Himmlers Freunde und Helfer
Himmlers Freunde und Helfer
In frühen Zeiten, etwa zum Ende des vorletzten, noch von feudalen Staatsstrukturen geprägten Jahrhunderts, gab es den erforderlichen Respekt qua Verfügung und mittels autoritären Auftretens. Polizisten waren die Vertreter des gottgegebenen Herrschers und als solche selbstverständlich mit dem Definitionsmonopol ausgestattet. (In den USA sah es anders aus. Hier erfolgte u.a. ein langes Ringen um das Gewaltmonopol, das bis heute andauert.) Die Lage der Polizei in Europa änderte sich mit der voranschreitenden Demokratisierung und Politisierung der Gesellschaft. Der „natürliche Respekt“ vor den die Monarchie repräsentierenden Polizisten schwand. Die Polizei war zunehmend auf eine andere ideelle Absicherung angewiesen, wollte sie ihre Rolle in den Vierteln und bei der Kontrolle von Menschenmengen weiter erfüllen ohne dabei zu sehr bedrängt zu werden. Zumal es bis zum Ende des letzten Jahrhunderts zwischen Demonstrierenden und Polizisten einen viel geringeren Unterschied in der Ausrüstung gab als heute. An die Stelle des die Monarchie repräsentierenden „Schutzmannes“ trat das Bild des „Freund und Helfers“, das u.a. durch Heinrich Himmler als Innenminister des nationalsozialistischen Deutschland geprägt wurde und bei PolizistInnen ein bis heute beliebter Euphemismus ist. Der „einfache“, aus der Bevölkerung kommende Polizist, der aufopferungsvoll den Schutz vor den Gefährdungen des Zusammenlebens gewährleistet, rückte in den Fokus der (Selbst-) Darstellung. Die Stilisierung der bei der Entführung Hanns Martin Schleyers und anderer Gefechte mit der RAF getöteten Polizisten als „unschuldige Opfer der Zivilgesellschaft“ stellt einen Höhepunkt dieser gewünschten Sichtweise auf Polizisten dar. Mehr als Schleyers Entführung sollte ihr Tod für einen Angriff RAF auf die Gesamtgesellschaft stehen – sie hatten schließlich nur „ihre Arbeit gemacht”. Diese Darstellung der Polizei sollte sie als „aus dem Volk kommend” und als Teil der Gesellschaft im Bewusstsein verankern ; wer Polizisten angriff, griff die Gesamtgesellschaft an. Angriffe auf Polizisten sollen deshalb auch heute noch doppelt zählen : „Es wird ja nicht nur der Polizist als Mensch angegriffen ; es wird ja der Staat angegriffen.” (CDU-Innenpolitiker Armin Schuster im DLF, Februar 2017)
Anschließend wurden die Unterschiede in Bewaffnung und Ausrüstung dann deutlich vergrößert ; inzwischen müssen Menschenmengen auf jede Art so genannter „passiver Bewaffnung“ wie Helme oder Gesichtstücher verzichten, während aus den Polizisten anonyme, gepanzerte „Riot-Cops“ wurden. Damit kehrten jedoch auch die bereits von den Militäreinsätzen früherer Zeiten bekannten Akzeptanzprobleme zurück. Eine offensichtliche Unterlegenheit führt bei Beherrschten zwangsläufig zu einem Mangel an Respekt ; er wird durch die alte Angst ersetzt. Auch wenn das bei der Kontrolle von Menschenmengen hingenommen wird, bei der im Alltag verankerten Polizei stellt das ein Problem dar. Angst führt zu einer Distanzierung von der Polizei, es besteht die Gefahr, dass sich die Menschen zunehmend der Kontrolle durch die PolizistInnen entziehen. Für die eigene Überhöhung ist die in den Vierteln agierende Polizei daher heute vermehrt auf die Unterstützung durch die Medien angewiesen. Das erledigen unter anderem Presseartikel, vor allem die täglichen kleinen Meldungen der Lokalpresse, die ständig die Rolle der Polizei als Korrekturfaktor bei bedrohlichen Vorfällen herausstreichen. Fast immer wörtlich aus Polizeiberichten abgeschrieben, stellen sie grundsätzlich die Sicht der Polizei auf beliebige „Vorfälle” dar. Eigene Recherche zum Thematisierten wird zumeist nicht geleistet. In Wuppertal ragt hier die Übernahme der Polizeisicht beim versuchten Mord an einem Antifaschisten 2015 am AZ durch Nazis als negatives Beispiel heraus, aber auch die Empfehlung des WDR-Senders „1Live“ anlässlich der Proteste gegen den AfD-Parteitag in Köln, sich der Einfachheit halber über den Twitter-Kanal der Kölner Polizei über das Geschehen zu informieren, zeigt, wer die Medienarbeit macht, wenn es um Konfliktsituationen geht. Doch selbst wenn einmal nachrecherchiert wird, wird die Sichtweise der Polizei oft im Umkehrschluss bestätigt. Wenn in einem Artikel von “unverhältnismäßiger Polizeigewalt” die Rede ist, bedeutet das, dass es auch eine verhältnissmäßigere gibt. Der Polizei wird damit neben dem staatlichen Gewalt- auch das diskursive Monopol dazu überlassen, warum etwas, wann, wo und durch wen geschah – oder was eben nicht (wenn es in ihren Berichten gar nicht vorkommt). Sprache und Einschätzungen der Polizei erhalten so einen als Journalismus getarnten Kanal zur lokalen Bevölkerung.
