Wupper Nachrichten vom 03.07.1993
Seite 7
Verstörte Nation
Nach Solingen wachsen die Spielräume zur Gestaltung einer postvölkischen Gesellschaft
Nach Hoyerswerda und Mölln schien sich eine typische Verlaufsform öffentlicher Reaktionen auf die rassistischen Gewaltakte einzuspielen: Öffentliche Bekundungen tiefster Betroffenheit waren jeweils begleitet von Versuchen politischer Entschuldung unter Hinweis auf die angeblich unpolitischen und sozial degradierten Täter. Mit Demonstrationen und Lichterketten zeigten "bessere Deutsche" den weltweiten Exportmärkten ihre friedvolle Verabscheuung der Taten, während die politische Maschinerie der Ausgrenzung der Zuwanderlnnen unter dem Schutzschild simulierter Multikulturalität weiterarbeitete. Nach Solingen ist dieser Mechanismus gestört. In der anhaltenden Irritation der medialen Kollektivsymbolik wird etwas von der globalen Krise der Nation-Form als zentraler Vergesellschaftungsinstanz sichtbar.
Anders als nach Hoyerswerda oder Mölln haben sich nach Solingen die Bedrohten von Opfern in Agierende verwandelt. Die seit langen Jahren hier ansässigen Arbeitsimmigrantlnnen die ökonomisch und sozialkulturell alles andere als Randgruppen darstellen, lassen sich nicht ohne Widerspruch auf reine Objekte politischer Machtkalküle reduzieren. Selbst wenn es gewollt würde: Was bei den Flüchtlingen in jahrelanger Medienarbeit an der Stereotypisierung des Kollektivfeindbildes "Asylant" gelungen ist, die Verwandlung von Menschen mit Problemen in "das Problem" schlechthin, diese Stilisierung von um Hilfe bittenden Opfern in abzuschiebende Täter, stieße bei den Arbeitsimmigrantlnnen auf große Schwierigkeiten. Die zynische Differenz liegt darin, daß es sich bei den Türkinnen nicht um Hilfesuchende handelt, sondern um die Kinder von angeworbenen Arbeitskräften, um faktische Mitglieder dieser Volkswirtschaft. Nach dem Solinger Anschlag auf die deutschen Türken ist besonders in den bergischen Städten eine Situation entstanden, die den Widerspruch zwischen dem sozialökonomischen Einwanderungsfaktum und dem hermetischen deutsch-völkischen Nationalbegriff aufbrechen lässt. Das daraus entstehende Klima der Irritation lässt Spielräume für den Neubeginn einer Politik entstehen, die die Multinationalität anerkennt und bewußt gestalten will. Gleichzeitig werden aber auch die immensen Schwierigkeiten deutlich, mit denen eine derartige Orientierung rechnen muß.
Ein oberflächlicher Blick auf den zeitlichen Ablauf der Bewältigungsversuche nach Solingen scheint zunächst zu bestätigen, was man an x anderen gesellschaftlichen Schocks beobachten konnte: Auf eine kurze Phase der öffentlich sich ausdrückenden Schuldgefühle, der Scham der Politiker, der Angstbekundungen der Nachbarinnen und Betroffenen, folgt die sattsam bekannte Verdrängung dieser Katastrophen-Individualität durch Schuldüberweisung an die Extremisten von Links und Rechts. Daß dieser Mechanismus diesmal nicht ganz funktionierte und sich deshalb die Topographie der Entschuldungslandschaft deutlich verändert hat, das hat mehrere Gründe:
Die Anschläge von Mölln und den folgenden Monaten, die Debatten um das Asylrecht hatten einen Teil der Bevölkerung derart sensibilisiert, daß im Augenblick des Anschlags der Schock einen weitaus größeren Resonanzboden fand, als man bisher gewohnt war. Begünstigt durch diese Resonanz ließen sich die türkischen Immigrantlnnen nicht davon abhalten, breit und massiv und auf ihre eigene Weise den mörderischen Anschlag auf den Straßen zu verarbeiten. Dabei war ihnen die türkische Presse behilflich. Aufgrund dieser Resonanz, auch auf der internationalen Bühne, verbot sich für die Staatsapparate die schleunige repressive "Befriedung" der ausbrechenden Riots in Solingen. Die alternative Deeskalationsstrategie der Polizei erlaubte das Ausufern der spontanen Wutausbrüche zu Ansätzen einer eigenen Ritualisierung, die weit über die Region hinaus Signalcharakter bekam.
Die Politiker setzten frühzeitig darauf, über Demokratisierungsangebote gegenüber der Einwanderungsbevölkerung die integrationswilligen "Ausländerführer" für sich einzunehmen. Dabei aber haben sie die Souveränität dieser Ausländervertreter gestärkt.
