzten Wochen bei den Kämpfen in der Türkei, die als Widerstand gegen den Istanbuler Stadtumbau begannen, wieder einmal deutlich. Das so_ko will der simplen Erkenntnis, nach der „alles mit allem zusammenhängt” gerecht werden und ein Katalysator für gemeinsamen Widerstand sein.
Entsprechend haben sich auf der Plattform in den letzten Jahren verschiedenste Menschen kennen- und als verlässliche PartnerInnen schätzen gelernt. Bei gemeinsamen Aktionen und Kampagnen ist Vertrauen entstanden und manchmal auch ein emotionaler Gewinn, wenn wir etwas von der Freude abbekommen haben, die einzelne FreundInnen nach einer gelungenen Zusammenarbeit für „ihre Sache” empfunden haben. Ihre Freude ist unsere Freude.
Aber auch ihr Leiden ist unser Leiden, ihr Zorn ist unserer und ihr Widerstand unser Widerstand.
Latife ist Genossin im so_ko_wpt. Fast von Anfang an. Jetzt wird Latife seit schon einer Woche unter unerträglichen Bedingungen in der JVA Gelsenkirchen gefangen gehalten, weil sie bei einer europaweit und offenbar mit der Türkei koordinierten Aktion des Generalbundesanwalts und des LKA Düsseldorf verhaftet wurde. Die ihr zur Last gelegten Vorwürfe entbehren rechtsstaatlichen Grundlagen und basieren auf Gesetzen, die einst – in den siebziger Jahren des lezten Jahrhunderts – einem einseitig erklärten „übergesetzlichen Notstand” entsprungen sind : den Paragraphen 129a, bzw. 129b. Beide Paragraphen belegen auch völlig legale Tätigkeiten mit dem Stigma „terroristischer Aktivität”. Beide Paragraphen dienen hauptsächlich der Zerschlagung solidarischer Strukturen und der Einschüchterung. Und mit diesen Gesetzen gehen „besondere Haftbedingungen” und Rechtsnormen einher, die eine Zerstörung des Individuums und das Brechen der Persönlichkeit der Gefangenen zum Ziel haben. Und die auch immer die Familien und die FreundInnen der Betroffenen mittreffen. Latife ist Mutter zweier Töchter und verheiratet. Latife hat viele FreundInnen in Wuppertal – auch weil sie in vielen Situationen immer sehr solidarisch gewesen ist. Jetzt benötigt sie unsere Solidarität. Als Genossin des so_ko_wpt und als unsere Freundin. Sie wird sie erhalten. Ihr Kampf um eine würdevolle Behandlung und rechtsstaatliche Prinzipien ist unser Kampf.
Wir fragen uns natürlich auch : Warum jetzt ? Warum zu diesem Zeitpunkt ? Warum werden zu einer Zeit, in der offiziell die Repressionspolitik der unter Druck stehenden türkischen Regierung gegen die Opposition in der Türkei durch die Bundesregierung kritisiert wird, Handlangerdienste für dieselbe Regierung geleistet ? Warum werden koordiniert dort wie hier Razzien und Verhaftungen vorgenommen ? Warum passiert das in einem Moment, in dem auch in Deutschland massenhaft Menschen verschiedener Herkunft und verschiedener politischer Bezüge gemeinsam solidarisch auf die Straßen gegangen sind ?
Und wir fragen uns : Warum werden Latife und die anderen am letzten Mittwoch Inhaftierten behandelt wie Schwerstverbrecher ? Was wird ihnen konkret vorgeworfen ? Warum dürfen Latife und die anderen niemanden sehen und sprechen ? Warum müssen wir uns Sorgen um die medizinische Versorgung der teilweise kranken Gefangenen machen ? (Latife benötigt zum Beispiel laufend Medikamente wegen einer chronischen Erkrankung.) Warum sollte Latife zunächst gezwungen werden, mit ihrer eigenen Kleidung den letzten Rest eigener Identität abzugeben und Anstaltskleidung zu tragen, obwohl jede/r in der Untersuchungshaft das Recht dazu hat, eigene Kleidung zu tragen ?
Wir werden diese Fragen laut und öffentlich stellen, bis sie befriedigend beantwortet sind.
Der Verfassungsschutz Baden-Württembergs warnt vor linksradikaler deutsch-türkischer Solidarität . Das gemeinsame Auftreten (Anm.: bei einer Demo gegen die §§129 - 2008) wird als ‚Gefahr letztendlich für die außenpolitischen Verpflichtungen der BRD und der Nato gesehen.’ (Bietigheimer Zeitung) (Zitat aus der Broschüre „Der Hunger des Staates nach Feinden”, Rote Hilfe e.V. 2009)
- Wir fordern die Abschaffung der §§129 und das sofortige Ende der Isolationshaft für alle Gefangenen.
- Wir fordern die sofortige Freilassung von Latife und den anderen, am 26.06. Verhafteten.
- Freiheit für alle politischen Gefangenen !
so_ko_wpt am 02.07.2013
Zu den, Latifes Verhaftung zugrundeliegenden Gesinnungsparagraphen 129a+b und zu den besonderen Bedingungen ihrer (Isolations-) Haft haben wir zwei Hintergrundtexte veröffentlicht, die auf einer Veröffentlichung der „Roten Hilfe e.V.” basieren :