„Die Polizei hat dies verhindert, jenes aufgedeckt, sie vermeldet, beklagt, warnt. (…) Meldungen bestehen aus dem, was die Polizei sagt – ihre Sprache, ihre Einschätzung, ihr Selbstverständnis und vor allem ihre Feindbestimmung prägen die öffentliche Berichterstattung (…)”. Die Polizei definiert, „was ‚militant’ heißt, wann etwas ‚vereinzelt’ geschah, wer überhaupt Agierende und Reagierende sind, wer zum Handeln gezwungen war und (…) was sich ‚notwendig machte’ (…)”.
(aus „All Cops are Staatsgewalt”)
Den Rest besorgt eine Unterhaltungsmaschine, in der jeden Abend wohlwollende, nachdenkliche, höchst menschliche und idealistische Kommissare an der Seite der Bedrohten, Bedrängten und Erniedrigten die eigene Ehe und Gesundheit riskierend über die Bildschirme in die Wohnzimmern flimmern. Das alles führt zu unvorstellbar grandiosen Werten, wenn die Bevölkerung nach ihrem Vertrauen in Institutionen gefragt wird. Die Polizei rangiert bis heute unangefochten auf dem ersten Platz, vor der Justiz (was auch ein schlechter Witz ist…). 80% schenken der Polizei ihr Vertrauen. Und obwohl das ein Indiz dafür ist, dass die Verankerung der Ordnungsmacht in der Gesellschaft kaum geringer scheint als zu Kaisers Zeiten, spricht trotzdem viel dafür, dass der Polizei zunehmend unwohl in ihrer Haut geworden ist. Die bei der Einführung des neuen Paragraphen 114 viel zitierten Statistiken, die einen Anstieg angeblicher Gewaltdelikte gegen PolizistInnen belegen sollen, sagen nämlich zweierlei aus. Neben einer in Polizeikreisen virulenten Tendenz zur Kriminalisierung des Gegenüber gibt es wohl tatsächlich eine subjektiv empfundene Bedrohungslage, die sich in den auf Aussagen von PolizistInnen basierenden Einsatzprotokollen abbildet (es gibt keine objektive Erfassung ausgeübter Gewalt gegen PolizistInnen, es gibt nur die von ihnen selbst zu Protokoll gegebenen „Vorfälle“). Mit Recht wird kritisiert, deren subjektiven Empfindungen zur statistischen Grundlage eines Gesetzes gemacht zu haben, dass sich jedoch in der Statistik eine offenbar zunehmende Opferperspektive widerspiegelt, ist eindeutig. Wie falsch die so erstellten Statistiken sein müssen, lässt sich an anderen, vorhandenen objektiven Zahlen ablesen : Beispielsweise an der Diskrepanz zwischen „vollendeter“ und „versuchter schwerer Körperverletzung“. Weist die Kriminalitätsstatistik auf einhundert Fälle von „schwerer Körperverletzung“ 16 Taten aus, bei denen es lediglich bei einem Versuch dazu blieb, verschiebt sich das Verhältnis der „versuchten schweren Körperverletzungen“ zu den „vollendeten“ bei PolizistInnen zu schier unglaublichen 125 zu 100. Von PolizistInnen wird demnach ein Vielfaches an „versuchten schweren Körperverletzungen“ angezeigt als im Leben allgemein vorkommen. (Quelle : beck-community)
- Inhaltsverzeichnis
- Seite 1 : Unberührbare Polizei, der neue §114
- Seite 2 : Himmlers Freunde und Helfer
- Seite 3 : „Es gibt zu viele Mitbürger, die den Menschen in Uniform provozieren.“
- Seite 4 : Neue Strategien entwickeln : Der neue §114 trifft hauptsächlich andere anderswo.