Die nachfolgenden Versuche, die Solinger Unruhen als das Werk von Rechts- und Linksextremisten hinzustellen, gingen nicht ganz auf, weil die Konstruiertheit dieser Unterstellungen zu vielen Beteiligten deutlich wurde. Zwar hat die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung das Rechts-Links-Schema akzeptiert, aber gleichzeitig ist es zu einer deutlichen Verschiebung der politischen "Mitte" gekommen. Lag vor Solingen die "Mitte" des politischen Diskurses eindeutig rechts von der SPD und war damit beschäftigt, die rechtsextremistischen Ränder einzubinden, so umfasst die "Mitte" de;" Diskursordnung nach Solingen auf einmal auch die seit langen Jahren resonanzlos vorgetragenen Forderungen der Immigrantlnnen nach Wahl- und Bürgerrechten. Die Bemühungen, das Links-Rechts-Schema einfach auch den türkischen Immigrantlnnen überzustülpen, scheiterte dann an der Tatsache, daß die Menschen aus der Türkei sich ebenfalls unterschiedlichen Nationen zurechnen. Trotz oder gerade wegen der Aufwertung der deutsch-türkischen Beziehungen nach Solingen haben die kurdischen Anschläge in der Bundesrepublik nicht dazu qeführt, daß die deutschen Medien die Anliegen des kurdischen Volkes völlig ignorierten oder diffamierten. Auch dies weist auf die Krise der National-Form medienöffentlicher Symbolisierung hin: Es gibt nicht mehr nur "uns Deutsche" samt unserer eigenen Abweichungen vom nationalen Konsens, jetzt gibt es "Türken", "Kurden", "Moslems", "Graue Wölfe", "PKK"… Es ist wie bei den russischen Puppen: In jeder Nation-Form steckt ei ?ne weitere und eine jede stellt neue Fragen an die Integrationskraft der deutschen Gesellschaft.
In der derart erweiterten und desintegrierten "Mitte" der Nation-Form ist nun auch jener Spielraum entstanden, in dem sich basisdemokratische multinationale Bestrebungen, wie die der Wuppertaler Stadtteilinitiativen, ausbreiten könnten, solange die Motivation ihrer Aktivistlnnen dies erlaubt. Das politische Symbolsystem in der Bundesrepublik ist an einem entscheidenden Bruchpunkt in Bewegung geraten. Wenn jetzt bewußt mit dieser Situation umgegangen wird, besteht die Chance, bei der Gestaltung einer Gesellschaft auf nichtvölkischer Grundlage wesentliche Fortschritte zu erzielen.
Diesen Chancen und Hoffnungen stehen allerdings auch Gefahren und Ängste entgegen. Auch sie scheinen vor allem damit zusammenzuhängen, daß der deutsche Nationalismus auf seinem eigenen Terrain Konkurrenz bekommen hat. Weil die traditionelle Begrifflichkeit der Nation, der Völker, von "links" und "rechts" zum Verständnis der komplexen Situation nicht ausreicht, - auch dann nicht, wenn sie von "links" benutzt wird -, kommt es zu Mißverständnissen, die die Entwicklung eines transnationalen Netzwerkes erschweren. So verkennt die Überstülpung eines negativ bewerteten "Nationalismus" über alle kurdischen und türkischen Aktivitäten die vielfältigen Differenzen innerhalb der Einwanderlnnenbevölkerung. Wenn TürkInnen in Solingen mit dem Ruf "Die Türkei ist stark und mächtig" durch die Straßen zogen, so zeigt dies mehr die Verzweiflung, daß sie als Immigrantlnnen eben nicht stark und mächtig sind, als die Existenz einer tatsächlichen nationalistischen Gefahr. Und türkische Nationalfahnen auf ausgebrannten Häusern sind nur unter Aufbringung einer erheblichen Unsensibilität als Zeichen eines offensiven und aggressiven Nationalismus zu interpretieren. Wer diese Anzeichen eines "schwachen Nationalismus" aus Notwehr mit dem tatsächlich ebenfalls vorhandenen "starken" und aggressiven türkischen Großmachtchauvinismus verwechselt und beides allein auf der Folie der deutschen Erfahrungen mit dem Nationalismus begreift, nimmt sich jede Chance einer Zusammenarbeit mit jenen Immigrantlnnen, die, auch das ist zu berücksichtigen, ihre Informationen aus chauvinistischen Fernsehsendungen und Boulevardzeitungen erhalten, aber nicht im (mittlerweile ja auch stark kriselnden) deutschen Sinne einer politischen Polarisierung unterworfen sind. Ähnliches gilt für den "schwachen Nationalismus" der Kurdlnnen. Der türkische Staat führt Vertreibungsfeldzüge gegen die kurdische Bevölkerung. Daß diese sich um die PKK als der einzige Kraft schart, die nicht vom türkischen Staat korrumpiert ist, ist selbstverständlich. Wer die PKK zu einer stalinistischen nationalistischen Terrorgruppe reduziert, oder im Gegenzug deren Kampf über die reale Situation hinaus idealisiert, gewinnt keine Basis für eine ehrliche Zusammenarbeit mit den kurdischen Immigrantlnnen. Die türkische Nation-Form ist keineswegs stabiler als die deutsche. Genau dies, die Krisenhaftigkeit aller Versuche, differierende Interessen, Ansprüche und Wünsche unter Nationalfahnen zu sortieren, müßte der Ausgangspunkt einer post-nationalistischen Bewegung sein.
Die zentrale Auseinandersetzung um die Gestaltung einer post-völkischen Gesellschaft hier, ist nicht mit den deutschen oder "ausländischen" Vertreterlnnen eines "starken" Nationalismus zu führen, sondern mit den national-liberalen Anhängerinnen einer "geläuterten deutschen Nation". Links von der CDU/CSU bildet sich gerade der Konsens heraus, daß den langjährigen Arbeitsimmigrantlnnen die doppelte Staatsbürgerschaft erlaubt werden soll und daß sie das kommunale Wahlrecht bekommen sollen. Die augenblickliche Vehemenz, mit der diese Forderungen vorgetragen werden, ist zwar eine neue Dimension, im politisch-juristischen Kontext aber ist dahinter der Versuch zu entziffern, der Tatsache der krisenhaften Multinationalität Deutschlands durch ein paar kosmetische Appendixe an der völkischen Nationalverfassung auszuweichen. Nicht zu Unrecht wird kritisiert, daß diese Forderungen an der Existenz rassistischer Gewalt in Deutschland nichts ändern werden. Wenn aus diesen jedoch lediglich die Konsequenz gezogen wird, sich einseitig an alternativen Läuterungsvorschläge zu orientieren, die die gerade aufgeworfenen Fragen der Multinationalität verdrängen, dann ist nichts gewonnen. Ob man sich nun der traditionsreich gescheiterten Forderung annimmt, Deutschland mittels Verboten von der organisierten Rechten zu säubern, oder nach mehr Familienförderung, mehr Sozialarbeit, mehr Zensurmaßnahmen gegen gewaltverherrlichende Videos und vor allem mehr moralischen Predigten verlangt, jedes Mal verleugnet man eine gesellschaftliche Entwicklung, die eine Iäuterbare, reparierbare nationale Form der kollektiven Identitätsstiftung bereits gesprengt hat. Die Diskussion über die eigene Identität Die Diskussion über die eigene Identität hier und die Anerkennung der Anderen als Bestandteil dieser Identität dort, baut eine gefährliche Scheinfront auf. Als ginge es nur um die Frage, wer als Deutscher zu gelten habe und was dieses Deutsche sei.
Doppelte Staatsbürgerschaft und kommunales Wahlrecht ändern nichts am völkischen Staatsangehörigkeitsbegriff des Grundgesetzes (Blutrechte der Herkunft), welcher im Vergleich zu den Territorialbegriffen der Nation, die, wie in Frankreich, oft zudem mit universalistisch-aufklärerischen Bestandteilen angereichert sind, ein finsteres Relikt der Rassendiskurse darstellt. Es ist aber nicht dieser Rassenbegriff der Nation allein, der sich in der Krise befindet. Der universalistische Nationen-Begriff beispielsweise Frankreichs hat in der Vergangenheit seine eigenen kolonialistischen Grausamkeiten hervorgebracht und schüttet sich in der Gegenwart ebenfalls mit Vehemenz gegen die globale Wanderung ab. Die Infragestellung der Nation-Form staatlicher Organisation ist keine deutsche Spezialität, wie die weltweiten Bürgerkriege und Fluchtbewegungen zeigen. Die Nation-Form ist den modernen Herausforderungen der Weltvergesellschaftung nicht gewachsen und daß sie von Kriegsherren überall gewählt wird, um an die spärlichen Fleischtöpfe einer desintegrierten Weltwirtschaft in der Dauerkrise zu gelangen, ist kein Beweis dafür, daß man im Zentrum Europas nicht die Chance hätte, die Staatsapparate zu entnationalisieren. Wie? Indem man den Menschen, die als Einwanderlnnen innerhalb oder als Zuarbeiterlnnen außerhalb der Grenzen dieses Landes die Existenz dieser Staatsapparate aufrecht erhalten, wirkliche Partizipations- und Bürgerrechte gibt. Und das ist nur möglich, wenn man sich von der Idee einer staatlich zementierten Schicksalsgemeinschaft aller Eingeborenen auf einem eingegrenzten Territorium trennt und an ihrer Stelle die Produktionsöffentlichkeiten in den Fabriken, Verwaltungen und Städten zu Subjekten der gesellschaftlichen Entwicklung macht. Ob sich das Zusammenleben in der postnationalstaatlichen Gesellschaft glücklich oder unglücklich gestaltet, entscheidet sich unter diesen Vorgaben nicht in Kabinetten und Abschiebeknästen, sondern in multinationalen Fabriken und Gewerkschaften, auf Marktplätzen und Straßen, in Stadtvierteln und Kommunen.
Knut Unger
2001 veranstalteten die Vereinigten Arabischen Emirate eine internationale Konferenz mit Gästen aus der europäischen und US-amerikanischen Revisionistenszene, um offiziell „Lügen und Übertreibungen zum sogenannten Holocaust offenzulegen“. Andere arabische Regierungen haben solche Zusammenkünfte in ihren Staaten bisher jedoch untersagt. Kontaktversuche mit deutschen Holocaustleugnern waren nach deren Berichten kaum erfolgreich.